Interview, Kunsthistoriker im Gespräch
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Fehler im System Kunstmarkt

Sie sind Kunsthistoriker, bei einer Versicherung tätig und promovieren über „Unternehmerische Vermarktungsstrategien von Business Artists nach Andy Warhol“. Was reizt Sie am Kunstmarkt?

Der Kunstmarkt an sich ist spannend. Man liest darüber fast jeden Tag in der Presse und in den Fachmagazinen, seien es Berichte über Auktionsrekorde oder Meldungen über Künstler. In meinem Beruf hat man letztendlich immer Kontakt mit dem Thema.

Mein Studienort Heidelberg ist nicht der Ort, der den Schwerpunkt auf zeitgenössische Kunst legt. Das bemerken Sie heute wahrscheinlich ähnlich. Zu meiner Zeit unterrichtete Raphael Rosenberg, da hatte die zeitgenössische Kunst einen exponierteren Status. Für mich war das schon immer ein spannender Bereich, das auch, da ich früh ein Praktikum in einer Galerie gemacht habe. Eigentlich komme ich aber aus einer ganz anderen Ecke. Ich habe mit Jura in Mannheim angefangen, nach drei Semestern bin ich nach Heidelberg gegangen, habe parallel Kunstgeschichte studiert und Praktika in diese Richtung absolviert. Über die Thematik „Art & Branding / Kunst und Marke“, zu der es 2005 in Zürich ein Symposium gab, hat sich schließlich die Fragestellung meiner Doktorarbeit herauskristallisiert.

Die zeitgenössische Kunst und den Kunstmarkt haben Sie also schon früh für sich entdeckt. Wann haben Sie sich für die Tätigkeit bei einer Versicherung entschieden?

Das war von mir nicht geplant. Natürlich war es aufgrund meiner Fächerkombination immer eine Option. Um dann allerdings als Kunstjurist arbeiten zu können, hätte ich Jura mit einem Staatsexamen abschließen müssen, das habe ich nicht gemacht, obwohl ich fast scheinfrei war. Ich habe mich für die Kunstgeschichte entschieden.

Wie haben Sie sich die Fähigkeiten angeeignet, die in Ihrem Beruf notwendig sind?

Thomas Steinruck

Thomas Steinruck ist „Underwriter“ bei den Mannheimer Versicherungen.

Ich habe ein Jahr in einer Galerie gearbeitet und habe dort sehr viel zum Thema Künstlerbetreuung mitbekommen. Dort war ich auch für die Betreuung eines Nachlasses zuständig. Allgemein braucht man für diesen Beruf einen guten Überblick über den Markt, deshalb sollte man viele Ausstellungen, Galerien und Messen besuchen und sich nicht scheuen, nach den Preisen zu fragen. Es gibt natürlich den klassischen Kanon im Kunstmarkt, für den man sich über die Jahre ein Feeling aneignet, was den Preis und die Wertentwicklungen angeht.

Zum Thema Grafikfälschungen habe ich in Bern an einem mehrtätigen Kurs teilgenommen. Dort lernt man sich Grafiken mit dem Mikroskop anzusehen, die sich so leichter einordnen lassen. Diese Fähigkeiten hätten im Fall um die „Sammlung Werner Jägers“ nicht geholfen, denn die Fälscher haben ja einen Stil kopiert. Bei einer Kunstversicherung allerdings ist man für das Bewerten von Echtheit und die Erstellung von Expertisen oder Wertgutachten nicht ausgebildet und nicht zuständig, das ist ein eigener Beruf.

Die Unabhängigkeit geht verloren

Hat sich der Fall um die „Sammlung Werner Jägers“ auf Ihre Arbeitsweise bzw. die Ihrer Versicherung ausgewirkt?

Er muss sich auswirken. Ihre Frage zielt in die Richtung, ob sich so etwas vermeiden lässt? Ich würde sagen, nein! Sobald Stilistiken und Techniken exzellent kopiert werden, gestaltet es sich schwierig, eine Fälschung von einem Original zu unterscheiden. Selbst ausgewiesene Experten sind wie sich im aktuellen Fall „Jägers“ gezeigt hat, vor Fehlurteilen nicht gefeit. Die Kunstversicherung versucht, solche Fälle im Rahmen Ihrer Möglichkeiten juristisch zu regeln. So wird dem geschädigten Versicherungsnehmer der Anteil der Prämie, den er zu viel bezahlt hat, im Falle der nachträglichen Feststellung einer Fälschung ausbezahlt. Man ist sicherlich sensibilisierter, jedoch lassen sich solche Vorkommnisse kaum vermeiden.

Welche Spuren hat der Fälschungsskandal bei Ihren Versicherungskunden hinterlassen? Stellen Sie Unterschiede fest, etwa zwischen Sammlern und Auktionshäusern?

Der Fall „Jägers“ zeigt letztendlich eines: Es gibt Fehler im System. Wird der Experte oder Gutachter anteilig an dem Wert bezahlt, den ein Original einnimmt, geht die Unabhängigkeit verloren. Es entsteht ein Anreiz, ein Bild als echt einzuschätzen, wenn dafür die Prämie entsprechend steigt. Wir als Versicherer stehen vor dem Problem, dass wir nicht die Möglichkeit haben, alle Provenienzen zu prüfen. Der Versicherungsnehmer sollte genau über seine eigene Sammlung informiert sein und ist es in aller Regel auch. Es lässt sich feststellen, dass gerade Auktionshäuser massiv reagieren, vorsichtiger geworden sind und genauer prüfen, bevor sie beispielsweise mit „Neuentdeckungen“ oder eindeutigen Zuschreibungen an die Öffentlichkeit gehen.

„Wie funktioniert dieser Markt?“

Von der Praxis zurück zur Theorie. Sie streben eine Promotion an. Ist eine Promotion für die Tätigkeit als Kunsthistoriker bei einer Versicherung unerlässlich?

Ich kann diese Frage nicht eindeutig beantworten. Ich selbst beobachte, dass eine Promotion im Berufsalltag von Vorteil sein kann. Oft setzt man sich mit fachkundigen Sammlern auseinander, die ihre Sammlung sehr genau kennen. Da ist die Skepsis einem Magister gegenüber wesentlich höher, als man es bei promovierten Kunstversicherungsexperten erlebt. Ich sehe eine Promotion nicht als Voraussetzung an, kann allerdings feststellen, dass ein Großteil meiner Kollegen promoviert ist.

Wie wichtig sind praktische Erfahrungen bereits im Studium? Welchen Tipp können Sie Studierenden geben?

Wenn man bei einer Kunstversicherung arbeiten möchte, macht es unbedingt Sinn, Erfahrungen im betriebswirtschaftlich-rechtlichen Bereich zu sammeln. Viele Kollegen von mir haben neben Kunstgeschichte Jura studiert. Juristische Kenntnisse sind insofern von großem Vorteil, als man in der Lage ist, sich in die komplexen Versicherungsbedingungen einzulesen und diese schnell zu verstehen. Auch ist das Absolvieren von Praktika im Bereich des Kunstmarktes eine Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Berufseinstieg als Kunstversicherungsexperte. Man sollte eine gute Marktkenntnis nachweisen können, die man sich in aller Regel durch Praktika und bestenfalls noch zwei Jahre Berufserfahrung in Galerien oder Auktionshäusern angeeignet hat.

Ganz neu gibt es jetzt in Zürich den Master-Studiengang „Art Market Studies“, wo man versucht graduierten Kunsthistorikern zu vermitteln, wie man einen Einblick in den globalen Markt der Kunst bekommt. Vermittelt werden sollen Themenbereiche wie: Wer sind die Akteure des Marktes? Wie funktioniert dieser Markt? Wie kann ich bewerten lernen? Wie unterscheide ich eine Fälschung von einem Original?

Sicherlich gibt es auch Quereinsteiger. Zudem trifft man als Kunstversicherer auf viele unterschiedliche Berufsgruppen und Charaktere. Man hat nicht nur mit Sammlern und Galeristen zu tun, sondern trifft ebenso auf Restauratoren, Kuratoren, Museumsdirektoren und Künstler. Insofern sollte man eine gewisse Offenheit und Neugierde unbedingt mitbringen.

Die Kunstversicherung kann mehr

Wie genau dürfen wir uns Ihre Tätigkeit vorstellen? Was gehört alles zu Ihren Aufgabenbereichen?

Die eigentliche Berufsbezeichnung von uns Kunstversicherungsexperten ist „Underwriter“. Über Makler oder Agenturen erfahren wir von neuen Kunden. Damit beginnt unsere eigentliche Tätigkeit: Wir besuchen unsere Kunden, nehmen die Sammlungen auf. Wir katalogisieren diese nach internationalem Object IDTM-Standard und bewerten sie anschließend. Wir erstellen im Rahmen der vorgegebenen Kompetenzen Verträge, arbeiten dabei immer ökonomisch. Deshalb liegt die Priorität unseres Jobs gerade darin, die gesamte Risikosituation zu analysieren und hinsichtlich Unterbringung, Lagerung, Sicherheit der Kunstwerke und Wahrscheinlichkeit eines Schadeneintritts einzuschätzen. Letztendlich fungieren wir aber auch als Ansprechpartner für alle Serviceleistungen wie die Vermittlung von Transportunternehmen für Kunstwerke oder Restauratoren.

Mannheimer Versicherung

Der Sitz der Mannheimer Versicherungen.

Was zeichnet die Mannheimer Versicherungen in Bezug auf die Versicherung von Kunst aus? Was kann man bei Ihnen versichern, was nicht?

Während sich einige andere Versicherungsgesellschaften auf Ausschnitte der Kunstversicherung konzentrieren, bietet die Mannheimer unter der Marke ARTIMA® ein Gesamtportfolio an Leistungen. Wir versichern beispielsweise Museen, Ausstellungen, Sammlungen, Restauratoren und Künstler.

Während eine Hausratversicherung in der Regel Schäden wie Feuer-, Leitungswasser-, Sturm- und Hagelschäden sowie Einbruchdiebstahl abdeckt, kann die Kunstversicherung wesentlich mehr. Die sogenannte Allgefahrenversicherung deckt alles ab, was nicht im Kunstversicherungsvertrag ausgeschlossen wurde. Dem Vertrag zugrunde gelegt ist ein Bedingungswerk, welches u.a. den Versicherungsumfang und -gegenstand sowie die Ausschlüsse regelt. Politische Risiken wie Krieg und Terrorismus sowie innerer Verderb der Kunstwerke gehören z.B. zu Standardausschlüssen. Hängt ein Werk ungeschützt in der Sonne und bleicht über Jahre hinweg aus, ist der Schaden nicht versicherbar, da er zum Einen beeinflussbar und zum Anderen durch eine fachgemäße Lagerung oder Verglasung vorzubeugen ist.

Wir von der Mannheimer Versicherung versuchen, uns nicht nur auf monetäre Kompensation im Schadenfall zu konzentrieren, sondern möchten für unsere Kunden umfassender Ansprechpartner sein. Wir geben Hilfestellung bei der Platzierung, Lagerung, Transporten, Erhaltung und Bewahrung von Kunst.

Wie ermitteln Sie den Wert eines Kunstwerkes als Basis für die Versicherung? Wer ist alles an diesem Prozess beteiligt?

Die Ausgangsfrage ist: Wie findet man für Kunstobjekte einen monetären Äquivalenzwert, der es dem Versicherungsnehmer ermöglicht, bei Totalverlust ein qualitativ vergleichbares Objekt wieder zu erwerben. Richtgröße bei der Wertermittlung eines Kunstwerkes und Basis für die Versicherung ist immer der so genannte „gemeine Wert“. Er ist grob definiert als der Preis, den das Objekt im Markt wahrscheinlich erzielen würde. Hierzu berücksichtigen wir wertbildende Faktoren wie Echtheit, Signaturen, Zuschreibung, Qualität, Größe, den Erhaltungszustand genauso wie Marktfrische, Marktgängigkeit des Motivs oder auch Moden. Auch die Provenienz spielt eine zentrale Rolle für die Wertermittlung. Um einen realistischen Wert zu recherchieren, nutzen und vergleichen wir Auktionspreisdatenbanken wie Artnet oder Artprice, unsere Kontakte zu Kunsthandel, Galerien und Museen sowie unsere eigene Erfahrung als Kunstsachverständige. Voraussetzung ist natürlich immer, dass vergleichbare Objekte überhaupt gehandelt werden, also einen Markt haben. Dabei müssen wir beachten, dass der Wert eines Kunstobjekts analog zum Markt, auf dem dieses gehandelt wird, volatil sein kann und auch spekulative Elemente beinhaltet. In der Regel gehen wir in regelmäßigen Zeitabständen alle Exponate durch und beobachten ihre Preisentwicklung. Dies ist äußerst wichtig, denn wir arbeiten mit so genannten „vereinbarten Werten“. Im Schadensfall zweifeln wir, im Gegensatz zu Hausratsversicherungen, den festgelegten Wert nicht an.

Leinwandschnitt

Was war der kurioseste Versicherungsfall in Ihrer Laufbahn?

Ich kann von einem besonders kuriosen Schadensfall berichten: Unser Kunde besitzt eine große Leinwand eines bekannten lebenden zeitgenössischen Künstlers. Wir bekamen die Schadensmeldung, dass das kleine Enkelkind unseres Kunden mit einer Nagelschere Figuren aus der Leinwand ausgeschnitten hatte. Wir haben zunächst den Kontakt zum Künstler hergestellt, der trotz des Schadens im Übrigen darüber amüsiert war. Zuerst wurde die Leinwand von einem Restaurator wieder „geflickt“, an der Schadenstelle grundiert und schließlich vom Künstler neu bemalt. Von der hohen Entschädigungssumme abgesehen, war das schon ein sehr kurioser Fall.

Können Sie noch Museen besuchen und Werke betrachten, ohne ihren materiellen Wert und deren Versicherung im Auge zu haben?

Mittlerweile fällt es mir eher schwer, Museen zu besuchen, ohne auf die Sicherungsmaßnahmen der Werke zu achten. Meine Blicke wandern sofort zu den Rauch- und Bewegungsmeldern. Das stört mich allerdings nicht, vielmehr finde ich es amüsant, mich selbst dabei zu ertappen. Trotzdem genieße ich die Ausstellungen immer noch sehr und setze mich gerne mit der Kunst auseinander.

 

 

 

 

 

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