Unter dem Stichwort Aufgelesen versammeln wir Fundstücke aus dem Netz. Leseempfehlungen sowie Kurioses über Kunst und fern der Kunst findet hier seinen Platz.
Vor ungefähr zwei Wochen kampierten Menschen in Berlin vor den Vorverkaufsstellen für Berlinale-Tickets, eine Woche später war der Spaß schon wieder vorbei. Die Kampierenden taten das nicht ohne Grund, denn viele der Filme auf der Berlinale schaffen es nicht in die bundesdeutschen Kinos. Zu kurz, zu lang, zu sperrig. Das möchten die Kinobetreiber ihrem Restpublikum nicht zumuten. Wenn man aber Glück hat, bekommt man ein paar der Filme zu sehen, die das Sleek-Magazine in einem kleinen Best-Of zusammengestellt hat. Darunter auch der Beitrag von Omer Fast, die Verfilmung von Tom McCarthys Roman „Remainder“. Allerdings ist der Film so geheim, dass es vorab noch nicht einmal einen Trailer zu sehen gibt. Da passt es ganz gut, dass die Spike ausführlich über Fast und seine Arbeit berichtet. Was der Berlinale aber eigentlich fehlt, ist endlich eine Karl Dall-Retrospektive. Behauptet zumindest Dr. Felipe Mainard von der Uwe Boll-Hochschule für Film im Kaput-Magazin. Dort bespricht er den Film „Sunshine Reggae auf Ibiza“ (in voller Länge unten). Nunja, wahrscheinlich wird Karl Dall auf der Berlinale erst geehrt, wenn nach Uwe Boll eine Filmhochschule benannt wird.
Wer in diesem Jahr keinen Film bei der Berlinale hatte: Harmony Korine. Er war mal Muse und Drehbuchautor für Larry Clarke, hat geschauspielert und fotografiert, einen veritablen Bad-Taste-Klassiker gedreht („Trash Humpers“) und er ist mittlerweile einer der wichtigsten amerikanischen Regisseure. Vielleicht ist das der Grund, weshalb die Dazed Korines beste musikalische Momente gesammelt hat. Da singen Senioren Country und James Franco singt Britney Spears. Beim Workout hört man am besten Madonna.
Um beim Thema Musik zu bleiben: Wahrscheinlich hat kein Genre in den letzten Jahren Pop so geprägt wie Vaporwave. Von Enthusiasten als das erste Genre gefeiert, das im Internet entstanden ist, klingt Vaporwave für die nicht Initiierten wie der Soundtrack zu einem Ausflug ins Einkaufszentrum, ca. 1994. Nur dass Mutti bei diesem Ausflug nicht dabei ist, dafür aber eine Menge halluzinogener Drogen. Diese kurze Dokumentation erklärt, was vor Vaporwave kam (Seapunk), seit wann der Hype vorbei ist, und warum Vaporwave Pop für das post-Internet-Zeitalter ist.
Stichwort Post-Internet. Das Sleek-Magazine spricht die große (und wahrscheinlich unbestrittene) These, dass das Internet die Kunstwelt für immer verändert hat, noch einmal aus. Macht aber nichts, denn hier kann man noch was lernen, zum Beipiel, wie alt Post-Internet-Art schon ist.
Die Veröffentlichung von Kanye Wests Album „The Life of Pablo“ ist schon wieder eine Weile her. Aber jetzt schon ein Klassiker: der Track „I Love Kanye“. Weil Kanye also hart am eigenen Image arbeitet, sollte er sich mal mit Pablo Picasso messen. Die New York Times hat den Vergleich angestellt - The Life of Pablo vs the Life of Kanye.
Von Pop zu Knarren: Der US-Präsidentschaftskandidat Jeb Bush twittert mit John Waynehafter Lakonie: America. Darunter ein Bild von einer Pistole, der Name ihres Besitzers aufgeprägt. Vielleicht macht er das nur, weil seine Umfrageergebnisse im Keller sind, oder vielleicht möchte er Donald Trump in Sachen Populismus überholen. Jedenfalls hat das Bild für Aufregung gesorgt. Außerdem dafür, dass Teju Cole ein paar Gedanken zu Amerika, Waffen und Walid Raad niederschreibt.
America. pic.twitter.com/TeduJkwQF3
— Jeb Bush (@JebBush) 16. Februar 2016
Um sich als Politiker so richtig zu blamieren, musste man im Jahr 2002 noch nicht twittern. Das hat Edmund Stoiber getan, als er seinen Parteikollegen die Vorzüge des Transrapid nahebringen wollte. Hört man sich die Rede mit ein paar Jahren Abstand noch einmal an, merkt man aber: Semantisch mag da alles ins Rutschen geraten, aber die Rede hat einen eigenen Rhythmus. Vielleicht brauchen wir eine Ästhetik des Stotterns. Vorarbeit dazu haben jedenfalls vergangene Woche Christian Metz und Kathrin Röggla in Frankfurt geleistet. Hier nochmal Stoiber im Remix zum Nachhören:
Der eine kann nicht so gut reden, der andere kann nicht so gut schreiben. Raimund Fellinger, der Cheflektor von Suhrkamp, hat im Interview mit dem SZ Magazin allerlei Anekdoten erzählt. Handke ein Arsch, Johnson ein Arsch, Bernhard ein Arsch. Und Letzterer ist es auch, der Probleme mit dem Schreiben hat, zumindest mit der Rechtschreibung und der Zeichensetzung:
Warum hat er nicht Korrektur gelesen?
Weil er es gar nicht konnte. Kommata konnte der gar nicht, Rechtschreibung auch nicht. Bernhard schlug Unseld mal vor, seine Schulden beim Verlag durch Lektoratsarbeiten zu begleichen. Der Verleger reagierte mit erschrockener Abwehr. Statt diplomatisch formulierte Absagen zu tippen, hätte Bernhard in die Tasten gehauen: »Wie können Sie Vollidiot so einen Mist schreiben und denken, dass der Verlag das auch noch veröffentlicht?«
Komma-Setzung nicht zu können, das ist offenbar voll okay. Ronja von Rönne kann es auch nicht, sagte sie im WhatsApp-Interview mit der Hip-Hop-Band Die Orsons und jetzt. Deshalb war ihre Mama die ideale Leserin für ihren Roman, der bald erscheint. Komma-Setzung beherrsche Mama besser als sie selbst, noch dazu sei sie ungeduldig, humorvoll und hart im Urteil, so die Tochter. Was die Autorin selbst über ihren Debütroman in den Chat tippte:
Mein Buch ist wie Frauen in Raptexten: dünn und bald leicht zu haben.
Der Pop-Autor Joachim Bessing hatte letzte Woche seinem Tagebuch auf waahr.de etwas über den Roman von Ronja von Rönne und über Frauenfiguren in der Gegenwartsliteratur anvertraut:
Die meisten aktuell publizierten Frauenfiguren haben ja leider so etwas leicht Brötchenhaftes. Ronja von Rönne schreibt über eine Frau, die ist wie ein Bagel. Zum Bagel gehört das Loch in der Mitte, es ist sozusagen Teil seiner Natur. Der Käufer des Bagels liebt dieses Loch, obwohl es ihm nichts bringt, dem Bagel aber auch nicht. Der Bagel, wenn er sich das hätte wünschen können, wäre s o gerne ohne dies Loch aus dem Ofen gekommen.
Vom Bagel und dem Loch ist es nicht weit zum Penis und den sozialen Medien. Angelika Schoder hat für das art Magazin ein paar Worte über Penis-Kunst verloren. Irgendwie drollig das alles, mit dem Penis und der Kunst und der Überschrift: Free Willy.
Erfreulich war vergangene Woche auch zu hören, dass es bei Heinz Strunk privat anders zugeht als in seinem gerade erschienenen Roman „Der goldene Handschuh“. Darin geht es nämlich um den Serienmörder Fritz Honka, der in den 70er Jahren in Hamburg Frauen ermordet und die Leichenteile in seiner Wohnung versteckt hat. Die Nachbarn beschwerten sich erfolglos über den Gestank. Was der Welt in der Wohnung von Strunk so aufgefallen ist:
Strunk lebt da eindeutig besser. Keine Frauenleiche weit und breit. Es riecht angenehm nach Holz, was von den Dielen und den vielen Holzscheiten kommt, die im Wohnbereich sauber aufgereiht an der Wand lehnen.
(Übrigens, das Buch ist tatsächlich so gut, wie es überall geschrieben steht. Das können wir an dieser Stelle bestätigen. Noch besser ist das von Heinz Strunk höchstpersönlich eingelesene und eingesungene Hörbuch.)
Das mit dem Leben und der Liebe ist nicht leicht, wie wir spätestens seit Heinz Strunks „Fleisch ist mein Gemüse“ wissen. Gerade freut sich die Netflix und Chill-Generation sehr über eine neue Serie: Love. Im New Yorker hat sich Ian Crouch einige Gedanken über die Serie und ihre Darsteller gemacht:
(…) as Gus, Rust seems more like an eighty-year-old seven-year-old, prone to tantrums that combine geriatric bitterness and juvenile irritation. Gus’s frustrated outbursts, peppered with “fucks” that sound more like whines than true expressions of anger, are mostly evidence that the no-longer-quite-young man needs a time-out.
Gus hat bestimmt auch mindestens einen Tumblr. Was den Zauber von Tumblr ausmacht, hat Elspeth Reeve für New Republic aufgeschrieben – der Text machte in den vergangenen Wochen die Runde:
Wong explained that teens perform joy on Instagram but confess sadness on Tumblr. The site, he said, is a “safe haven from their local friends. … On Tumblr they tell their most personal stories. They share things that they normally wouldn’t share with their local friends because of the fear of judgment. That has held true for every person that I’ve met.”
Es gab vergangene Woche eine traurige Nachricht: Der Romanautor, Semiologe, Philosoph und Mittelalter-Enthusiast Umberto Eco ist gestorben. Aus diesem Grund hier seine Ratschläge an junge Schreibende: