Feiern, Ausschlafen und die Freiheit zu tun und zu lassen, wozu man Lust hat, so sieht das Klischee des Studentenlebens aus. Sie haben mit 21 Jahren Ihren eigenen Verlag gegründet und waren „jüngster Verleger Deutschlands“. War Ihnen das Studentenleben zu langweilig?
Existenzgründung und Studentenleben schließen sich nicht aus. Sie waren augenscheinlich noch nicht auf einer Party meines Verlags! Auch Ausschlafen ist hin und wieder erlaubt, denn es gibt für meine Mitmenschen nichts Schlimmeres als einen unausgeschlafenen Verleger. Ich habe also trotz unternehmerischer Aufgaben, die eine Existenzgründung mit sich bringt, wie Gewerbeanmeldung, Buchführung, Steuererklärung etc., ein „normales“ Studentenleben gelebt.
Freiheit und Eigeninitiative, die man als junger Mensch sucht und braucht, werden im Studium wenig gefordert. Als Magisterstudent hatte ich zehn Hausarbeiten zu schreiben: Zum Teil waren das gestellte Denkkorsetts, ohne viel Freiraum und Antrieb für eigenes. Daher war die fehlende Praxis sicherlich einer meiner Gründe für die Verlagsgründung. Vor allem aber ist die Edition für mich ein ideeller Hafen für Ideen und Pläne.
Wie hat Ihr Umfeld auf Ihr Vorhaben reagiert?
Ich habe eigentlich schon immer solche leicht verrückten Sachen gemacht. Die Begeisterung für das Buch hat bei mir früh eingesetzt. Mit elf Jahren habe ich begonnen, Regionalgeschichte zu erforschen und recherchierte in meiner Jugend in vielen Archiven. Wenn andere auf Musikfestivals gefahren sind, habe ich mich in irgendwelchen Staatsarchiven vergraben. Aus den Recherchen entstand eine Chronik, die ich mit 19 Jahren veröffentlicht habe. Dann habe ich ein Antiquariat mit 6000 Büchern aufgekauft, die alle in dem Haus meiner Eltern gelagert werden mussten. Seitdem gibt es bei uns kein Gästezimmer mehr. Und dann kam auch schon die Verlagsgründung.
Höhere Gesetze
Sie sind Verleger und gleichzeitig selbst als Autor tätig. Ist der Blickwinkel des Schreibenden ein anderer als der des Herausgebers?
Das sind zwei unterschiedliche Herangehensweisen. Als Verleger ist man in erster Linie Leser. Man benötigt Sprachgefühl und eine literarische Vorbildung, um das beurteilen zu können, was man auf den Tisch bekommt. Zudem ist man Organisator und Kommunikator, denn wie bei jedem Unternehmen geht es letztlich darum, Menschen zueinander zu bringen und Bedürfnisse zu stillen - in unserem Fall die Neugier, den Wissensdurst und die Nachfrage nach dem Objekt Buch. Mit dem eigenen Schreiben hat das wenig zu tun. Wenn man selbst schreibt, möchte man eigene Geschichten erzählen.
Bis jetzt habe ich meine Bücher im eigenen Verlag veröffentlicht. Als Autor mit einem nicht tagesaktuellen Anspruch macht man sich während des Schreibprozesses besser keine Gedanken über Geschmack oder Erwartungen der Leser. Hier gelten im Idealfall andere und höhere Gesetze. Als Verleger hat man aber sehr gegenwärtig zu denken. Da reicht es nicht, Texte im Blick zu haben und zu hoffen, dass die Leser diese annehmen. Vieles ist zu bedenken: Wie ist das Leseverhalten? Wie sieht aktuell der Markt aus? Wie gestalte ich das Buch? Wie sieht das Cover aus? Denn das Cover entscheidet, ob das Buch der Hochkultur oder dem populärwissenschaftlichen Markt zuzuordnen ist, ob es 8 oder 20 Euro kostet.
Ihre Angestellten sind etwa im gleichen Alter wie Sie selbst. Wie schaffen Sie es, sich Respekt zu verschaffen?
Unser Team besteht nicht aus Festangestellten, sondern aus freien Mitarbeitern und Praktikanten. Ich muss natürlich alles koordinieren, da aber der Verlag noch recht jung ist, bringen alle Mitwirkenden motiviert ihre eigenen Ideen ein. Diese Arbeitsweise macht eine Autoritätsperson beinahe überflüssig. Wenn der Verlag wächst, werden notwendigerweise auch mehr Strukturen entstehen, die überblickt, kontrolliert und gesteuert werden müssen. In erster Linie sollte sich in einem Verlag alles um das Buch und die Inhalte drehen und jeder Mitarbeiter aus diesem Grund Freude an der Arbeit haben und motiviert sein.
Sie treffen immer die letzte Entscheidung darüber, welche neuen Projekte Sie mit Ihrem Verlag angehen möchten. Welche Kriterien dienen Ihnen bei der Auswahl der Bücher?
Auch wir als relativ kleiner Verlag bekommen regelmäßig Manuskripte zugesandt. Bisher war jedoch leider nur ein interessantes Projekt dabei. Die meisten werden aussortiert. Bei der Auswahl ist vor allem wichtig, dass das Vorhaben zu unserem Profil passt, also Kunst, Geschichte, Literaturwissenschaft. Ansonsten kann man das schwer verallgemeinern. Das Sachbuch „Hitler in Paris“ habe ich zum Beispiel in der französischen Originalausgabe in Paris entdeckt. Nach dem Lesen habe ich beim Verlag angefragt, ob sie mir die Rechte verkaufen, und dann wurde es übersetzt.
Juniorhistoriker und Ahnenforscher
Vom Verleger Kurt Wolff stammt der Ausspruch: „Man verlegt entweder Bücher, von denen man meint, die Leute sollen sie lesen, oder Bücher, von denen man meint, die Leute wollen sie lesen. Verleger der zweiten Kategorie zählen für uns nichts – nicht wahr?“ Glauben Sie, dass diese Unterscheidung notwendig ist? Und bezieht sich der Name Ihres Verlags auf diesen bekannten Verleger?
Ich wollte den Verlag nicht nach meinem Familiennamen benennen, wie es oft üblich ist. Kurt Wolff war sicherlich eine Assoziation bei der Namensgebung. Doch den Namen entlehnte ich in erster Linie einer Vorfahrenfamilie, den Freiherren Wolff von Todenwarth. Mit dieser Bezeichnung wollte ich damals als Juniorhistoriker und Ahnenforscher eine historische Verwurzelung aufzeigen. Mittlerweile hat sich der griffige Name verselbstständigt.
Kurt Wolff und viele andere Verleger der Geschichte spielen für mich natürlich eine inspirierende Rolle, da sie beweisen, dass es schon immer solche verrückten Buchmenschen gab. Sein Zitat spricht sehr für das ideelle Anliegen, das klassische Verleger antreibt. Man muss das Betriebswirtschaftliche natürlich beachten, aber die Liebe zu den einzelnen Buchprojekten sollte immer dominieren. Ein neues Projekt wird bei uns wegen des Inhalts oder des Autors durchgezogen. Wenn wir den Glauben haben, dass wir ein gutes Buch in den Händen halten, wird es veröffentlicht. Natürlich wird auch eine Kalkulation erstellt, doch eigentlich kann man nur Erfahrungen kalkulieren, keine Hoffnungen. Die Wirtschaft fragt natürlich nach dem „Cashback“, doch das Schöne an Literatur und Kunst ist der wirklich langfristige „Return“.
Wie sieht es in der deutschen Verlagslandschaft aus? Haben kleine Verlage eine Chance?
Das Verlagswesen ist natürlich eine nach Gewinn strebende Branche und Teil der kapitalistischen Industriegesellschaft. Dennoch stammen, vor allem mit Blick auf die Kunstgeschichte, viele besonders wertvolle Bücher von den kleineren Verlagen. Freilich gibt es die Großkonzerne und ihre angeschlossenen Verlage, die zum Beispiel oft die Ausstellungskataloge publizieren. Dann sind da noch die kunsthistorischen Fachverlage, die mit großen Zuschüssen von staatlichen Institutionen, also Steuergeldern, ganze Publikationsreihen herausgeben. Das geschieht weitgehend ohne Liebe zur Sache, sondern als Teil einer selbstreferenziellen akademischen Maschinerie. Differenzieren kann und muss man folglich zwischen großen Verlagen und deren Produktion und den kleinen mit individuellen Projekten.
Primär ist es Aufgabe des Verlegers, Mittler zwischen Autor und Leser zu sein, Besprechungen zu erreichen und einen ausgewählten Kundenstamm aufzubauen. Je spezieller das Programm ist, desto spezieller ist die Zielgruppe. Benedikt Taschen hat das Kunstbuch in den 80er Jahren „demokratisiert“, doch unsere strategischen Pläne gehen eher in Richtung von ausgewählten und hochwertigen Druckerzeugnissen. Unser Buch über den wunderbaren Schriftsteller Heinz Piontek zum Beispiel interessiert eher Literaturliebhaber. Damit erreicht man nie eine vierstellige Auflage.
Hinter einem Berg Papier
Im Oktober 2011 haben Sie ein neues Projekt unter dem Titel „Atelierbesuch/Kunstgespräch“ gestartet. Den Beginn macht Klaus Staeck, politischer Plakatkünstler und Präsident der Akademie der Künste. Wie kamen Sie auf Staeck?
Während meines Studiums in Heidelberg bin ich oft durch die Ingrimstraße gelaufen. Dort sitzt Staeck stets hinter einem Berg Papier, zwischen Postern und Postkarten. Als sich meine Heidelberger Studentenzeit dem Ende zuneigte, wollte ich ihn noch unbedingt sprechen. Denn obwohl das Kunsthistorische Institut keine 300 Meter entfernt ist, gibt es keinerlei Verbindungen. Ich habe eines Abends im Dunkeln an seiner Tür geklopft und gefragt, ob er meine Reihe „Atelierbesuch“ eröffnen möchte. Seither hat sich eine gute Bekanntschaft entwickelt, und er unterstützt die weitere Entwicklung dieses Vorhabens.
Die Entstehung des ersten Bandes der Reihe begleiteten und kommentierten Sie detailliert auf facebook. Kann man sagen: Der Künstler gibt im Atelierbesuch dem Leser Einblick in den Schaffensprozess und Sie als Verleger dem Leser in den Editionsprozess?
Das Ziel war in jedem Fall ein doppelter Einblick. „Atelierbesuch“ hat das Ziel, den Künstler am Ort seines kreativen Schaffens aufzusuchen und die facebook-Dokumentation soll den Lesern zeigen, wie aus einer Idee ein Buch entsteht – von den Gesprächen über die Gestaltung, den Schreibprozess, den Druck, die Werbung bis hin zu den ersten Besprechungen. facebook ist mittlerweile zum wichtigsten Marketinginstrument unserer Zeit geworden. Ein Profil haben eigentlich alle Verlage, aber jeder geht damit anders um. Klaus Staeck gehört zu einer Generation, die facebook selbst eher nicht nutzt. Und das ist auch eine Idee dahinter: Staecks Generation in einen solchen Prozess mit einzubeziehen. Junge Künstler twittern und posten heute ja sehr viel, aber die Älteren sind für mich oft interessanter.
Wie sieht die weitere Planung für die Reihe „Atelierbesuch“ aus?
Bis zur Frankfurter Buchmesse im Oktober sollen mindestens drei weitere Titel der Reihe mit berühmten deutschen Künstlern erscheinen. Wir arbeiten zudem gerade daran, auch ein filmisches Produkt aus diesen Begegnungen entstehen zu lassen und mit dieser crossmedialen Umsetzung mehr Zielgruppen zu erreichen. Ab Mitte März werden wir außerdem ein Projektraum in Berlin, Unter den Linden 40, haben, wo wir einige Ideen umsetzen möchten.
Do it
Wenn Sie sich entscheiden müssten zwischen Schreiben und Verlegen, was würden Sie wählen?
Beides entwickelt sich zur Zeit parallel. Die Atelierbesuche sind als Reihe angelegt und jedes Buch soll ein wenig anders werden. Als Verleger ist es mein Ziel, den Verlag zu vergrößern, als Autor meinen Stil zu verbessern. Alles außerhalb des literaturwissenschaftlichen und kunstkritischen Bereichs würde ich nie in meinem eigenen Verlag publizieren wollen.
Doch grundsätzlich: Wir denken meines Erachtens zu sehr in Kategorien. Man ist Autor, Journalist, Kunstkritiker, Kunsthistoriker oder gar Künstler, und ein Kunsthistoriker darf zum Beispiel nie etwas Fiktives schreiben. Das ist natürlich alles zu starr und gleichzeitig gesamtgesellschaftlich notwendig, um ein bisschen Ordnung in das Chaos zu bringen.
Auch das Kunstgeschichtsstudium sollte in diese Richtung geöffnet werden: Das Verfassen von Kunstkritiken, Interviews und Essays sollte integraler Bestandteil werden. Das wäre sinnvoller, als zehn Hausarbeiten zu schreiben.
Da Sie selbst Kunstgeschichte studieren, wissen Sie aus eigener Erfahrung vielleicht am besten, wie schwer es ist, als Nachwuchswissenschaftler erste Publikationen zu platzieren. Können und wollen Sie auch als Plattform oder Sprungbrett für den Nachwuchs dienen?
Wir sind immer auf der Suche nach Manuskripten und Projektskizzen aus dem Kunst- und Literaturbereich, natürlich gerne auch von studentischer Seite. Und das ist auch eine Botschaft an all jene, die ihre zugewiesene Rolle in einer zur Ausbildungsfabrik verunstalteten„Academia“ leid sind: Eigene Projekte müssen umgesetzt werden. Nichts ist sträflicher, als es nicht versucht zu haben. Auch wenn diese amerikanische Do-it-Haltung vielen Deutschen fern ist, gibt es nichts Besseres, das man in die Gesellschaft einbringen kann, als die eigenen Ideen und Vorhaben.
Weitere Informationen zum Wolff Verlag sind auf der Homepage zu finden.
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