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Aufgelesen 2015.2: Über Lauch, Eisbären und Pinguine

Unter dem Stichwort Aufgelesen versammeln wir Fundstücke aus dem Netz. Leseempfehlungen sowie Kurioses über Kunst und fern der Kunst findet hier seinen Platz.

 

In den vergangenen Tagen hat es mancherorts bereits geschneit. Was macht man da? Richtig, nackt durch den Schnee hüpfen und auf Berge kraxeln. Zumindest taten das einige Leute für Ryan McGinleys neue Serie Winter, die gerade in New York ausgestellt ist. artnet hat sich die Pressemitteilung zur Show gründlich durchgelesen und kann mit so einigen Aussagen nichts anfangen. Aus der Pressemitteilung: „Impossibly, the unclothed bodies appear native to their wintry settings.“ artnet dazu: „In fact, the appeal of the photographs is how not native the bodies seem in their ‚wintry settings.'“ Wer laut artnet folglich in den Schnee und auf Eisschollen gehört: Eisbären natürlich. Recht haben sie.

Vanity Fair hat sich mit einem anderen amerikanischen Fotografen zum Lunch getroffen. Mit William Eggleston, dem Urvater der New Color Photography. Eggleston bestellte sich ein großes Glas Champagner gemischt mit Wodka, und so ging es dann auch weiter: “’What do you think of photography critics?‘ he asked me, and called for a double vodka with ice. I replied that they can seem as woolly and pretentious as wine critics. ‚It’s a sorry thing,‘ he said matter-of-factly.“ Oder: “’But we’re all photographers now,‘ I suggested. He ordered one more for the road. ‚May I take a cell-phone picture of you?‘ I asked.“ Spannender wurde es nicht.

Zum Thema Lunch und Amerika haben wir eine passende Bilderstrecke: New Yorkers On Their Lunch Breaks In The 1970s lautet die Überschrift, fotografiert von Charles Traub.

Bleiben wir noch einen Moment in Amerika und bei der Fotografie: Dem San Francisco Museum of Modern Art hat Stephen Shore vor der Kamera erzählt, wie er Schule schwänzte, Andy Warhol dabei irgendwie kennenlernte und von da an lieber in der Factory hing, als die Schulbank zu drücken.

Factory bedeutet auch Party. Dazu passend ein Text von Heinz Bude mit dem Titel Prolegomena zu einer Soziologie der Party, erschienen in der Welt. Vielleicht sollte man dazu sagen, dass der Autor Professor für Makrosoziologie in Kassel ist. Was wir dort lernen: “ Der Aufbau eines zeitlich terminierten Ego-Netzwerks gehört zur Leistung, die man von Partygängern erwartet. Entscheidend sind dann natürlich die Blicke, die, mit Paul Watzlawick gesprochen, den Unterschied zwischen Inhalts- und Beziehungsaspekten klarstellen. Nicht was man von sich gibt, sondern wie man es tut, ist ausschlaggebend dafür, ob man am Ende so allein nach Hause geht, wie man gekommen ist, oder mit einer schönen, reizenden Person, die man auf dieser Party erst kennengelernt hat, woanders noch was trinken geht. Die wichtigste leibexpressive Botschaft steckt freilich in dem, was man anhat.“ Und so weiter.

Symbolbild #1

Von der Soziologie nun zur Philosophie. Im F.A.Z. Lesesaal geht es derzeit um das Buch The Big Bang Theory und die Philosophie. Jürgen Kaube hat darüber ein paar Worte verloren: „Um die Komik der in der achten Staffel befindlichen Serie (176 Episoden à 20 Minuten) zu erklären, kann man aber den französischen Philosophen Henri Bergson heranziehen. Wir lachen, so seine These, über menschliche Unbeweglichkeit. Mechanisches Körperverhalten, zwanghaftes oder sinnlos umständliches Handeln, erstarrte Charaktere, fixe Ideen in Aktion – all das erscheint uns komisch.“ Big Bang Theory schaut eine Hälfte von artefakt auf Netflix immer zum Einschlafen, wenn der Geist sonst nichts mehr aufnehmen möchte. Oder Unbreakable Kimmy Schmidt.

Da wir gerade bei Menschen sind, über die man gerne lacht und redet. Jan Böhmermann sorgte in den vergangenen Tagen für eine angeregte Diskussion. Was er selbst dazu sagt:

Und was das Hatemag zu all dem Rummel und der Rapperei meint: Böhmermann ist ein Lauch. Weil: „Nachdem es bereits in der Vergangenheit (vor allem hinter den Kulissen) den ein oder anderen Streit inklusive durchaus begründetem Rassismus-Vorwurf gab, aus dem er sich mit ein paar Schlammschlacht-Zoten heraus manövrierte, hat der lustigste Böhmi aller Zeiten jetzt mal wieder bewiesen dass er eben nicht Jimmy Fallon ist, sondern der lauchige Typ, der in der Schule verprügelt wurde und sich jetzt ein wenig rächt.“ Das Fazit von Bayern 2: „Das Dumme ist nur: Alle reden gerade von der Integration mindestens einer Million Flüchtlinge. Viele von ihnen werden erstmal genau die Sprache sprechen, die Böhmermann veralbert.“

Symbolbild #2

Weiter geht es mit Pop, allerdings mit dem großen Handelsreisenden des Pop. Andreas Dorau ist, so sagt Gereon Klug:

Zwei-Hit-Wunder, Kinderstar, Ein-Film-Macher, Kunsttyp, Lyriker, Wolf im Schafspelz, moderner Naiver, Nichtsänger, Mythos, Playback-Mann, Ärgerpatient, Avantgardist, Rampensau (nur beim Singen), Vermeider, Anti-Hippie und zugleich Anti-Punk, internationaler Popstar, Kassengift, Antipode, Pastorensohn und ausgebuffter Saukerl.

Im Interview mit dem Kaput-Mag spricht der Plattenhändler, Musikkritiker und Sidekick von Andreas Dorau über seine Lesereise mit dem Autor, von Songs wie Fred vom Jupiter und Ich liebe die Bibliothek.

Lesefaule können sich Philosophie jetzt vortanzen lassen. Oder auch nachtanzen. Wenn wir also alle unsere Doktorarbeit getanzt haben, können wir uns an einen Klassiker der Medienkritik wagen, nämlich Guy Debords Gesellschaft des Spektakels.

Debord ist natürlich irgendwie schon eine akademische Institution geworden. Ebenfalls eine Institution sind die orangenen Penguin-Taschenbücher. Weil der Verlag jetzt 80 Jahre alt ist, hat Emiliano Ponzi ein Buch über den Verlag gemacht. Es wird niemanden überraschen, dass der Suhrkamp-Verlag von Peter Suhrkamp gegründet wurde. In der besten aller Welten, wie sich Ponzi sie vorstellt, wurde der Penguin-Verlag von einem antarktischen Pinguin gegründet.

Genug der Albernheiten, möchte man rufen. Aber noch eine Herzensangelegenheit. David Lynch  hat in den 1990ern Werbespots für eine japanische Kaffeemarke gemacht. Mit Agent Dale Cooper in der Hauptrolle. Ob Agent Cooper wirklich kalten Kaffee aus der Dose trinken würde, ist zu bezweifeln. Die Spots kann man sich trotzdem mal ansehen.

Wer sich vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden entspannen möchte, hört sich das gleichnamige Stück von John Cage an. Je nach Sichtweise besteht John Cages Klassiker der minimal music nur aus Stille. Oder aus allen möglichen Geräuschen. So oder so, der Performancekünstler DJ Detweiler hat einen Remix gemacht. Da ist er zwar nicht der erste, aber Soundcloud hat die viereinhalb Minuten vorsichtshalber gelöscht. Aus Urheberrechtsgründen.

Das Zentrum für politische Schönheit ist seit diesem Jahr eine Lieblingsinstitution aller, die finden, Kunst könnte mal wieder politisch sein. Wolfgang Ullrich wirft in einem Essay einen genauen Blick ins Manifest des ZpS. Und zeigt, dass eine antimoderne Haltung in der Mitte der sich links wähnenden Gesellschaft angekommen ist. Wie war das bei Walter Benjamin noch mal mit der Ästhetisierung der Politik?

Eine versöhnliche Nachricht zum Schluss: Die Museen verzeichneten in diesem Jahr Besucherrekorde. Catrin Lorch fragt sich für die Süddeutsche, warum das so ist.

 

Fotos: Anika Meier

 

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