Der Maler Max Beckmann zog 1904 nach Berlin und blieb dort bis 1914. Immer wieder betont er selbst in Briefen und Tagebuchaufzeichnungen, wie wichtig die Stadt für ihn sei. Die Kunsthändler und Kunstkritiker in der Stadt sind ihm positiv gesinnt und bestätigen die Bedeutung Beckmanns für Berlin und umgekehrt. „Beckmann ist ohne Berlin nicht denkbar“, so die Worte des Kunsthändlers Paul Cassirer. Und der Kunstkritiker Julius Maier-Graefe ruft aus: „Max Beckmann ist das neue Berlin.“
Die Ausstellung Max Beckmann und Berlin in der Berlinischen Galerie nun macht diese enge Beziehung zwischen Künstler und Stadt anhand der Einflüsse und Inspiration nachvollziehbar, die der Maler dort aufgenommen hat. Zwei Mal lebte Beckmann über einen längeren Zeitraum in Berlin. Im Anschluss an sein Kunststudium in Weimar von 1904 bis 1914 und wieder von 1933 bis 1937. Zwei Mal waren die politischen Ereignisse ausschlaggebend für seinen Umzug.
Als Beckmann sich im Herbst 1915 bedingt durch die Erlebnisse im Ersten Weltkrieg nach Frankfurt zurückzog, schmähte er Berlin als „corrumpirtes und temperamentloses Nest“. Aber seine Verbindungen in die Berliner Kunstszene brachen nicht ab. Oft reiste er in die Metropole. So auch im Jahr 1922, als mit der Berliner Reise sein letztes großes Mappenwerk der 1920er Jahre entstand, das sein Galerist J.B. Neumann verlegte.
Beckmann nimmt als zeichnender Flaneur in der Großstadt Eindrücke auf, taucht in das nächtliche Leben ein und entwirft schließlich in seiner Lithographieserie ein Bild der Stadt quer durch alle sozialen und politischen Milieus. Barbara Werr vergleicht Max Beckmann im Katalog zur Ausstellung mit Blick auf die Berliner Reise mit einem Reporter, der in den einzelnen Blättern von Intellektuellen, Bettlern, Theaterbesuchern, Kriegskrüppeln und Vergnügungslustigen berichtet.
Die Berlinische Galerie hat anlässlich der Ausstellung einige Instagrammer eingeladen, sich von Max Beckmanns Berliner Reise inspirieren zu lassen und im übertragenen Sinn ein Bild der Stadt heute auf Instagram zu zeichnen. Eine solche Einladung bekam auch ich und machte mich auf die Reise nach Berlin, die von Hamburg aus zugegeben nicht ganz so lang war wie Beckmanns Zugfahrt von Frankfurt in die Metropole. Seine Fahrt dauerte damals 10 Stunden, ich war nicht einmal zwei Stunden unterwegs.
German Gemütlichkeit
Wie zu Zeiten von Max Beckmann ist Berlin heute noch immer „die Stadt der Welt die entschieden das meiste künstlerische Leben entwickelt“, wie er einst schrieb. Für den Maler gab es damals viel zu zeichnen, für uns gibt es inzwischen immer mehr zu fotografieren.
Und wer wie ich nicht auf die klassischen Berliner Postkartenmotive oder Instagram-Hotspots aus ist, der stromert auf der Suche nach Tristesse und German Gemütlichkeit durch die Stadt. Oft in Begleitung von lokalen Instagrammern oder mit deren Tipps in den Notizen auf dem Smartphone. @mr_sunset spiegelt sich neben mir in der Scheibe einer Kaschemme, die ich einst unter der Sammlung #Berlinerspelunke von @knurrt entdeckte.
Doppelbildnis
Briefe musste Max Beckmann einst an seine Frau schreiben, um ihr mitzuteilen, wo er sich gerade aufhält und was er dort macht. „Hier sitze ich in einem vornehmen Hotelzimmer“, schrieb er ihr und porträtierte sich vor dem Spiegel mit Zeichenblock und Stift in der Hand, Zigarre im Mund und einer Flasche Rotwein vor sich auf dem Tisch.
Und was tun wir heute? Wir stellen uns mit dem Smartphone vor einen Spiegel und machen ein Bild per Daumendruck. Das geht dann instant per Statusmeldung auf Facebook oder per Post auf Instagram an all unsere Freunde – und schon wissen sie, wie es in unserem Airbnb in Berlin aussieht.
Die Enttäuschten
Max Beckmanns Enttäuschung in den 1920er Jahren war politischer Natur. Nach den Erfahrungen im ersten Weltkrieg brach der Maler physisch und psychisch zusammen, er fand erst langsam wieder zu sich. Ihn trieben das Zeitgeschehen und die Moral auch in seiner Mappe Berliner Reise um. Die politischen Veränderungen beschäftigten die Menschen, nach dem Ersten Weltkrieg trauern die Enttäuschten bei Max Beckmann der Monarchie nach.
Instagrammer flanieren wie einst der Maler durch die Stadt, vielleicht etwas unbekümmerter. Zumindest spiegelt sich das politische Tagesgeschehen eher selten auf Instagram, so auch bei mir. Ich suche nicht unbedingt nach dem Kitsch, mich ziehen Risse an, die Unstimmigkeit im Bild. Das kann ein zu sorgfältig gestutzter Busch oder ein enttäuschtes Paar Hundeaugen sein, das auf seinen Besitzer wartet.
Weitere Fotos aus der Serie Berliner Reise sind bei mir auf Instagram zu sehen und auf dem Account der Berlinischen Galerie. Die Serie entstand im Auftrag der Berlinischen Galerie.
Die Ausstellung Max Beckmann und Berlin ist noch bis 15. Februar 2016 in der Berlinischen Galerie zu sehen. Der Katalog zur Ausstellung ist im Kerber Verlag erschienen und kostet € 34,80.