Was macht ein Kunsthistoriker in einer Bibliothek?
Eigentlich bin ich gar keine Kunsthistorikerin, ich bin Klassische Archäologin. Ich habe Klassische Archäologie im Hauptfach studiert und darin promoviert. Kunstgeschichte habe ich im Nebenfach studiert. In Freiburg habe ich schon während des Studiums als Hilfskraft mein Geld in der Bibliothek am Institut verdient. An die Uni wollte ich nicht, denn nach der Promotion wollte ich praktisch arbeiten. Ich hatte die Vision, dass ich in einem schönen Museum arbeite - wie man sich das eben so vorstellt.
So wie wir.
Das ist die naive Vorstellung, die man unter 30 noch hat. Irgendwann habe ich die Idee wieder hervorgeholt, die ich die ganze Zeit latent hatte: Ich habe mich für die Bibliothekslaufbahn entschieden. Ich habe damals ein zweijähriges Referendariat gemacht, für das eine Promotion Voraussetzung war; das ist heute nicht mehr so. Mein praktisches Jahr habe ich bei der Universitätsbibliothek Heidelberg gemacht, wo jemand für die Kunstgeschichte gesucht wurde, außerdem sind hier Archäologie und Ägyptologie sowie eben die Kunstgeschichte von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierte Sammelschwerpunkte. Nach dem Staatsexamen hatte ich das Glück, direkt übernommen zu werden, das war im Oktober 1998.
Ich habe heute immer noch mit meinen Fächern zu tun, bin aber auch praktisch gefordert, bei Schulungen und den elektronischen Angelegenheiten. Wenn ich will, kann ich nach wie vor schreiben und publizieren. Für mich ist es der Traumjob. Mittlerweile bin ich auch Leiterin der Handschriftenabteilung geworden, womit ich am Anfang nicht gerechnet habe. So bin ich nun auch für die Ausstellungen in der UB zuständig und betreue als Herausgeberin die Kataloge. Ich betreue sehr viele DFG-Projekte, kann viele junge Wissenschaftler und Hiwis einstellen, und diesen oft einen Berufseinstieg bieten. Für einen Geisteswissenschaftler ist die Arbeit in einer Bibliothek eine gute Alternative. Die Chancen auf einen Job sind nicht schlecht: Wenn man sich in der Bibliothek auf eine Stelle bewirbt, hat man es vielleicht mit 20 Mitbewerbern zu tun und nicht mit etwa 200 wie im Museum oder an der Universität.
Pluspunkt Promotion
Sie sind promoviert. Ist das für einen Job in der Bibliothek vorteilhaft?
Kommt darauf an. In den Geisteswissenschaften ist die Konkurrenz immer groß, deshalb haben promovierte Leute generell einen Vorteil. Die Altersgrenzen sind in den Bundesländern für das Referendariat unterschiedlich. Seit einigen Jahren gibt es eine andere Möglichkeit wissenschaftlicher Bibliothekar zu werden: Ein Fernstudium an der HU Berlin. Das Fernstudium kann man berufsbegleitend absolvieren. Ich habe mehrere Projektmitarbeiter hier, die etwa neben einer halben Stelle ein Fernstudium machen, um sich zu qualifizieren. Wenn man das Geld dafür aufbringt, kann man das nebenbei machen und es ist eine gute Alternative, falls man nicht in den Wissenschaftsbetrieb möchte. Früher war das Berufsbild davon geprägt, dass die Bibliothekare oft diejenigen waren, die nicht an der Universität bleiben konnten. In den letzten 20 Jahren hat sich das Bild geändert, da der Anteil an Management‑, Personalführungs‑ und Projektmanagementaufgaben größer geworden ist. Wir stehen hier unter Druck. Wir müssen unseren Haushalt selbst managen und stehen natürlich im Wettstreit mit den Fakultäten. Im Vorstellungsgespräch sollte man nie sagen, man lese gerne Bücher, wenn man gefragt wird, warum man Bibliothekar werden möchte. Zum Bücherlesen komme ich nur in meiner Freizeit.
Sie sind Fachreferentin für die Sondersammelgebiete Kunstgeschichte und Klassische Archäologie. Was ist das Ziel der Sondersammelgebiete und was sind Ihre Aufgaben?
Ich bin Fachreferentin, das heißt, ich bin zuständig für den Bestandsaufbau, der sich heute auf zwei Bereiche bezieht: Print und Online. Das klassische Geschäft ist der Printbereich, man sorgt also dafür, dass die Bücher „reinkommen“. Das geschieht vor allem durch Verabredung mit den Buchhändlern nach einem festgelegten Erwerbungsschema. Ich bekomme die Bücher auf den Tisch und kann dann auswählen. Im Sondersammelgebiet geht es aber um Vollständigkeit der wissenschaftlich relevanten Literatur aus In‑ und Ausland, deshalb muss ich finden, was die Buchhändler nicht liefern. Ich muss auch abgelegene Publikationen ermitteln, zum Beispiel Literatur aus Griechenland oder der Türkei. In den anderen Fächern geht es darum, mit dem zur Verfügung stehenden Geld auszukommen und die relevanten Publikationen auszuwählen. Nach der Ermittlung des Materials kommen die Bücher ins Haus und müssen katalogisiert und sachlich erschlossen werden.
In den letzten Jahren kam der elektronische Bereich hinzu, der heute mit zum Sammelauftrag der DFG gehört. Dazu gehören Katalogisierungen von Internetquellen im ART-Guide, die Publikationsplattform ART-Dok, Aufsatzerschließungen, gescannte Inhaltsverzeichnisse und Digitalisierung von Büchern im Volltext. Das alles macht die Arbeit sehr interessant.
Die UB bietet ein „Rundum-sorglos-Paket“
Im Blog von arthistoricum.net setzt sich Hubertus Kohle für die Publikationsplattform ART-Dok ein. Sieht man sich den Heidelberger Appell des Germanisten Roland Reuß an, entsteht der Eindruck, dass Wissenschaftler sich vor Open Access Publikationen fürchten. Welche Erfahrungen machen Sie mit ART-Dok?
Wir machen mit ART-Dok gute Erfahrungen, da sich bei uns nur die Leute melden, die online publizieren möchten. Hubertus Kohle unterstützt uns sehr und was die Schriftenreihen mit bereits gedruckt erschienenen Titeln anbetrifft, hat er seine Kollegen am Anfang ein wenig geschubst. Wir bieten ein „Rundum-sorglos-Paket“ und scannen die Aufsätze, spielen die Texte ein und erschließen sie, so dass sie nicht nur bei uns, sondern auch in internationalen Katalogen auffindbar sind. Der Wissenschaftler muss eigentlich nur ein Schriftenverzeichnis schicken. Die Autoren werden über die urheberrechtlich Lage aufgeklärt, auch darüber, dass ein Restrisiko bleibt, wenn man nicht wegen jedem Aufsatz beim Verlag nachfragt. Oft sprechen sich die Autoren selbst mit ihrem Verlag ab, v.a. wenn es um eine Monographie geht. Bei älteren Aufsätzen gehen wir dem Urheberrecht nicht immer nach. Hubertus Kohle ruft ja auch immer wieder dazu auf: Jetzt macht einfach mal, schafft Fakten. Denn wenn man beispielsweise mit einem Verlag keinen Vertrag abschließt, fällt das Recht an dem Text nach einem Jahr wieder an den Autor zurück und dieser darf mit ihm machen, was er möchte. Diese Frist berücksichtigen wir.
Mittlerweile haben wir in ART-Dok mehr als 1.100 Dokumente. Momentan haben wir sogar mehr Interessenten, die eine Schriftenreihe haben möchten, als wir hier verarbeiten können. Es nehmen inzwischen sogar Wissenschaftler von selbst Kontakt mit uns auf, die sich vorher lediglich über unsere Website informiert haben und einen Aufsatz, der noch nicht gedruckt erschienen ist, bei uns publizieren möchten. Innerhalb von einer halben Stunde kann so ein eingereichter Text bei uns online sein. Ich „erschrecke“ mit dieser Schnelligkeit die Wissenschaftler oft. Normalerweise rechnet man mit anderen Zeiten oder Komplikationsrückrufen. Es gibt auch Fälle, in denen Leute auf einen Kongress fahren und die Ergebnisse vorher bei uns publizieren wollen, da sie etwas Neues entdeckt haben und nicht wollen, dass ihnen jemand zuvorkommt. Der Vorteil so einer elektronischen Publikationsplattform ist mit Sicherheit die Schnelligkeit. Letzte Woche hatten wir zum Beispiel den Fall, dass wir eine Dissertation online gestellt haben, die sofort via Twitter und RSS-Feed verbreitet wurde. Das ist selbst in einem renommierten Verlag und mit einem gedruckten Buch in der Geschwindigkeit schwer machbar. Zu Beginn haben wir uns überlegt, ob wir die Texte ein Begutachtungsverfahren durchlaufen lassen, haben uns dann aber dagegen entschieden, denn Zeitschriften mit langen Wartezeiten und Redaktionsabläufen gibt es genug. Auf unserer Webseite ist das Publikationsprofil einsehbar. Wenn jemand promoviert ist, dann steht er selbst für das gerade, was er schreibt – ich mische mich als Bibliothekarin da nicht ein. Und Leute, die nicht promoviert sind, reichen Gutachten des Doktorvaters oder eines Hochschullehrers ein.
Insofern sind wir schlagkräftig, was natürlich bei den elektronischen Erstpublikationen zum Teil auch auf Kosten der Qualität gehen kann. In einer Zeitschrift, in der im Jahr nur zehn Aufsätze erscheinen, wird nur die Créme de la Créme publiziert. So ist das Niveau höher als bei uns, wo jeder promovierte Wissenschaftler publizieren kann, was er möchte. Allerdings nehmen die Texte keinen Platz im Regal weg und der Leser kann selbst entscheiden, was er lesen möchte.
Print oder online?
Spüren Sie in der Universitätsbibliothek Heidelberg die Folgen des Heidelberger Appells?
Ich versuche niemanden zu überzeugen, ich schildere nur die Vor‑ und Nachteile. Es besteht ja nach wie vor die Möglichkeit beides zu machen, also Print und Online zu publizieren. Wir haben Fälle gehabt, in denen Leute, um ihren Titel führen zu können, ihre Pflichtpublikation auf unserem Hochschulserver HeiDOK gemacht haben und im Anschluss – vielleicht auch erst Jahre später – sich an ein gedruckte Publikation gemacht haben. Eine vorausgehende Onlinepublikation muss im Vorfeld natürlich mit einem Verlag abgesprochen werden. Einerseits steht man unter Druck, denn man braucht für Bewerbungen den Titel, andererseits möchte man der Oma ein schönes Buch schenken können. Sehr gute Magisterarbeiten, die sonst nicht erscheinen würden, können auch bei uns publiziert werden. Früher musste man an die jeweilige Universität reisen, wenn man eine Magisterarbeit einsehen wollte, heute geht das problemlos via ART-Dok. Trotzdem kann ich es verstehen, wenn man Bedenken hat, schließlich kommt man mit einem Prachtband z.B. im Deutschen Kunstverlag eher in ein Rezensionsjournal oder gar in die Frankfurter Allgemeinen Zeitung als mit einer Publikation auf ART-Dok. Deshalb versuchen wir und auch Hubertus Kohle mit den Schriftenreihen zu zeigen, dass auch Wissenschaftler online publizieren, die es geschafft haben; man ist sozusagen „in guter Gesellschaft“. In zehn Jahren wird man sich die Frage nicht mehr stellen, ob online oder Print, in den Naturwissenschaften gibt es heute schon keinen Unterschied mehr. Ich habe die Geduld. Wir betreiben ART-Dok seit fünf Jahren und langsam macht sich eine Veränderung bemerkbar. Eigentlich müsste ein Appell an die Leute gehen, die die Stellen vergeben. Es sollten in Bewerbungsverfahren viel mehr auch die Schriften berücksichtigt werden, die nur elektronisch erschienen sind. Dem jungen Wissenschaftler, der sich traut online zu publizieren, darf das nicht zum Nachteil werden. In den Geisteswissenschaften muss der Bann gebrochen werden, man muss eben Geduld haben. Ich freue mich, dass neben Herrn Kohle junge Wissenschaftler wie Nils Büttner und Christoph Wagner eine andere Einstellung dazu haben.
Wie sieht in Hinblick auf die digitale Verfügbarkeit von Literatur die Zukunft der Bibliothek aus?
Wir bauen derzeit um, wir verdoppeln uns, die Lesesäle platzen aus allen Nähten. Zwar gibt es viele elektronische Medien und schon vor Jahren hieß es, niemand braucht mehr eine Bibliothek, aber ich bin fest davon überzeugt, dass die Bibliothek als Studien‑ und Lernort und auch als Bücheraufbewahrungsort nach wie vor seine Bedeutung hat. Man darf sich den elektronischen Dingen nicht verschließen, man muss Platz schaffen für solche Angebote. Ich glaube nicht, dass die Leute irgendwann nur noch mit dem iPad in der Metro sitzen. Die Wirkung des Buches ist ungebrochen.