Warum ein Deutsches Forum für Kunstgeschichte in Paris?
Das deutsche kunsthistorische Forum in Paris ist im selben Impetus gegründet worden, wie seinerzeit, vor rund hundert Jahren, die Institute in Rom und in Florenz. Der deutschsprachigen Forschung in Frankreich sollte ein Podium gesichert und ein Ort gegeben werden, von dem aus die Forscher in Frankreich operieren können, sich vernetzen und austauschen. Zu lange sind die deutsche und die französische Kunstgeschichte separate Wege gegangen. Insofern war die Gründung des Forums ein überfälliger Schritt, mit dem versucht wurde, das Modell der deutschen Institute in Florenz und Rom in etwas veränderter Form in Paris zu verwirklichen. Dabei sind andere Formate gewählt worden: Es ging dem Gründer, Thomas Gaehtgens, nicht darum, eine große Bibliothek aufzubauen, ein Institut mit großem Dienstleistungsbetrieb, wie etwa die Bibliotheca Hertziana in Rom. Es ging vielmehr darum, an vielen Orten in Paris und in Frankreich tätig zu sein und beweglich zu bleiben. Mehr eine Relaisstation also, ein Transitraum hinein in die französische Kunst- und Wissenschaftslandschaft.
Gegenstand der Forschung war und ist dabei immer die Wechselbeziehung zwischen der deutschen und der französischen Kunstgeschichte. Nicht nur um die deutsche Forschung zur französischen Kunst geht es also, sondern auch darum, das Interesse der französischen Kollegen für die Kunst, die Kunstgeschichte und die verschiedenen Denkschulen in Deutschland zu wecken. Seit ich im Jahr 2009 die Direktion übernommen habe, versuchen wir gerade diese Reziprozität zu stärken. Vor allem wollen wir uns auf der Ebene methodischer Reflexion und theoretischer Debatten treffen, dort also, wo wir jeweils unverwechselbar, weil in unseren eigenen Sprachen und Denktraditionen sind.
Welche neuen Akzente haben Sie als Direktor gesetzt?
Wir folgen hier zwei Prinzipien: Kontinuität und Wandel. Kontinuität heißt, dass wir natürlich die deutsch-französischen Kunstbeziehungen im Fokus unserer Forschungen und unserer Vortrags- und Kolloquiumsaktivitäten behalten, dass wir die deutschsprachige Forschung zu Frankreich stimulieren und, so gut es geht, erleichtern. Mit Wandel ist gemeint, dass wir versuchen, das Diskursive zu stärken. Dass wir unsere Gegenstände also nicht so sehr im Deutschen oder Französischen suchen, sondern uns beispielsweise über italienische Kunst unterhalten, aber dies als Franzosen und als Deutsche mit unseren jeweiligen Bildungstraditionen, Denkschulen und theoretischen Herleitungen tun. Uns geht es nicht darum, die deutsche und die französische Kunstgeschichte einander anzugleichen, die Unterschiede sollen vielmehr fruchtbar gemacht werden. In der Addition ergibt das den Reichtum des Faches Kunstgeschichte. Das auf der deutsch-französischen Ebene stattfinden zu lassen, ist übrigens nicht zuletzt der Versuch, im Wissenschaftsverkehr eine Alternative zur Standardisierung durch das Englische zu entwickeln.
Ein polyglotter Denk- und Sprechraum
Sie haben in Ihrer Karriere viele Stationen durchlaufen. Was ist die Besonderheit des Forschungsstandortes Paris?
Faszinierend ist für mich vor allem der Bestand an Kunstwerken, Archiven und Bibliotheken. Man bekommt in Paris nicht nur das Französische vor Augen gestellt, sondern auch internationale, europäische sowie außereuropäische Kunst, wenn Sie etwa an das Musée du Quai Branly oder das Musée Guimet denken. Die große Zahl und die Exklusivität der Sammlungen und nicht zuletzt die Architektur machen diesen Ort interessant. Außerdem findet hier verstärkt internationale Forschung statt – an den Universitäten natürlich, an den Grandes Écoles und den Forschungsinstituten, dabei sind es zunehmend auch ausländische, wie etwa die Terra Foundation. Und die sind wiederum hier, weil es diese unvergleichlichen Bestände gibt. Dadurch entsteht in Paris ein sehr polyglotter Denk- und Sprechraum. Wir hoffen, dass weitere Länder vergleichbare Institute hier ansiedeln, damit mehr von diesem internationalen Flair etabliert wird, das Paris auszeichnet.
Stark vertreten in unserer Disziplin ist nach wie vor die Italienforschung. Was kann die Frankreichforschung gegenüber der Italienforschung auszeichnen?
Das Prinzip der „filtrage“, also das Prinzip des Filterns und des Aufnehmens. Die französische Kunstgeschichte ist eine, wie es André Chastel beschrieben hat, die aufnimmt und absorbiert, sich verändert und dadurch einen größeren Horizont auf andere Kulturen eröffnet. Die kunsthistorische Frankreichforschung erschließt daher natürlicherweise einen größeren Radius, geographisch, wenn man so will, aber auch formal und ideengeschichtlich. Ein Vergleich zwischen Frankreich- und Italienforschung erscheint mir aber nicht wirklich hilfreich. Immerhin: Wissenschaftler, die sich in Deutschland mit der französischen Kunst beschäftigen, und das ist bezeichnend, sind in der Regel nicht nur Frankreichforscher. Während die Italienforscher in der Regel nur Italienforschung betreiben. Frankreichforschung hat eben nie nur mit Frankreich zu tun. Es kommt immer noch etwas hinzu. Deshalb ist sie, unter diesem Gesichtspunkt, offener und reichhaltiger und vielleicht insgesamt etwas elastischer. Von den eigenen Vorzügen der Italienforschung muss ich hier nicht sprechen.
Warum ist die Deutschlandforschung in Frankreich noch immer kaum präsent?
Das stellt sich meines Erachtens etwas differenzierter dar. Bei den von uns regelmäßig ausgerichteten Nachwuchskolloquien laden wir auch verstärkt junge französische Forscher ein, die über deutsche Themen arbeiten. Und deren Zahl ist gar nicht so gering. Trotzdem könnte das Interesse größer sein, das ist keine Frage. Man müsste allerdings nicht nur die Kunst in den deutschsprachigen Ländern bekannter machen, sondern zuvor noch die Sprache besser vermitteln. Früher wurde in Frankreich an der Schule viel mehr Deutsch gelernt. In Deutschland ist es mit dem Französischen ähnlich. Man muss früh damit anfangen, eine Sensibilität für den jeweils anderen Kulturraum zu wecken. Und das geht zunächst und vor allem einmal über die Sprache. Wenn diese Einlassungsbereitschaft erst einmal vorhanden ist, dann ist es ein Leichtes, diese Personen auch für die Kunst in Deutschland zu interessieren. Wir machen regelmäßig Reisen mit französischen Doktoranden nach Deutschland und führen sie in Regionen, die sie in der Regel nicht besuchen. Der Erfolg ist nachhaltig.
Sie arbeiten in ständigem Kontakt mit den deutschen und französischen Wissenschaftstraditionen. Was unterscheidet sie?
Es gibt Gemeinsamkeiten, Korrespondenzen, aber natürlich auch Unterschiede. Man sieht das allein schon beim technischen Vorgehen. Eine französische Dissertation entsteht beispielsweise ganz anders als eine in Deutschland. Darüber könnte man lange reden. Die französische Kunstgeschichte ist zudem sehr stark dem Patrimoniumsgedanken verpflichtet. Es geht immer auch um eine Bestandsbeschreibung und -sicherung, also eine sehr konkrete und am Werk orientierte Kunstgeschichte. Ich meine hier nicht die Schule um Louis Marin oder Hubert Damisch, die im weitesten Sinne eine eher anthropologische Kunstgeschichte betrieben haben oder auch phänomenologisch arbeiten, sondern spreche von den genuin kunsthistorischen Instituten der Universitäten. Dort ist der Patrimoniumsgedanke besonders wichtig, weshalb auch etwa die „Kennerschaft“ in Frankreich, im Gegensatz zu Deutschland, ein durchaus akademisches Thema ist.
Die deutschsprachige Kunstgeschichte dagegen ist, spätestens seit Wölfflin, oftmals strukturanalytisch ausgerichtet; auch hat die Warburg-Tradition, wenn auch mit Verspätung und über den Umweg des anglophonen Exils, die deutschsprachige Kunstgeschichte stark verändert, bis hin zu dem was die Franzosen noch „La Bildwissenschaft“ nennen und wir schon nicht mehr. Jedenfalls ist die deutschsprachige Kunstgeschichte von der Logik des Bildlichen und vom Eigengesetzlichen des Bildes bestimmt, sie ist, grundsätzlich und weithin, wenn man so will, philosophischer.
Zudem herrscht an den Universitäten in Frankreich nicht selten ein Positivismus vor, der viel mit der hiesigen Wissenschaftstradition zu tun hat. Ich will das gar nicht bewerten; aber sehr viele der Qualifikationsschriften, die in Frankreich entstehen, haben einen stark positivistischen Charakter.
Aber es gibt auch immer wieder Ausnahmen, in Frankreich nicht weniger, als in Deutschland. Insgesamt aber werden die Grenzen durchlässiger und internationalisiert sich die französische Kunstgeschichte zunehmend, nicht zuletzt nach deutschem Vorbild – und hier kommt der Vermittlungstätigkeit des Deutschen Forums ein erheblicher Anteil zu. Und übrigens bekommt es einer deutschen Kunstgeschichte sicher auch nicht schlecht, wenn sie sich gelegentlich an der starken Gegenstandsbezogenheit und -vertrautheit der französischen Forschung orientiert.
Viel Raum für den Nachwuchs
Was bietet das Deutsche Forum für Kunstgeschichte Nachwuchswissenschaftlern?
Das beginnt mit halbjährigen Praktika, die zunehmend gerne wahrgenommen werden und bei denen man vergleichsweise gut entlohnt wird – was nicht überall die Regel ist. Dabei werden die Praktikanten in einer unserer Abteilungen eingesetzt, also im Rahmen des Veranstaltungsprogramms, des Publikationswesens, aber auch in der Recherche und der Forschung. Es sind sechs sehr fruchtbare Monate, die man hier verbringen kann. Und in der Regel kommen die Praktikanten früher oder später auch wieder zurück, oft als Bewerber auf ein Stipendium. Das ist der nächste Schritt, mit dem wir den Nachwuchs fördern. Die Stipendien werden in der Regel im Rahmen eines Jahresthemas vergeben, aber man kann sich immer auch mit Themen bewerben, die mit den weiteren Aufgaben des Forums zu tun haben. Dabei gibt es Stipendien von ein bis zwei Jahren, zur Promotion oder zur Habilitation; dazu Kurzzeitstipendien für punktuelle Aufenthalte in einem Archiv oder Museum.
Darüber hinaus veranstalten wir zusammen mit dem Deutschen Historischen Institut Paris einen Kurs „Wissenschaftssprache Französisch“, bei dem sprachliche Fragen der Wissenschaftskultur Frankreichs vertieft werden und zudem in die Pariser Archive und Museumsstrukturen, kurzum in die hiesige Wissenschaftslandschaft eingeführt wird. Wir führen diesen Kurs jetzt demnächst zum vierten Mal durch und die Bewerberzahl ist ansteigend. Am Haus angesiedelt sind auch Assistenzen und Projektstellen, die explizit für den wissenschaftlichen Nachwuchs bestimmt sind. Es gibt also ganz unterschiedliche Formate. Unter den ungefähr 50 Personen, die am Forum tätig sind, zählen ca. 30 zu den Nachwuchswissenschaftlern. Das zeigt, dass es durchaus viel Raum für den Nachwuchs gibt.
Das DFK gibt ebenfalls Schriftenreihen heraus. Wie sind diese ausgerichtet?
Wir betreiben zwei Schriftenreihen, eine in Frankreich in der Edition de la Maison des Sciences de l’Homme und eine im Deutschen Kunstverlag. Wir publizieren innerhalb dieser Reihen unterschiedliche Formate; in erster Linie Kolloquiumsakten und Monographien zur französischen Kunstgeschichte, meistens Dissertationen oder Habilitationen, wie beispielsweise kürzlich jene von Thomas Kirchner über den „epischen Helden“, die bei uns in französischer Übersetzung erschienen ist. Überhaupt spielen Übersetzungen eine nicht unbedeutende Rolle. Wir sind dabei, in Zusammenarbeit mit dem Institut national d’histoire de l‘art eine Übersetzung von Harry Graf Kesslers Tagebüchern, genauer, Auszügen, welche die französische Kunst betreffen, zu publizieren. Julius Meier-Graefe steht als nächstes an. Ich sähe es gerne, wenn wir verstärkt Quellenschriften zur deutschen und französischen Kunstgeschichte in jeweiliger Übertragung publizierten. Da herrscht, auf beiden Seiten, ganz dringender Nachholbedarf. Das freilich ist mit enormem Aufwand verbunden, nicht nur kostenmäßig. Unser Spektrum jedenfalls ist relativ breit. Zusätzlich publizieren wir auch in Kooperation, wie beispielsweise vor einiger Zeit mit einem jungen Pariser Verlag eine Auswahl von Aufsätzen zur Fotografie von Herbert Molderings in französischer Übersetzung. Ich suche immer auch nach anderen Kooperationen, damit wir nicht in einer Nische versinken, sondern an möglichst vielen und verschiedenartigen Orten auftreten können.
Welche Prognose haben Sie als in Frankreich lebender Deutscher für die Fußball-EM?
Ich glaube, es gibt nur drei potentielle Meister: Portugal, Deutschland oder Spanien. Die Mannschaft, die am schönsten spielt, soll gewinnen.
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