Sie sind Redakteurin bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Wie sind Sie in die Feuilleton-Redaktion gekommen?
Ich habe nach dem Abitur Kunstgeschichte, Germanistik und Philosophie in Bonn studiert, wollte jedoch immer schon Journalistin werden. Während der Schulzeit habe ich daher beim WDR in Köln ein Praktikum absolviert, bei der Sendung ZeitZeichen. Wolf-Dieter Ruppel wurde mein Mentor. Damals wollte ich noch zum Radio. Nach dem Abitur folgten dann ein halbes Jahr Praktika beim WDR Fernsehen und beim Bundestag. Ich bin ins Studium gegangen und wusste, Journalismus interessiert mich, das könnte etwas für mich sein. Diese Erfahrung vor Beginn des Studiums kann ich nur empfehlen. Durch mein Auslandsjahr in England begann ich weiter nachzudenken, was ich beruflich machen möchte, da mich eine Uni- oder Museumskarriere mittlerweile auch reizte. Nach dem Magister bekam ich ein kurzes Promotionsstipendium in Frankreich, doch für das Vollstipendium bekam ich eine Absage. Ich saß in Paris und bekam die erste Absage, bekam die zweite Absage und es war klar, auch mit der dritten, die noch ausstand, wird es nichts. Da man ja Geld verdienen muss, habe ich mich in einer Nacht- und Nebelaktion bei der Berliner Journalisten-Schule beworben − mit einem Urlaubsfoto und einer schnell geschriebenen Reportage. Mit viel Glück hat es geklappt.
Eigentlich verdanke ich der Journalisten-Schule, dass ich jetzt bei der F.A.Z. bin. Das ist ungewöhnlich. Zwar kommen immer mehr von Journalisten-Schulen zu uns, aber eigentlich werden Leute bevorzugt, die vom Fach sind.
Neben der Journalisten-Schule musste ich wieder Praktika absolvieren; neun Monate Ausbildung und drei Praktika. Das erste war bei der F.A.Z. Ich durfte für eine Mutterschutzvertretung bleiben und jetzt bin ich schon seit 2006 dort, vertrete aktuell Julia Voss als Verantwortliche fürs Kunstressort.
Sie haben sich für die Journalisten-Schule entschieden. Was haben Sie dort gelernt, was Ihnen an der Universität nicht vermittelt wurde?
Alles, was ich auf der Journalisten-Schule gelernt habe, war neu. Das sind zwei völlig verschiedene Welten. Heute sage ich, dass ich nie bei der F.A.Z. wäre, wenn ich nicht diese beiden Welten kennengelernt hätte. Ich war vorher ein großer Fachidiot. Ich habe während des Studiums viele Praktika gemacht und habe gemerkt, dass ich den Spagat zwischen Journalismus und Uni nicht hinbekomme. Auf der Journalisten-Schule habe ich gelernt, journalistisch zu denken – einfach durch die Welt zu laufen und überall Geschichten zu sehen, Neugier zu entwickeln. An der Uni habe ich visuelle Kompetenz vermittelt bekommen und ein Auge für die Kunst. Mit meiner Professorin Anne-Marie Bonnet hatte ich aber auch eine fantastische Lehrerin für zeitgenössische Kunst.
Auf der Journalisten-Schule ackert man dann jeden Tag von morgens um 9 Uhr bis nachts. Man lernt den Druck des Journalismus kennen. Wer die Schule durchgemacht hat und am Ende noch sagt, er möchte Journalist werden, weiß wie der Alltag eines Redakteurs aussehen wird.
Promotion für ,Hardcore-Unitypen‘
Ein anderer Weg in den Journalismus ist ein Hochschulstudium und im Anschluss eine Promotion. Ist eine Promotion heute noch eine Alternative zur Journalisten-Schule?
Eine Promotion war noch nie eine zwingende Ausbildung für den Journalismus, sondern für eine Uni- oder Museumskarriere. Da ist die F.A.Z. eine große Ausnahme. Ich würde nur in Ausnahmefällen direkt nach dem Studium eine Promotion empfehlen. Es ist immer gut, zuerst zu arbeiten. Wenn man der ‚Hardcore-Unityp‘ ist, dann ist eine Promotion richtig. Aber ich kenne einfach zu viele Leute, die vier, fünf gar sechs Jahre promovieren, nebenher sehr aktiv sind und das Projekt Promotion nicht beenden können. Wenn man der Charakter ist, der eine Promotion in zwei Jahren durchzieht, sollte man es aber unbedingt machen, denn ich muss sagen, dass Leute, die ihre Promotion beendet haben, in einem Bereich extrem fit sind, und das Wissen sehr gut für sich nutzen können. Man muss aber aufpassen mit dem Mikrokosmos Promotion.
Einige neue Kunstkritik Studiengänge werben damit, die Studierenden zielgerichtet auf den Beruf des Kunstkritikers vorzubereiten. Wie schätzen Sie diese Studiengänge ein?
Das Problem bei diesen Studiengängen ist, dass man davon ausgeht, im Anschluss einen Arbeitsplatz als Kunstkritiker zu bekommen. Und das wird sehr sehr schwer. An der Journalisten-Schule wird man breiter ausgebildet. Dort habe ich gelernt, wie man Filme schneidet, moderiert und Radiobeiträge macht. Heute ist das Ziel der Journalisten-Schule, freie Journalisten auszubilden. Das war früher anders. Es wurden Redakteure ausgebildet.
Wir suchen immer gute Hospitanten.
Rumtreiben und schauen
Was macht einen fähigen Hospitanten aus?
Für den Umgang mit Kunst ist visuelle Kompetenz wichtig. Wir brauchen Leute, die sich rumtreiben, die viele Ausstellungen anschauen und einen geschulten Blick haben. Oft bleiben die Texte an der Oberfläche. Man muss sich intensiv in Themen hineindenken können, das muss man dann mit einer eigenen Meinung und einem selbstbewussten Auftreten kombinieren. Tiefe kann man durch Wissen erreichen. Nicht jeder ist ein Faktenkenner, aber visuelle Kompetenz ist unabdingbar.
Was sind Ihre Qualitätskriterien für zeitgenössische Kunst?
Eine Kunstkritik sollte sich mit mehreren Aspekten auseinandersetzen: der Arbeit der Kuratoren – wie ist die Präsentation, ist sie verständlich, unverständlich, revolutionär – und der Kunst. Es ist aber alles Training. Über die Jahre entwickelt man ein Auge für Kunst, die nachhaltig und präzise ist. Man erkennt, ob es sich um einen Künstler handelt, der bleibt. Präzise hört sich mathematisch an, so ist es aber nicht gemeint. Präzise im Visuellen heißt, dass die Kunst nicht wahllos und lieblos zusammengestückelt ist. Das Nachhaltige spürt man, das muss man aber auch trainieren. Der Besuch von Kunstmessen ist da ein gutes Training.
Es gibt Kunstkritiker, die keine Verrisse schreiben. Sie vertreten eine andere Position?
Es gibt Strukturen, die Verrisse benötigen. Was in der F.A.Z. auf der Kunstmarkseite erscheint, ist keine Kunstkritik, sondern die Entscheidung zu schreiben, ist schon das Statement. Bei der Kunstkritik geht es darum, feste Denkstrukturen einer Gesellschaft aufzudecken und aufzureißen. Ich glaube, dass der Leser anfängt nachzudenken, wenn er einen handfesten Verriss liest. Natürlich muss man einen Verriss behutsam setzen. Ja, ich bin absolut für Verrisse.
Präzision ist das Entscheidende
Was erwarten Sie von einer guten Kunstkritik?
Eine akkurate, nachvollziehbare Argumentation. Ich versuche, meine Argumentation von A bis Z zu deklinieren. Natürlich schafft man das nicht immer. Von einer guten Kunstkritik erwarte ich, dass sie argumentiert und wenn sie verreißt, muss sie die Dinge genau erklären. Ich versuche, wenn ich einen Text geschrieben habe, mir den Artikel noch einmal Satz für Satz laut vorzulesen, und nach jedem Satz überlege ich, was denkt der Leser, was erwartet er, was ist die nächste Information, die er braucht. Der Leser soll ja mit mir mitdenken, warum ich einen Verriss schreibe, auch wenn er später anderer Meinung ist. Präzision ist wahrscheinlich das Entscheidende und auch das Harte am Job.
Liebe Iona Herbert, gerade Kritik regt doch zur Diskussion an, provoziert Widerstand - wie wir hier gerade erleben. Wenn wir immer nur loben, kommen wir nicht weiter. Meine Artikel erscheinen ja auch im Internet, werden dort kommentiert, und ich habe mit keiner Silbe behauptet, dass ich reine Printkritikerin sein will, die sich um eine Diskussion drückt. Sie findet übrigens im Print über Leserbriefe statt, die wir natürlich ausführlich beantworten. Eine One-Woman-Show ist das ganz sicherlich nicht. Manchmal ist es sogar schade, wenn man einen Artikel schreibt und die Inhalte im schwarzen Loch unkommentiert verschwindet. Ich glaube, dass Sie die Diskursfähigkeit des Prints unterschätzen. Aber sie bekommt natürlich im Internet eine andere Transparenz, und das ist erfreulich.
Was also tun Iona? Kunstkritik abschaffen? Plaudern? Einen virtuellen Raum entwickelt, der den Diskurs anregt? Wird die Diskussion etwa dadurch fruchtbarer? Ich bin mir nicht sicher… sicher ist aber, dass ich gerne Verisse lese, weniger zur Meinungsbildung und mehr zur Unterhaltung.
Mit diesem Interview hat das aber alles recht wenig zu tun, oder?