Interview, Kunsthistoriker im Gespräch
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3… 2… 1… Rekordsumme!

WELCHE FÄHIGKEITEN UND VORAUSSETZUNGEN MUSS MAN MITBRINGEN, UM IN
Ihrem Beruf erfolgreich zu sein?

Wichtig ist, was man für jeden Beruf braucht, wenn man ihn ernst nimmt: eine sehr große Neugier. Nützlich aber nicht zwingend ist eine kaufmännische Ausbildung. Unabdingbar sind eine gute Marktkenntnis, ein hohes Maß an Interesse und die Fähigkeit des erkennenden Sehens. Das bedeutet, dass man sein Auge permanent und jeden Tag schult. Oft arbeitet man mit Abbildungen aus Büchern, Katalogen, Preisverzeichnungen oder auch aus dem Internet und muss dabei mit zum Teil qualitativ sehr schlechten Fotos zurechtkommen. Um sich die Objekte dennoch vorstellen zu können, sollte man sein Auge regelmäßig schulen und eine gewisse Begabung dafür mitbringen.

Im Handel höre ich immer wieder den Satz: „Das erkenne ich aus zehn Metern Entfernung!“ Das sind Bemerkungen, die ich nicht gerne höre, weil sie meinen Beruf falsch beleuchten. Die Qualität von Kunstwerken kann man zwar häufig simultan erkennen, aber viele Fragen werden erst durch ein genaues Studium beantwortet. Meist reicht es, sich eine halbe Stunde konzentriert mit einem Objekt auseinanderzusetzen. Gerade in meinem Fachgebiet, der Keramik, gestaltet sich das Bewerten meist einfacher. Das Schwierige an der Keramik ist eher die Fülle der Objekte und nicht das einzelne Objekt, da die Produktionsweise weitgehend industrialisiert ist.

Kunstwerke außerhalb der Universität

Nach welchen Kriterien beurteilen Sie die Bewerber um Ausbildungsplätze in Ihrem Auktionshaus? Nutzen Sie Testverfahren, um das erkennende Sehen beurteilen zu können?

Bei Lempertz entscheidet ein Gremium von Kollegen einschließlich der Geschäftsführung über die Aufnahme der Auszubildenden und Volontäre. Als Ausbilderin sehe ich es als meine Aufgabe an, die Qualitäten von Menschen zu erkennen und zu fördern. Der erste Eindruck von unseren Bewerbern, den wir in Vorstellungsgesprächen gewinnen, ist zwar hilfreich, aber oft wissen die Berufseinsteiger selbst nichts von ihren Fähigkeiten. Ich möchte meinen Auszubildenden auch ein Stück Selbstfindung mitgeben. Selbstfindung ist ein sehr mächtiges Wort mit einem psychoanalytischen Hintergrund, das gerade bei jungen Leuten eine große Rolle spielt, da diese oft nicht einschätzen können, welch ein Potential in ihnen steckt.

Wie sieht eine Ausbildung in Ihrem Auktionshaus aus?

In der Regel bilden wir im kaufmännischen Bereich aus. Je nach Ausbildung dauert diese zwei bis drei Jahre. Meist sind unsere Auszubilden Abiturienten, die eventuell schon ein Studium angefangen oder sogar beendet haben. Die Auszubildenden verbringen zwei Tage pro Woche in der Schule und die restlichen Tage hier im Ausbildungsbetrieb.

Absolvieren bei Lempertz auch junge Kunsthistoriker mit abgeschlossenem Studium eine solche Ausbildung, um betriebswirtschaftliche und kaufmännische Kenntnisse zu erwerben?

Diese Kenntnisse sind sehr wichtig. Im Studium machen sich die Wenigsten Gedanken darüber, dass Kunstwerke, die man aus den Büchern und Präsentationen der Professoren kennt, tatsächlich käuflich sein könnten, also einen Marktwert haben. Man muss lernen, sie als kommerzielle Objekte zu betrachten und in ein finanzielles Verhältnis zu setzen. Bei einem Kunstobjekt hat man eine Reihe von sachlichen Kriterien, die konsequent nachprüfbar sind. Man lernt, einen Fragenkanon durchzugehen, der sich mit der Beschaffenheit und dem Zustand des Objektes sowie den ästhetischen Ansprüchen der Kunden auseinandersetzt. Allerdings bekommt man diese Kompetenz im Studium kaum vermittelt.

Wir haben zudem die Möglichkeit, in unserem Haus Volontariate anzubieten. Ich empfehle jedem angehenden Kunsthistoriker ein Volontariat im Kunstmarkt. Das ist wichtig, um einen anderen Blick auf die Dinge zu gewinnen und eine andere Facette kennenzulernen. Außerdem kann man es als ein Ankommen in der Alltäglichkeit betrachten: Als Student der Kunstgeschichte – mein Studium ist schon über dreißig Jahre her – hat man ein ‚behütetes Leben‘. Man bekommt im Studium nicht wirklich mit, was mit Kunstwerken außerhalb der Universität passiert.

Ein Netzwerk aus Experten und Sachverständigen

Wie kann man sich den Vorgang von der Einlieferung eines Kunstobjektes bis zur eigentlichen Auktion vorstellen?

Durch die Etablierung des Internets läuft insbesondere der Erstkontakt zwischen uns und dem Einlieferer seit etwa zehn Jahren in einem immer stärkeren Maße online ab. Wir müssen für unsere Kunden immer präsent sein und als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Macht uns ein Objekt neugierig, verabreden wir uns mit dem Kunden in einem unserer Büros in Köln, Berlin, München oder Brüssel, um bei einem Besuchstermin das Kunstwerk genauer kennenzulernen. Oder wir bitten den Kunden alternativ darum, zu einem unserer Expertentage zu kommen. Ist das Objekt groß und sperrig, was beispielsweise bei Möbeln häufig der Fall ist, reisen wir zu unserem Kunden. Bei Serien wie industriellem Porzellan aus dem 18. Jahrhundert kann der Wert meist schon in den ersten Gesprächen eingeschätzt werden. Andere Kunstobjekte, zum Beispiel Möbel, sind in der Regel rechercheintensiver. Uns steht allerdings ein sehr ausgereiftes Handwerkszeug zur Verfügung und auch ein Netzwerk aus Experten und Sachverständigen spielt bei der Einschätzung eine große Rolle.

Welche Schritte folgen auf die Erstbeurteilung eines Objektes?

Das Objekt muss zuerst in die Station gelangen, in der die Versteigerung stattfindet. Dann wird es vermessen, fotografiert und es wird ein genauer Zustandsbericht erstellt. Bis das Objekt schließlich im Auktionskatalog erscheint, steht noch viel Arbeit an, an der viele Mitarbeiter Anteil haben. Meist arbeiten wir unter einem hohen Zeitdruck, damit die Objekte rechtzeitig für den Katalogdruck freigegeben werden können.

Sie sprachen von Ihrem „Handwerkszeug“, das Sie zur Einschätzung von Kunstobjekten nutzen. Was darf man sich darunter vorstellen?

Das wichtigste Instrument, das wir nutzen, sind natürlich unser Augen und die unserer Kollegen. Mit Hilfe von Lupen und Lampen können wir die Objekte genauer betrachten. Außerdem bedienen wir uns teilweise physikalischer Untersuchungen, wir röntgen und mikroskopieren die Werke. Ein Fragenkatalog, mit dem sich bereits unsere Volontäre und Auszubildenden vertraut machen, verhilft uns zu sicheren Einschätzungen.

Im ersten Schritt prüfen wir die Echtheit des Objektes. Handelt es sich um ein Original oder um eine Fälschung? Erst im zweiten Schritt findet die eigentliche Schätzung statt. Dazu nutzen wir Online-Programme wie Artnet oder Artprice, die allerdings ein hohes Maß an Professionalität erfordern, da die kleinen Abbildungen schnell zu Fehleinschätzungen führen können. In hauseigenen Datenbanken finden wir eine große Fülle an Preisen, und ein sehr gutes hauseigenes Computersystem liefert uns Vergleichsbeispiele.

Sehr wichtig ist außerdem unser Gedächtnis. Ich arbeite seit etwa siebzehn Jahren bei Lempertz und kann häufig Preise durch meine Erfahrung und durch Vergleichsstücke in meinem Gedächtnis bestimmen. In meinem Fachgebiet, der angewandten Kunst, ist eine gewisse Duplizität vorhanden. Handelt es sich um ein Unikat, lässt sich häufig trotzdem ein vergleichbares Objekt finden. Finden gerade keine starken Kursrutsche statt, so kann man davon ausgehen, dass ein solcher Preis wieder realisiert werden kann.

Paradoxerweise sind es genau diese Preisausrutscher, mit denen der Auktionshandel wirbt, also mit Objekten, die extrem hohe Preise erzielt haben. Allerdings muss dies nicht immer eine Markttendenz widerspiegeln - so kann es sein, dass es sich einfach um ein besonders schönes Objekt in einer Reihe von vergleichbaren gehandelt hat.

Johann Gottlieb Kirchner, Löwin

3… 2… 1… Rekordsumme! Einer der Preisausrutscher, mit denen der Auktionshandel wirbt: Die sitzende Meißener Löwin wurde 1733 von Johann Gottlieb Kirchner für August II., Kurfürst von Sachsen, geschaffen und ist das teuerste Porzellanobjekt, das jemals auf einer deutschen Auktion verkauft wurde. Der Zuschlag erfolgte bei Netto 900.000 Euro (Brutto ca. 1.100.000).

Original oder Fälschung?

Welche Kriterien ziehen Sie heran, um zu entscheiden, ob es sich bei einem Kunstobjekt um ein Original oder eine Fälschung handelt? Wie gehen Sie bei volatilen Gegenständen wie der Keramik oder den Fayencen vor, um eine Provenienz sicher zu ermitteln?

Auch für mich ist es nicht immer einfach auszuschließen, dass es sich bei einem kritischen Werk um eine Fälschung handelt. Neunzig Prozent aller gefälschten Objekte, die mir unter die Augen kommen, erkenne ich sofort. Aber die zehn Prozent, über die ich nachdenken muss, sind sehr gute Fälschungen. Das ist auch der Anteil des Marktes, über den wir uns Sorgen machen müssen. Deshalb muss ich mich immer rückversichern. Ein Kollege, der mit mir den Bereich des Porzellans betreut, hat auch ein sehr gutes Auge dafür und ist gleichzeitig Justiziar von Lempertz. Als Rechtsanwalt arbeitet er auch eng mit der Polizei zusammen.

Porzellan ist ein Material, das, wurde es bei einer bestimmten Hitze im Ofen gebrannt, eine spezifische Massenzusammensetzung besitzt. Auch die Emailfarben lassen sich anhand ihrer Zusammensetzung überprüfen. Allerdings kann man Porzellan recht leicht fälschen, hält man sich an die Größen und beachtet gleichzeitig Mode, Motive und Farben beispielsweise des 18. Jahrhunderts. Werden Farben zudem mit der Pigmentzusammensetzung des 18. Jahrhunderts hergestellt, ist es schwierig, das gefälschte Objekt von einem Original zu unterscheiden. Leider stehen wir vor dem Problem, dass die Materialüberprüfung für das Porzellan nicht unkompliziert ist, da es durch Materialproben leicht beschädigt werden kann. Außerdem bleibt trotz Materialüberprüfung immer ein kleiner Unsicherheitsfaktor bestehen. Solange die Instrumente, ihre Bediener und auch die Arbeitsweisen nicht permanent kontrolliert und verbessert werden, müssen wir uns auch weiterhin auf unsere Augen und unsere Erfahrung verlassen. Kunst zu beurteilen, heißt Handwerk zu beurteilen. Wenn wir die Arbeitsweise, die typische Ausführung und die Kennzeichen eines Künstlers oder einer Zeit kennen und beurteilen können, haben wir eine wichtige Voraussetzung, um Fälschungen erkennen zu können.

Die Provenienzforschung ist noch ein recht junges Gebiet. Im Laufe der Zeit haben sich viele Zentren gebildet, auch an Museen wie etwa in Dresden, wo Sie zu bestimmten Objekten Provenienzen erfragen können. Die Objekte, mit denen ich mich hier beschäftige, sind in den alten Auktionskatalogen vor 1937 nicht immer alle abgebildet. Das heißt, ich muss die Objekte anhand der Beschreibungen und Beschriftungen identifizieren, was sich nicht in allen Fällen als ganz einfach herausstellt und nicht immer ganz zweifelsfrei stattfindet. Das ist gerade in dem Bereich, in dem ich arbeite, ein schwieriges und aktuelles Thema. In über 50 Prozent der Fälle bekomme ich eine vage Auskunft von den Besitzern. Oft handelt es sich um Erbstücke oder man hat sich mit den Provenienzen nie auseinandergesetzt. Es gibt in den seltensten Fällen noch Quittungen, was sich in der Zukunft ändern soll. Es wird versucht, die Objekte, die erkannt und identifiziert wurden, mit Pedigrees zu versehen; das ist bei bedeutenden Objekten auch überaus wichtig. Unter Pedigrees versteht man die Provenienz, also den Stammbaum der Objekte. Es ist nicht nur für die deutschen, sondern auch für die internationalen Museen wichtig, die Herkunft der Objekte zu dokumentieren. Wir haben auch hier einen Kollegen, der für Lempertz ganz gezielt Provenienzforschung betreibt.

Ihr Auktionshaus war von dem Fälschungsskandal um die Sammlung Werner Jägers betroffen. Wie hat sich der Fall auf Ihre Arbeitsweise und auf die Ihres Auktionshauses ausgewirkt?

Ich kann nur für meine Abteilung antworten, die von dem Skandal selbst nicht betroffen war. Meine Abteilung hat de facto eigentlich keine Auswirkungen gespürt, mich hat nur jeder Kunde darauf angesprochen. Ich habe den Kunden gesagt, dass man in jedem Materialbereich und in jeder Epoche über Fälschungen stolpert und dass meine Arbeit darin besteht, die Fälschungen auszusieben. Dass durch dieses Raster schon mal etwas rutscht, das ist völlig klar, wenn wir die Masse der Objekte betrachten – in meiner Abteilung sind das zwischen 5000 und 10000 Objekte pro Jahr. Aber ein Fall wie bei der Sammlung Jägers kommt ja auch nicht täglich vor. Meist sind die Fälscher industrieller organisiert, inzwischen gibt es riesige Fälschungsindustrien vor allem in den osteuropäischen Ländern und in China.

In welcher Größenordnung bewegen wir uns hier? Wie häufig müssen Sie genau hinsehen?

Meine Fälschungsquote ist sehr gering. Lediglich die Zuschreibungsfrage gestaltet sich gelegentlich schwierig. Das ist im Kunstgewerbe anders als bei Gemälden. Keramik ist manchmal nicht signiert, deswegen kann es passieren, dass man einen falschen Umkreis angibt und das Objekt aus einer anderen Werkstatt oder Zeit stammt. Das geschieht sehr selten. Die Irrtümer kommen in einer Auktion mit 800 bis 1000 Objekten maximal 20 Mal vor.

Bei einem Möbel gestaltet sich das noch schwieriger: Wie viel Prozent von einem Möbel müssen echt und aus der Zeit sein, wie viel dürfen ergänzt sein, bis man sagt, das Möbel ist nicht mehr aus der Zeit? So etwas beschäftigt auch die großen Messejurys wie in Maastricht. Eine Fälschung wäre es ja, wenn Sie in der Absicht etwas zu fälschen, ein neues Objekt erstellen, so wie der Fälscher der Sammlung Jägers das gemacht hat. Oder wie in Hongkong bestimmte chinesische Vasen gefälscht werden. Das sind Dinge, die neu hergestellt werden, weil man sieht, dass man damit viel mehr Gewinn erzielen kann als der normale Herstellungsprozess kostet.

Inwiefern unterscheiden sich Transaktionen zwischen Ihrem Auktionshaus und Museen von denen mit Privatpersonen?

Im Vorfeld einer Auktion schreiben wir alle potentiellen Interessenten an. Wer schließlich den Zuschlag erhält, hängt von der Auktion selbst ab. Das kann eine Privatperson oder ein Museum sein und beide müssen sich für den Fall rüsten, dass sie ihn bekommen. Das heißt, die Gelder müssen in dem einen, wie auch in dem anderen Fall bereitgestellt werden. Für Museen sind die Gelder oft nicht so schnell verfügbar, deshalb trifft unser Haus Abkommen über Zahlungsziele. Ist das Zahlungsziel nicht vollkommen geklärt, müssen wir natürlich den Eigentümer kontaktieren und fragen, ob er damit einverstanden ist. Viele Privatpersonen haben heutzutage einen großen Stab an Beratern, Kuratoren, Restauratoren und Spezialisten, um die Risiken bei einem Ankauf deutlich zu mindern. Ich persönlich verkaufe lieber an eine Privatperson, die sich von den richtigen Fachpersonen beraten lässt, als an ein Museum, das autodidaktisch über hohe Sponsorengelder entscheidet und sich keine Fremdexpertise einholt.

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