Interview, Kunsthistoriker im Gespräch
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Wenn Kunst und Ethnologie aufeinanderprallen

Seit Ende März zeigen Sie im Museum der Weltkulturen in Frankfurt die Ausstellung „KunstVoller Widerstand“. Ist der Name programmatisch für die Kunstszene in Sri Lanka?

Sylvia Kasprycki: Der Name ist nicht programmatisch für die Kunstszene Sri Lankas als Ganzes, aber programmatisch für eine sehr einflussreiche Künstlergruppe, mit der wir intensiv gearbeitet haben. Der Titel reflektiert allerdings auch unsere Interessen. Wir wollten von Anfang an eine Ausstellung machen, die thematisch fokussiert ist. Ausgehend von dieser Künstlergruppe, die mit einer Vielzahl von Arbeiten in der Ausstellung vertreten ist, haben wir andere Künstler kennengelernt. Wir haben spezifisch Werke ausgesucht, die unter diesem großen Titel stehen.

In Abwehrhaltung und zugleich entblößt präsentiert sich „Der Pappkamerad“ von Pradeep Chandrasiri.

Auch wenn der thematische Schwerpunkt letztendlich unsere kuratorischen Interessen widerspiegelt, entspricht er doch einer sehr einflussreichen Künstlerszene, die sich seit den frühen 1990er Jahren die Idee des kunstvollen Widerstandes zum Ziel gesetzt hat. Sie will explizit Kunst produzieren, die aus der Sicht und Betroffenheit des Einzelnen eine gesellschaftspolitische Situation reflektiert.

Wie hat man sich die Kunstszene in einem Land vorzustellen, das seit 1983 vom Bürgerkrieg geprägt ist?

Kasprycki: Als wir begonnen haben in Sri Lanka Feldforschung zu betreiben, war uns die schwierige politische Geschichte bewusst. Wir haben erwartet − und das hat sich bestätigt −, dass die Kunst in Sri Lanka die 30-jährige Erfahrung von Militarismus und kriegerischer Auseinandersetzung reflektiert. Trotzdem ist die Szene nicht vollkommen vom Krieg präokkupiert. Wir haben begonnen in Sri Lanka zu arbeiten, als offiziell Waffenstillstand geherrscht hat. Man konnte lange Zeit im Land unterwegs sein ohne den unmittelbaren Einfluss dessen zu spüren, was in anderen Teilen der Insel passierte. Wir waren auch im Norden unterwegs, der erst zum Höhepunkt des Bürgerkrieges zwischen 2006 und 2007 für Touristen nicht mehr zugänglich war. Besonders in der Hauptstadt Colombo, wo sich die Kunstszene konzentriert, ist das Leben jahrelang am Bürgerkrieg vorbeigegangen. Diese Erfahrungen wurden in der Kunst explizit verarbeitet. Zugleich zeichnet sich die Szene durch eine große thematische Vielfalt aus. Wenngleich dieser Schwerpunkt hier in der Ausstellung überwiegt, ist der Krieg kein Thema, das für die gesamte Kunstszene Sri Lankas als charakteristisch zu gelten hat.

Welchen Status besitzen Kunst und Künstler in Sri Lanka?

Kasprycki: Der Status von Kunst und Künstlern in Sri Lanka ist sehr komplex und lässt sich nicht einfach fassen. Einerseits gibt es ein starkes Stadt-Land-Gefälle. In den Provinzen ist der Status von Kunst ein völlig anderer als in den Städten. Auch dort ist er jedoch nicht mit dem besonderen Status der Künstler in Europa zu vergleichen. Andererseits hängt das auch damit zusammen, dass die Kunstproduktion, etwa im religiösen Bereich, traditionell niederen Kasten vorbehalten war. Das hatte zur Folge, dass unter dem Einfluss kolonialer Erziehungssysteme mit einer westlich geprägten Kunstauffassung des ,l’art pour l’art‘ sri-lankische Künstler es schwer hatten, einen Status für sich zu finden.

Sehr prägnant im Hinblick auf die Wertschätzung künstlerischer Betätigung heute ist, dass die Kunstförderung von Kindern sehr aktiv betrieben wird, beispielsweise im schulischen Kunstunterricht, aber auch im Rahmen privater Initiativen. Es besteht also eine sehr große Wertschätzung quer durch alle Gesellschaftsschichten. Mit Blick auf die berufliche Perspektive des Künstlertums bestehen natürlich Bedenken hinsichtlich des Einkommens, im Grunde ist es nicht anders als in Deutschland. Wir haben nur wenige Künstler getroffen, die von ihrer Kunst leben können. Staatliche Kunstförderung ist so gut wie nicht vorhanden. Es gibt keine Förderprogramme, keine Galerie moderner Kunst, keine Kuratoren und nur sehr wenig Kunstkritik.

Die Assemblage „Amukku Saniya“ von Prageeth Manohansa erinnert den westlichen Betrachter an die Gesichter Picassos oder die Readymades Duchamps.

Wie wurden die Künstler für die Ausstellung ausgewählt?

Kasprycki: Unsere ersten Kontakte mit Vertretern der jungen Künstlerkooperative, die sich 2000 formierte, hatten wir während privater Aufenthalte in Sri Lanka. Wir haben Galerien besucht und versucht mehr und mehr Künstler kennenzulernen, um ein Netzwerk aufzubauen. Das war ein Prozess von einigen Jahren, in denen wir mit ca. 80 Künstlern, Galeristen und Sammlern Interviews geführt haben.

Aus dieser intensiven Auseinandersetzung mit den Künstlern und der sri-lankischen Kunst haben wir das Thema der Ausstellung entwickelt. Einerseits haben wir die Künstler ausgewählt, die uns künstlerisch interessant und inhaltlich aussagekräftig erschienen und die thematisch in das Programm passten. Andererseits waren aber auch rein praktische Aspekte ausschlaggebend, beispielsweise, ob die Kunstwerke für den Transport geeignet oder verfügbar waren.

Gab es Restriktionen seitens der Regierung, die Ihre Arbeit in Sri Lanka oder die Ausstellungsvorbereitungen beeinflusst haben?

Kasprycki: Nein, eine offizielle Einflussnahme hat nicht stattgefunden. Die einzige Beeinträchtigung unserer Arbeit bestand darin, dass die Kriegsgebiete im Norden und Osten für uns gesperrt waren, weshalb nur wenige tamilische Künstler in der Ausstellung vertreten sind. Auch im sri-lankischen Kunstbetrieb gibt es keine Zensur seitens der Regierung. Sogar während des Bürgerkriegs waren die Künstler frei in ihrer Arbeit, es wurden beispielsweise Ausstellungen gegen den Krieg veranstaltet.

Bisher hat die Kunst in Sri Lanka letztlich noch keinen so großen Einfluss auf die Gesellschaft und stellt insofern keinen politischen Faktor dar, den man kontrollieren müsste. In ihrem Ausdruck des Widerstandes bezieht sich die hier ausgestellte Kunst nicht auf eine bestimmte Partei oder Regierungspolitik, es geht vielmehr um gesamtgesellschaftliche Erfahrungen wie Leid, Gewalt und Krieg. Insofern machen die Künstler eine politische Äußerung auf einer sehr allgemeinen Ebene menschlicher Erfahrungen und nicht im Sinne einer expliziten Kritik an gewissen Autoritäten. Unsere Intention ist nicht, zu zeigen wie schrecklich die Zustände und die Geschichte in Sri Lanka sind, sondern wie Kunst auf jede Form von Krise reagiert. Das heißt, es geht um eine positive Bewertung dessen wie Kunst mit solchen gesellschaftlichen Prozessen umgeht.

Neben gesellschaftspolitischen Fragestellungen spielt die Religion eine wichtige Rolle in der sri-lankischen Kunst. Hier eine Fotografie von Dhanushka Amarasekara aus der Serie „Das Auge des Betrachters – Der Geist des Buddha“.

Zeichnet sich die sri-lankische Kunst durch eine bestimmte formale Ausdrucksweise aus?

Kasprycki: Ich denke, dass sri-lankische Kunst nicht als eine autarke Gesamtheit charakterisiert werden kann, die sich in ihrer Entität von der Kunst anderer Länder unterscheidet. Im Zuge einer globalisierten Kunstwelt kann Kunst nicht unabhängig von äußeren Einflüssen betrachtet werden. In Sri Lanka war besonders der westliche Einfluss während der Kolonialzeit prägend. Dieser wurde durch die Wahrnehmung der eigenen Kultur gefiltert und mit den künstlerischen Traditionen verbunden, um etwas Neues zu schaffen. Das Neue wurde dann letztlich dem Westen zurückgespiegelt und dort von den Künstlern abermals aufgegriffen und weiterverarbeitet. Es handelt sich also um ein ständiges Dialogprinzip, in dem sich die Kunst entwickelt.

Spannend an der sri-lankischen Kunst ist, wie die Künstler auf eigene historische und persönliche Erfahrungen und die eigene Kunsttradition zurückgreifen und sie in dieses Prinzip des globalen Austausches einbauen. Als Ethnologin frage ich mich, inwieweit Kunst Ausdruck von Kultur beziehungsweise Kunst kulturelles Handeln ist und wie sich das in Sri Lanka äußert.

Doris Stambrau: Anhand der Gattungen lassen sich die unterschiedlichen Voraussetzungen erkennen, mit denen sri-lankische Künstler im Gegensatz zu westlichen Künstlern konfrontiert sind. Beispielsweise gibt es in Sri Lanka kaum Videokunst, was den banalen Grund hat, dass die Technik fehlt. Kunst kostet Geld. Deshalb gibt es auch kaum Monumentalplastik. Im darstellenden Spiel und der Literatur hingegen gibt es eine sehr intensive und vielseitige Kunstproduktion.

Kasprycki: Daneben wurde besonders das Medium der Installation mit großer Begeisterung aufgenommen, da es in Sri Lanka eine gewisse kulturelle Entsprechung hat. Die Idee einer Synthese von Raum und Klang entspricht beispielsweise sri-lankischen Ritualen, in denen künstlerischer Ausdruck immer in ein räumliches Geschehen eingebettet ist und von Musik und Geruch begleitet wird. Sie sind also wie die Installation nicht nur ein-, sondern mehrdimensional. So war es leicht diese westliche Kunstform zu adaptieren und durch Kombination mit der eigenen Tradition zu einer eigenen Ausdrucksform zu ergänzen.

Ist „KunstVoller Widerstand“ eine Kunstausstellung oder eine ethnologische Ausstellung?

Kasprycki: Mit der Ausstellung „KunstVoller Widerstand“ bewegen wir uns an der Schnittstelle zwischen Ethnologie und Kunst. Wir hatten durchaus den Anspruch die Arbeiten aufgrund ihrer künstlerischen Wirkung auszuwählen, präsentieren sie aber in einem ethnologischen Museum mit Galerie für außereuropäische Kunst. Durch die Galerie soll die Annäherung beider Disziplinen vorangetrieben werden. Auch im akademischen Rahmen wird dies, beispielsweise durch die Global Art History, forciert. Schwierig dabei ist, dass ganz unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen. Die wenigsten Besucher der Ausstellung haben die nötigen Kenntnisse über die Kultur Sri Lankas, um die Kunst aus sich heraus zu verstehen. Sie sind zu sehr von ihrer westlichen Sichtweise geprägt. Besonders gut kommt die Ausstellung daher an, wenn sie im Rahmen einer Führung vermittelt wird.Wir hoffen, einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, die sri-lankische Kunst bekannter zu machen, den Blick für eine andere Kultur zu öffnen und die Annäherung von Kunst und Ethnologie voranzutreiben.

Die Ausstellung „KunstVoller Widerstand“ ist bis zum 24. Oktober 2010 im Museum der Weltkulturen in Frankfurt am Main zu sehen. Der Katalog „Artful Resistance. Contemporary Art from Sri Lanka“ kostet im Museum 29,90 €.

1 Kommentare

  1. Peter Heininger sagt

    Ein „Insider-Tip“ verschaffte mir einen überraschenden Einblick in eine interessante, für mich bisher ganz unbekannte Kunstszene, dafür vielen Dank!

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