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CfP: Das Bild als Ereignis. Zur Lesbarkeit spätmittelalterlicher Kunst

Spätestens seit Hans Georg Gadamers Hauptwerk Wahrheit und Methode von 1960 scheint es unmöglich geworden, ein Kunstwerk als ein Objekt zu begreifen, das sich gegenüber historischen Veränderungen als resistent erweist. Vielmehr befindet es sich in einer stetigen Begegnung von Tradition und Gegenwart, in der sich das Kunstwerk selbst unaufhaltsam verändert. Trotz dieses antiessentialistischen Zuges seines Kunstbegriffs leugnet Gadamer jedoch nicht, dass eine überhistorische Identität des Kunstwerkes besteht. Als sogenannte hermeneutische Identität bildet diese sogar die Voraussetzung für die jeweilige Aktualisierung eines Kunstwerkes. Gadamer betont dabei immer wieder das prozesshafte Wesen des Kunstwerkes, wenn er es mit Begriffen wie Ereignis oder Vollzug zu charakterisieren versucht, um so eine Reduzierung auf seine objektive, vom Ereignis, also seiner Begegnung mit dem Rezipienten, abgetrennte Beschaffenheit zu vermeiden. Das eigentliche Wesen und Sein der Kunst kommt somit erst im Vollzug oder Nachvollzug zum Vorschein, wie etwa erst das gesprochene Wort und die vollzogene Schauspielhandlung das wahre Wesen des Theaterstückes zu aktualisieren vermögen. Genau aus diesem Grund hebt Gadamer immer wieder die Nähe der Kunstwerke zur Dichtung hervor, die erst im Akt des Lesens oder Sprechens aktualisiert werden kann und erst so dem Rezipienten ihr „wahres Wesen“ offenbart und zur Auseinandersetzung mit ihm einlädt. In dieser Hinsicht ähneln sich Wort- und Bildkunst sehr. Beide vermögen den Rezipienten anzusprechen und ermöglichen ihm, in einen Dialog mit dem jeweiligen Werk zu treten. Auf diese Weise erscheint auch die bildende Kunst als eine Form der Sprache, die den Betrachter, sofern er sie lesen kann, nicht nur anspricht und befragt, sondern ihm ermöglicht zu antworten, ja ihn sogar zur Antwort auffordert.

Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses von Kunstwerken als Objekten, die wesentlich Ereignis und Vollzug sind, will das Kolloquium „Das Bild als Ereignis“ den Dialog mit der Bildwelt des ausgehenden Mittelalters aufnehmen. Als Ereignis lesbar werden die einzelnen Werke oftmals erst in ihrem Verhältnis zu anderen Objekten, Bildmedien und Texten, in ihrer Rolle bei rituellen Handlungen und nicht zuletzt im Umgang des spätmittelalterlichen Betrachters mit ihnen. Eine vollständige Rekonstruktion der verschiedenen Bildereignisse, in denen sich ein Kunstwerk einst realisierte, wird meist schon die Überlieferungssituation unmöglich machen. Es bleibt somit nur, vom Kunstwerk auszugehen und die verbliebenen Spuren der Ereignisse zu befragen. Eine solche ausschnitthafte Analyse könnte das Werk zwar nicht in seiner Totalität, aber immerhin in einigen wesentlichen Aspekten zugänglich machen, wäre es doch zu diskutieren, ob man nicht gerade am Ende des Mittelalters mit einem Bewusstsein für die Ungleichzeitigkeit der verschiedenen möglichen ereignishaften Realisierungen eines Kunstwerkes rechnen muss.

Doch steht das Kunstwerk nicht nur als materielles Objekt in vielerlei verschiedenen Beziehungen, sondern ist als Träger geistiger Konzepte immer schon mit der menschlichen Vorstellungswelt verbunden. Es trägt im Zusammenspiel mit anderen Medien dazu bei, immaterielle Bilder zu formen und zu transportieren, wobei diese immer schon auf das Werk selbst zurückwirken. So können Bild, Schrift und Ritualhandlung im Zusammenspiel miteinander das konzeptuelle Bild (z. B. eines bestimmten Heiligen) erschaffen und modellieren. Daher hilft die Berücksichtigung von liturgischen Abläufen, Festen, Kulthandlungen, Reliquienverehrungen, aber auch von Gebeten, Liedern, Festeinzügen und weiteren performativen Momenten, das Kunstwerk und seine Eingebundenheit wirklich nachzuvollziehen. Somit kann schon der bloße Standort für das Verständnis eines bestimmten Bildwerkes von wesentlicher Bedeutung sein. Das zunehmende Bewusstsein um diese dem Kunstwerk als Objekt äußerlichen Momente führt immer stärker zu einer Perspektive, die das Bild als Ereignis in der Wirklichkeit begreift.  Hinweise hierfür finden sich oftmals in unmittelbarer Verbindung mit dem  materiellen Kunstwerk.

Die Notwendigkeit, gerade die Kunstwerke des ausgehenden Mittelalters in ihrer Ereignishaftigkeit zu untersuchen, verstärkt sich durch die spezifische Situation der Zeit. So hatten beispielsweise die Steigerung der Frömmigkeit und die Verbreitung volkssprachlicher Texte nicht zuletzt durch die Errungenschaft des Druckes Auswirkungen auf die Religionspraxis, die immer stärker im Anschluss an die Devotio-Moderna-Bewegung eine gesteigerte Andacht nach sich zog, wie etwa im tatsächlichen Nachvollzug der Leiden Christi. Die Kunstwerke, welche derartige Frömmigkeitsübungen unterstützen oder zu solchen auffordern, bekommen nun eine neue Dimension, die nur aus ihrem Gebrauch, d.h. aus der Lebenspraxis heraus, verstanden werden kann. In der gegenwärtigen Forschung zeichnet sich stets deutlicher ab, dass die vielfältigen Funktionen der Bildwerke an der Schwelle zur Neuzeit mit der Herausbildung neuer formaler Werklösungen einhergehen, die erst in ihren je eigenen kontextuellen Einbindungen, in ihrer Wahrnehmung als Ereignis, ihre eigentliche Bedeutung preisgeben.

Unter dem in besonderer Weise dem Denken Gadamers verpflichteten Stichwort Das Bild als Ereignis möchte das Kolloquium neuartige Fragestellungen und Beobachtungen zur spätmittelalterlichen Bilderwelt anhand konkreter Einzelbetrachtungen und Interpretationen diskutieren. Dabei richtet sich die Veranstaltung besonders an Promovierende und kürzlich Promovierte, die zu einem spätmittelalterlichen Thema arbeiten. Auch soll der 111. Geburtstag Hans Georg Gadamers am 11. Februar 2011 mit zum Anlass genommen werden,  in seinem Sinne eine Diskussion zu eröffnen, die den Blick über die eigenen Fächergrenzen nicht scheut. Gadamers Hermeneutik wie sein Kunstbegriff stellen auch heute eine Herausforderung und Bereicherung dar, der sich wohl keine Geisteswissenschaft entziehen kann. Deshalb sind Forscher aus anderen Disziplinen, wie etwa der Philosophie, Geschichte, Literaturwissenschaft, Religionswissenschaft oder Theologie ausdrücklich ebenfalls zur Teilnahme mit einem Beitrag ermuntert.

Im Anschluss an das Kolloquium sollen die, hoffentlich durch fruchtbare Diskussionen weiter bereicherten, Vorträge in einem Sammelband veröffentlicht werden.

Bitte reichen Sie Ihre Thesenblätter von 1-2 Seiten maximal sowie die üblichen Angaben zu Person und Werdegang bis spätestens 20. September 2010 ein.

Termin: 11.-13. Februar 2011
Veranstalter: Dominic Delarue M.A., Johann Schulz M.A., Laura Sobez M.A.
Kontakt: [email protected]

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