Für 20 Posts, 8 Likes, 5 Fotos und 5 Nachrichten bekommen wir an der Kasse 2 x Milch, 1 Frucht-Cocktail, 1 x Toast und 1 Packung Knödel. Um zu bezahlen, müssen wir uns an der Kasse via dem uns gereichten iPad in unser Facebook-Profil einloggen und den Zugriff auf unsere Daten gestatten. Als Kundenbeleg erhalten wir unsere Facebook-Posts, Likes, Fotos und Nachrichten gedruckt auf einen Kassenbon samt dem freundlichen Hinweis, dass alle Facebookdaten wieder gelöscht werden - es werden jeweils die aktuellsten Posts, Likes, Fotos und Nachrichten von der Anwendung geladen. Nur: „Wir speichern Deine Facebook ID, Namen und Vornamen, um Dich bei erneutem Kauf zu identifizieren.“ Man dankt für unseren Einkauf. Der Kassierer weist uns noch darauf hin, dass wir gerne wieder kommen dürfen, allerdings darf jeder Kunde jedes Produkt nur 1 x erwerben.
So oder so ähnlich sähe sicherlich eine Szene mit Marty McFly an einer Supermarktkasse im Jahr 2020 aus. Auf den IV Teil von Zurück in die Zukunft muss dieser Tage in Hamburg niemand warten. In der Modeboutique Anita Hass in Eppendorf hat vergangenen Montag der Datenmarkt eröffnet. In den Regalen stehen Milch, ein Frucht-Cocktail, Toast und Knödel, die Mitarbeiter Florian Dohmann, Maximilian Hoch und Manuel Urbanke empfangen die Kunden beim Betreten des Datenmarkts mit einem Einkaufskorb und informieren über die Preise. Die Eppendorfer trauen sich nicht so recht in den Laden, viele kleben aber mit ihren Gesichtern an der Scheibe. Die Kids kommen natürlich in den Laden gestürmt, finden alles „voll cool“. Jemand will für eine Packung Toast auf ihre Facebookdaten zugreifen? „Egal.“
Ein Art Director, ein Werbetexter und ein Data Scientist wollen mittels dieses „Kunstexperiments“, wie sie ihren Datenmarkt nennen, herausfinden, wie hoch die Bereitschaft der Menschen ist, ihre Daten gegen Ware einzutauschen. Bisher haben sie beobachtet, dass die Kunden beim Einkauf darauf achten, was die Ware „kostet“. Meinem Begleiter waren die Knödel für 5 Nachrichten zu teuer, 8 Likes für eine Packung Toast waren okay. Kontrollverlust, totale Überwachung, NSA? Alle schreien auf. Doch wenn es für die eigenen Daten etwas gibt, lässt man Dritte darauf zugreifen, nur um selbst zugreifen zu dürfen. Wer unschuldig ist, werfe den ersten Stein.
Beim Betreten des kleinen Ladens hat man gleich zwei Déjà-vus. Die Rewe Eigenmarke Ja! steht in den Regalen, die wiederum dem Kunden wie die Kasse und die Einkaufskörbe sehr vertraut sind. Thomas Demand hat mit seiner Fotografie auf dem Titel des ZEITmagazins die Schlecker-Ästhetik in unser Gedächtnis gebrannt, während er das Verschwinden der Drogeriekette durch deren Bankrott dokumentiert hat. Im Datenmarkt wird den Kunden jeder einzelne Schritt ihres Kontrollverlusts vor Augen geführt - man kann das Projekt ein didaktisches Kunstexperiment nennen. Das iPad wird über das Band gereicht, man loggt sich bei Facebook ein, der Kassierer erläutert jeden weiteren Schritt, weist aber auch darauf hin, dass die Anwendung tatsächlich nur auf die zur Zahlung benötigten Daten zugreift; der Kunde ist bei den Guten gelandet. Ist der Bon gedruckt, wird man vom Kassierer ausgeloggt und gleichzeitig darauf hingewiesen, dass im Kassensystem die Facebook ID für den nächsten Einkauf gespeichert wird. Am Samstag schließt der Datenmarkt schon wieder. Vielleicht wird es eine weitere Filiale geben.
Der Datenmarkt ist noch bis einschließlich 22. Februar 2014 täglich von 10-19 Uhr geöffnet, Samstag von 11-18 Uhr. Datenmarkt bei Anita Hass, Eppendorfer Landstraße 60, 20249 Hamburg.
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