Was ist Optographie?
Optographie ist die Wissenschaft um die Fixierung des letzten Bildes auf der Netzhaut im Moment des Todes. Dabei muss es sich nicht notwendigerweise um das handeln, was man gesehen hat - jemand kann etwa benebelt sein und es kann trotzdem ein Bild da sein. Man sieht mit dem Gehirn, nicht mit dem Auge, denn die Augen nehmen zwar das Licht auf, aber sie übersetzen es nicht. Wenn man sich beispielsweise eine gewisse Zeit mit dem Arm an einen Gegenstand lehnt, sieht man den Abdruck davon. So funktioniert ein Optogramm, das übrigens auch viel mit Fotografie zu tun hat. Man braucht, um ein Optogramm herstellen zu können, einen Hasen oder einen Frosch, verbindet ihnen die Augen und gewöhnt sie damit an die Dunkelheit. Dann nimmt man die Augenbinde ab, aber man sollte nicht vergessen, den Kopf des Lebewesens zu fixieren, da man sonst kein Bild bekommt. Das Bild muss einen starken farblichen Kontrast aufweisen, Schwarz und Weiß oder Rot und Weiß. Nach 30 Sekunden oder einer Minute tötet man den Hasen.
Haben Sie so jemals ein Optogramm hergestellt?
Nein, ich liebe Tiere. Wenn man das Tier nun getötet hat, nimmt man die Augen und legt sie über Nacht in eine Lösung und fixiert das Bild dann mit Rotlicht, ganz wie bei der Fotografie.
Bei der Fotografie geht es darum, das Bild eines Menschen als Andenken zu erhalten, um bei der Optographie ein Bild zu erhalten, muss das Lebewesen sterben.
Genau deshalb habe ich mein Buch „The Shutter of Death“ genannt. Oder denken Sie an Roland Barthes „Die helle Kammer“.
Gibt es in dieser Ausstellung echte Optogramme?
Ja, aber nur vier. Sie stammen von Evangelos Alexandridis, der Professor an der Universitäts-Augenklinik in Heidelberg war. 1975 sollte er im Auftrag der Polizei überprüfen, ob man die Methode der Optographie im Rahmen forensischer Ermittlungen anwenden könne. Er hat mit Hasen experimentiert. Bereits in den 1870er Jahren hat der Physiologe Wilhelm Kühne in Heidelberg erste Optogramme erstellt, die als Zeichnungen überliefert sind. Er griff dabei auf die Erkenntnisse des Histologen Franz Boll, Professor für Anatomie an der Universität Rom, zurück, der 1876 Rhodopsin als wichtigen lichtempfindlichen Trägerstoff im Auge entdeckt hatte. Auf den Optogrammen von Alexandridis sieht man beispielsweise eine Porträtzeichnung von Dali oder ein Schachbrett.
In der Ausstellung werden auch fiktive Optogramme gezeigt?
Ich habe zum Beispiel Menschen gefragt, worauf sie als letztes blicken möchten. Ich bekam die unterschiedlichsten Antworten: Ekstase, Mutter oder Jesus Christus. Die Antworten der Männer unterscheiden sich von denen der Frauen. Männer denken mehr an ihr Ego. Ein Mann wollte sich beispielsweise zuletzt noch einmal im Spiegel sehen, während Frauen ihre Familie noch einmal sehen möchten.
Wie sind Sie zur Optographie gekommen?
Alles fing damit an, dass ich 1992 zusammengeschlagen worden bin. Ich bin mit einem Mädchen zu einer Party gegangen, jemand beleidigte sie und sie hat den Mülleimer gegen die Tür des Gastgebers getreten. Wir sind kichernd davongelaufen und haben uns draußen auf eine Mauer gesetzt. Wir haben miteinander geredet und plötzlich hatte ich eine Faust in meinem Gesicht. Ich war ganz weiß gekleidet und meine Jeans war plötzlich voll Blut. Damals begann meine Obsession mit den Augen und dem Tod. Ich habe das erst Jahre später als Obsession begriffen.
Das „Museum of Optography“ war 2007 bereits in Köln zu sehen. Wann haben Sie als Künstler begonnen sich mit dem Thema zu beschäftigen?
In einem Time-Life Magazin habe ich ungefähr zehn Jahre nach dem Unfall das Wort „Optogramm“ gelesen und bin dann in London in eine Augenklinik gegangen und habe die Ärzte dort gefragt, ob es möglich ist, dass der letzte Blick eines Lebewesens im Auge fixiert bleibt. Man konnte mir dort nicht weiterhelfen. Ich habe daraufhin im Internet und in Bibliotheken recherchiert.
In der Ausstellung gibt es reale und fiktive Optogramme und Installationen, die dem Besucher ohne erklärende Wandtexte präsentiert werden. Der Besucher ist sich selbst überlassen.
Es geht um Imagination. Ich möchte provozieren und spiele dafür mit der Geschichte. Wenn man über Optographie spricht, schauen einen die Menschen verwundert an und sagen, ich glaube nicht daran.
Und deshalb erfinden Sie Beweisstücke?
Wenn Historiker über Römer sprechen und darüber, wie sie gelebt haben, dann stimmt das auch nicht in allen Punkten mit der realen Vergangenheit überein. Ich möchte, dass die Besucher in die Ausstellungen gehen und anfangen, die Dinge und ihre Wahrnehmung zu hinterfragen. Ich entwerfe eine Fiktion.
Die Ausstellung ist neben dem Titel „Der letzte Blick“ als „Museum of Optography“ überschrieben. Die Besucher gehen also in das Museum und erwarten womöglich eine Dokumentation über die Wissenschaft der Optographie.
Das ist gut. Ich komme aus England und erwecke einen Teil der Geschichte Heidelbergs zum Leben, indem ich Lügen erzähle. Stört Sie das? Aber deshalb ist es ja gerade zeitgenössische Kunst und nicht Geschichte. Ich bin kein Historiker, sondern Künstler. Sie stören sich daran, dass ich lüge?
Was ist mit den Besuchern?
Ich lüge nicht, ich entwerfe eine Fiktion. Zeitgenössische Kunst ist manchmal schwer verständlich. Ich gehe davon aus, dass die Besucher wissen, wie Kunst aussieht. Die Videos hier sehen aus wie Kunst und werden deshalb als Kunstwerke wahrgenommen. Die Ausstellung ist eine Installation.
Was ist Ihre Definition eines Museums?
Mein Museum ist eine enzyklopädische Sammlung von Objekten zu einem bestimmten Thema.
Die Ausstellung „Der letzte Blick“ ist noch bis 5. September 2010 im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg zu sehen. Der Katalog „Derek Ogbourne. Der letzte Blick – Museum of Optography.“ enthält Textbeiträge von Stefanie Boos, Kristina Hoge, Frieder Hepp, und Derek Ogbourne sowie ein Interview mit Evangelos Alexandridis und kostet im Museum 15,00 €. Der Essay „Twilight to Oblivion, My Little Museum“ von Derek Ogbourne (eine erweiterte Fassung des Katalogtextes) kann auf der Website des Künstlers heruntergeladen werden.