Statt Socken, Unterwäsche und Parfum empfehlen wir als perfektes Weihnachtsgeschenk ein bis zwei oder gleich: einen ganzen Stapel Bücher. Unsere Tipps für Unprätentiöse, Kuratoren, Berliner, Kunsthistoriker und Eltern.
Der Unprätentiöse
Heute wird mehr fotografiert denn je. Immer mal wieder wird sich in den Medien Gedanken darüber gemacht, ob es denn sein müsse, dass wirklich jeder alles fotografiert und ins Internet stellt. Geklagt wird über die Bilderflut und den Fotomüll. Wenn Fotografen dann auch noch selbst einen Instagram-Account haben, nimmt das Klagen kein Ende. Was bringe für ihre Kunst gerühmte und hoch dotierte Großfotografen wie Stephen Shore dazu, Handy-Schnappschüsse auf Instagram online zu stellen? Das fragte sich kürzlich Jo Berlien, wenn auch nicht mit aller Ernsthaftigkeit.
Der Fotograf Edson Chagas derweil hat sich schon vor einigen Jahren zur Aufgabe gemacht, weggeworfene Objekte in den Straßen von Luanda, London und Newport zu sammeln, um sie später oder gleich zu fotografieren. Seine Fotos wirken wie beiläufig auf einem Spaziergang durch die Stadt entstanden – dabei katalogisiert er systematisch, was andere als Müll bezeichnen und in den Straßen hinterlassen haben. Bei keinem seiner Bilder weiß man, ob er ein Arrangement so vorgefunden hat und – wie man so schön sagt – nur noch auf den Auslöser drücken musste, oder ob er für einen Karton, einen alten Schuh, einen Teppich oder ein Rohr den passenden Hintergrund gesucht hat.
Und wie man dem Begleittext im Katalog entnehmen kann, beruht das Projekt Found Not Taken auf einer persönlichen Erfahrung:
It is marked by an experience of displacement and estrangement first in London and Newport, and afterwards in Luanda, where the long experience of diaspora and the changes found in the post-war, fast-growing urban landscapes prevented an easy and immediate sense of homecoming.
Chagas stellt deshalb in seiner Arbeit eine Beziehung zwischen den Objekten und dem städtischen Raum her.
Wer also einem dieser Leute, die täglich einfach alles fotografieren, zeigen möchte, dass sie damit nicht alleine sind, greife zu diesem Fotobuch. Found Not Taken kann man sich übrigens hier in aller Ruhe ansehen:
Edson Chagas, Found Not Taken, Kehrer Verlag, € 39,90.
Der Kurator
Jeder Mensch ist ein Kurator, so ähnlich hat es Joseph Beuys einst formuliert. Was wie eine Prophezeihung geklungen haben mag, ist in den letzten Jahren Wirklichkeit geworden. Jeder kuratiert heute vor sich hin: Frühstück, Mittagessen, Abendbrot, den Hausstand und das #OOTD, sprich das outfit of the day. Alles muss für Instagram hübsch arrangiert werden, schließlich sollen alle sehen, wie glücklich man ist. Als Blumfeld noch melancholisch trällernd fragten, kommst du mit in den Alltag, sehnte man sich nach mehr. Alltag, ist das alles, was das Leben fragt? Die schön kuratierten eigenen vier Wände sind der Generation Instagram inzwischen genug, am besten mit viel Weiß, viel Vase und viel Bett.
Wenn man das Buch des Star-Kurators Hans Ulrich Obrist mit dem Ausrufezeichen im Titel Kuratieren! gelesen hat, ist schnell klar: Es kann nur einen geben. Obrist erzählt in seinem biografischen Essay von seinem Werdegang, von Künstlern, denen er begegnete und mit denen er arbeitete und von Projekten, die er umgesetzt hat. Die Geschichte des Ausstellungsmachens streift er nur kurz, aber darum soll es in seiner Autobiografie ja auch gar nicht gehen. Auf dem Cover des Buches, das so weiß wie der White Cube selbst ist: Ein Nagel, darunter steht der Name das Autors und direkt daneben Kuratieren! Ganz so, als rufe er sich selbst zu: Junge, Du weißt, was Du zu tun hast.
Und das wusste er schon 1985, als er eine Ausstellung von Peter Fischli und David Weiss in der Kunsthalle Basel gesehen hatte. Einige Monate nach Besuch der Ausstellung fasste der damals Sechzehnjährige den Mut, die Künstler in ihrem Atelier anzurufen. Dort wollte er nämlich vorbeikommen. Fischli und Weiss hatten nichts dagegen. Und Obrist? Epiphanie oder in seinen eigenen Worten:
Mein erster Besuch bei ihnen wurde für mich zum Moment der Erkenntnis. Ich wurde im Atelier von Fischli und Weiss geboren: Dort fiel meine Entscheidung, Ausstellungen kuratieren zu wollen, obwohl ich die meiste Zeit meiner Jugend mit der Betrachtung von Kunstwerken, Sammlungen und Ausstellungen verbracht hatte.
Wer anderen mehr solcher emphatischer Momente bescheren möchte, der verschenke das Buch von Hans Ulrich Obrist.
Hans Ulrich Obrist, Kuratieren!, C.H. Beck, € 19,95.
Der Berliner
Alle Wege führen nach Berlin. Zumindest für Studierende und Künstler. Denn Berlin ist die europäische Hauptstadt der Künstler. Oder wie es Politiker ausdrücken: Berlin ist Deutschlands größter Galerien- und Kunstproduktionsstandort. Alle wollen sie nach Berlin, nur leider verkauft sich die Kunst dort selbst nicht besonders gut, viele Galerien machen nicht mehr als 100.000 Euro Umsatz im Jahr.
Die Künstler zieht Berlin an, und dieser Umstand wiederum hat den Fotografen Till Cremer angeregt, in Berlin lebende Künstler zu fotografieren. Fünf Jahre lang hat er an dem Projekt gearbeitet, knapp 500 Künstler hat er fotografiert. 300 dieser Porträts finden sich jetzt in dem Buch Berlin Artists, das durch seine Schlichtheit besticht. Auf den Titel des Projekts folgt eine Seite mit den Namen der Porträtierten und dann kommen auch schon die Fotos. Cremer hat die Künstler meist in ihren Ateliers besucht, und so bekommt auch im Buch jeder Künstler seinen Raum auf einer Seite. Als Text ist nur der Name des Künstlers, der Geburtstort samt Land und Geburtsjahr und der Berliner Stadtteil, in dem sich das jeweilige Atelier befindet, beigegeben. Natürlich ist Olafur Eliasson dabei, Alicja Kwade und Eva & Adele fehlen auch nicht.
Auf die Frage, wie er aus den 500 Porträts die publizierten 300 ausgewählt hat, antwortete er im Blog des Verlags:
Die Bilder für das Buch habe ich vornehmlich unter subjektiven, künstlerischen Aspekten ausgewählt und nicht danach, was der einzelne Künstler für Kunst macht. Die Porträts untersuchen künstlerische Persönlichkeiten, ungeachtet ihres Mediums, ihrer Generation, Herkunft oder Bedeutung für den Kunstmarkt oder die Kunstgeschichte.
Wer also einem Berliner Kunstfreund ein Lächeln ins Gesicht zaubern möchte, wähle dieses Fotobuch.
Till Cremer, Berlin Artists, Kerber Verlag, € 34,90.
Der Kunsthistoriker
Die Olympia von Edouard Manet erregt seit ihrer Entstehung die Gemüter. Heute hängt sie im Pariser Musée d’Orsay in einem Raum mit schummrig roten Wänden. Bereits 1863 malte Manet das Modell Victorine Meunet als moderne Version der Tizian’schen Venus, aber erst zwei Jahre später stellte er sie im Salon des Refusés aus – dem Salon der Abgelehnten.
1863 wurde auf Geheiß Kaiser Napoleons III. dem Salon de Paris der Salon des Refusés an die Seite gestellt, wo all die Werke zu sehen waren, die die Jury zurückgewiesen hatte. Von Manet war das Déjeuner sur l’herbe dabei. Denn Jury und Publikum empfanden es gleichermaßen als Provokation, dass eine unbekleidete junge Dame in Gesellschaft zweier Herren in Gegenwartskleidung im Wald frühstückt. Das war unmoralisch. Schlimmer noch kam es mit der Olympia, die ganz offenbar eine Dame des horizontalen Gewerbes darstellt und durch keinerlei historisierende Anspielungen verklärt worden war. Das Bild jedenfalls musste noch während des Salons abgehängt werden.
Ein Lesebuch zum Pariser Salon von 1865, wie der Untertitel des Buches Manet, ein Streit und die Geburt der modernen Malerei von Dino Heicker lautet, versammelt eine Auswahl von Salonkritiken, um einen Eindruck des damaligen Skandals vermitteln zu können. Ergänzt werden diese durch Stellen aus Briefen von und an Manet oder dessen Freunde sowie weitere Textzeugnisse. Es forme sich so ein „Bild von den schmerzhaften Geburtswehen der modernen Malerei, die sich gerade in Manets Déjeuner und in seiner Olympia mit Macht angekündigt hätten“, wie dem Vorwort des Bandes zu entnehmen ist.
Und was hat Manet zu all dem Rummel um seine Olympia gesagt, die laut einiger Kritiker in irgendeiner Ecke hätte untergebracht werden sollen und das bitte auch „in einer dem Auge unzulänglichen Höhe“ (Félix Jahyer)? Er hat Baudelaire geschrieben und freute sich schelmisch: „Ich wünschte, Sie wären hier, mein lieber Baudelaire, die Beschimpfungen prasseln auf mich wie Hagel herab, noch nie bin ich derart bedacht worden.“
Wer anderen das Vergnügen bereiten möchte, sich mit Manet zu freuen, lege dieses Buch unter den Baum.
Dino Heicker, Manet, ein Streit und die Geburt der modernen Malerei. Ein Lesebuch zum Pariser Salon von 1865, Parthas, € 19,90.
Die Eltern
Eltern verschenken ja gern Käse. Zum Geburtstag, zu Ostern und vermutlich am liebsten zu Weihnachten. Und da wir das Buch von Tabea Mußgnug beim besten Willen nicht empfehlen können, ist es genau das richtige Geschenk für Eltern, die ihrem Sprößling damit sagen möchten: Kind, studier‘ doch etwas Gescheites! Lass das mit den Geisteswissenschaften!
Denn ein gutes Licht wirft Tabea Mußnug auf Geisteswissenschaftler nicht. Sie selbst hat in Heidelberg Kunstgeschichte studiert und war gerade dabei, ihre Doktorarbeit zu Ende zu bringen, als das Buch entstand. So erklärt sich auch der etwas umständlich lange Titel: Nächstes Semester wird alles anders … Zwischen Uni und Leben! Für alle, die denken, sie bräuchten einen Plan. Besagten Plan hatte die Autorin weder in der Schule, noch an der Universität, noch als sie an ihrer Doktorarbeit schrieb. Sie selbst störte das offenbar nie, ganz im Gegenteil. Voller Stolz erzählt sie auf 202 Seiten, wie sie sich desinteressiert bis zur Doktorarbeit durchgeschummelt hat.
Mein Schnitt hätte vermutlich ein kleines bisschen besser ausgesehen, wenn ich das Abi ein kleines bisschen ernster genommen hätte. Für Englisch las ich die Clash of Culture-Shortstorys im Freibad am Tag davor. Für Deutsch lernte ich gar nichts, Effie Briest hatte ich immerhin gelesen. Und im Gegensatz zu manchen Mitschülern ging ich auch nicht in einen Mathe-Intensivkurs in den Osterferien.
Leistungskurse Kunst und Bio, „Faultierkonstellation“ also. Und sie erzählt allerlei Anekdoten aus ihrem Leben, wirft mit Vorurteilen den anderen Studierenden mit Hiwi-Job und Stipendien gegenüber um sich, basht die Vice, findet die Neon toll, schwelgt in Zeiten, wo es noch StudiVZ-Gruppen gab, und plaudert fröhlich über Studenten und Sex.
Um die Autorin selbst noch einmal zu Wort kommen zu lassen: „Das ist das Problem mit Alkohol und der Flirterei. Je betrunkener, desto williger, aber gleichzeitig desto peinlicher.“ Übrigens, Wodka-Brause verdankt Mußgnug ihren ersten Kuss und Wodka-O ihren ersten Sex, und wie sie schreibt, war beides, wie man sich unter diesen Umständen vorstellen könne, „nicht besonders erinnerungswürdig und eher peinlich“. So ist auch das Buch selbst - eher peinlich. An der Universität Heidelberg jedenfalls lässt sie kein gutes Haar, ausgenommen sind die beiden Mensen, denen sie ein ganzes Kapitel gewidmet hat.
Noch einmal die Autorin:
Es gibt Dozenten, die ihre Hiwis gut behandeln, und dann gibt es diesen Typ männlicher Dozent, der ausschließlich blonde Mädchen im Rock einstellt. Die Hälfte der Kunstgeschichtsprofessoren gehört in die letzte Kategorie, die Hiwis sind alle immer blond, schlank und sehr schick angezogen (Bluse, Pencilskirt, runde Echtlederpumps mit vernünftigem Blockabsatz).
Wer selbst an der Universität Heidelberg Kunstgeschichte studiert hat, kann bei solchen Passagen nur lachen und sich fragen, ob die Autorin überhaupt jemals das Institut betreten hat. Wie dem auch sei, Eltern, die ihre Kinder zur Verzweiflung bringen wollen mit einem Anti-Ratgeber, den man nach fast jeder Seite an die Wand pfeffern möchte, sollten dieses Buch neben das Paket Socken unter den Baum legen.
Tabea Mußgnug, Nächstes Semester wird alles anders … Zwischen Uni und Leben! Für alle, die denken, sie bräuchten einen Plan, S. Fischer, € 9,99.
Alle Fotos, wenn nicht anders vermerkt: Anika Meier.
„Manet, ein Streit und die Geburt der modernen Malerei“ klingt wirklich interessant, auch den Parthas-Verlag kannte ich noch nicht (tolle Bücher, auf den ersten Blick). Darum: Lieben Dank für den Tipp und insbesondere den damit verbundenen impliziten Hinweis auf den dazugehörigen Verlag!