In Frankreich begeistert man sich derzeit wieder für Techno. Man muss sich nur die EP von Panteros666 (Bromance Records, 2013) ansehen und anhören: Das Cover und der Klang erinnern an die Thunderdome-Hardcore Compilations aus den 1990ern, nur eben so, dass auch Kunststudierende das gut finden können. Die Platte heißt passenderweise auch „Hyper Reality,“ benannt nach einem der Lieblingstheoreme der 1990er.
Überhaupt erinnert die sogenannte post-internet Ästhetik irgendwie daran, wie man sich in den 1990ern die Zukunft vorstellte. Diese Erscheinungen spielen natürlich Mark Fisher in die Hände, der in seinem demnächst erscheinenden Essayband „Ghosts of My Life“ mit Unbehagen behauptet, die Popkultur sei seit mindestes einem Jahrzehnt in der Wiederholungsschleife. Seine Essays stammen aus der Frieze, e-flux oder von Fishers eigenem Blog k-punk.
The slow cancellation of the future, so heißt die Losung, die Fisher in dem gleichnamigen Text ausgibt. Zukunft ist bei ihm der Begriff, von dem eine geradezu magische Suggestivkraft ausgeht. Die Erwartung des Fortschritts, ob im marxistischen oder im bürgerlichen Sinne, war die Hoffnung der Moderne. Spätestens mit den italienischen Futuristen beginnt die Idee, dass mit dem technologischen Fortschritt auch neue ästhetische Formen entstehen müssen:
Wir erklären, dass sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit. Ein Rennwagen […] ein aufheulendes Auto […] ist schöner als die Nike von Samothrake,
schrieb Marinetti 1909 ins erste Manifest des Futurismus. Ein ähnlich verheißungsvoller Begriff von Zukunft wie bei den Futuristen gilt in der Popkultur bis in die 1990er. Elektronische Musik aus Großbritannien – Jungle, TripHop, UK Garage – war, so Fisher, zuletzt imstande, einen derartigen future shock, zu erzeugen, ein kollektives Delirium, das die Möglichkeit einer Utopie zu bergen scheint. Technologie als Ausgangspunkt neuer Form, genauer, Formen, die nur in einer bestimmten Technologie realisierbar sind – Loops, Sampling usw. – sind die letzten Ausläufer dessen, was Fisher popular modernism nennt.
In den vergangenen zehn Jahren allerdings ist ihm die Popkultur schal geworden. Hier setzt Fishers Kulturpessimismus an. Die Technologie enthält keine Verheißung neuer Formen mehr. Stattdessen wird sie der Erzeugung längst bekannter Formen untergeordnet. So konnte der britische Produzent Mark Ronson mit neuester Technologie Musik aufnehmen, die 2005 eher nach Motown 1964 klang. Die Technologie wird dazu benutzt, die Geschichte anzuhalten, anstatt ihre Möglichkeiten zu realisieren.
Die Utopie einer Popmusik ohne Stars, die in den 1980ern mit House ihren Anfang genommen hat, scheint begraben. Man muss sich nur die DJ-Rockstars der letzten Jahre ansehen. Die elektronische Musik der 1990er ist die letzte Avantgarde der Moderne – so Fishers heroische Erzählung. Mit der Wehmut des Alternden hat diese Bewertung aber wenig zu tun. Die Essays, die Publikationen wie e-flux entnommen sind, wagen sich über popkulturelle Beobachtungen hinaus in ein Feld, in dem politische Theorie, Popkultur und Kulturpolitik eng miteinander verwoben sind. Ein Track des britischen Produzenten Goldie („Ghosts of my Life„) gibt der Aufsatzsammlung ihren Namen. Goldies Musik ist für Fisher auch das Epitom für den future shock und das Symptom für eine Utopie. Aber diese Utopie scheitert, da, so Fisher, im Spätkapitalismus keine Utopien mehr denkbar sind. Oder, um Slavoj Žižek zu bemühen: Man kann sich leichter das Ende der Welt vorstellen, als das Ende des Kapitalismus.
Die Waren- und Geldströme werden immer weiter beschleunigt, aber die Kultur stagniert und ist in einer endlosen Wiederholungsschleife gefangen, in der dieselben Formen wie Gespenster immer wiederkehren. Fisher ist ein genauer und kluger Beobachter der Pop- und Alltagskultur, schreckt aber nicht vor Generalisierungen zurück. Vielleicht läuft Fishers Assoziationsmaschine heiß, wenn er diese refacialization der Popmusik mit Facebook kurzschließt? Der Popstar und sein Gesicht werden wieder wichtig, und zugleich kann jeder auf Facebook sein Gesicht zeigen. Dort vermutet Fisher das Zusammenlaufen von Fäden im kulturellen Gewebe. Fisher scheint das destabilisierende Potenzial des Zitats zu verkennen, denn natürlich klingt der neue Techno nicht mehr wie der alte, und der Sound von Panteros666 hat wenig mit einem revival zu tun. Aber vielleicht liegt darin Fishers Ironie: Sein eigener theoretischer Rahmen kommt um den Sound der 1990er auch nicht immer herum.
„Ghosts of my Life“ erscheint am 30. Mai bei ZeroBooks.
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