Kritik
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Traurige warme Tiere. Ronja von Rönnes Roman „Wir kommen“

Ronja von Rönne hat keinen Rant geschrieben, sondern ein Buch. Joachim Bessing ist sich sicher, dass sich der Roman verkaufen wird wie belgische Fritten, weil er so geil ist. Und Joachim Lottmann war beim Lesen wohl auch übermannt. „Schnoddrig, überlegen, witzig, respektlos – endlich eine neue Stimme in der deutschen Gegenwartsliteratur!“ Steht hinten auf dem Buch. Der Satz von Lottman endet mit einem Ausrufezeichen. Geil hätte er auch noch rufen können, hat er aber nicht. Und Til Schweiger hätte mindestens drei Ausrufezeichen mehr gesetzt, aber es wird auch so deutlich, dass Lottmann das Buch ziemlich gut findet.

Die Autorin derweil findet das Buch selbst nicht mehr ganz so gut. Auf Facebook brach sie ein bisschen heulend zusammen, als ihr der Kurier das Buch nach Hause brachte. Im WhatsApp-Interview mit jetzt und der Hip-Hop-Band Die Orsons sagte sie, dass sie sich nicht einmal sicher ist, ob sie ihr Buch mögen würde. Stellenweise mag sie es sehr, stellenweise aber sei es prätentiöser Bullshit. Für ihren Arbeitgeber, die Welt, hat sie eine Woche lang Tagebuch geschrieben und vertrauensvoll notiert, dass sie vor dem Erscheinen des Buches sehr große Angst habe und sich furchtbar fühle. Das Bangen hat ein Ende, das Buch ist erschienen.

Buch aufklappen. Lesen. Nach ein paar Zeilen und ein paar Seiten weiter ist klar, warum sie bibbert. Sie hat eine eigene Stimme, einen eigenen Sound, Lottman hat natürlich recht. In Klagenfurt nur hat sie damit schon keinen Blumentopf gewonnen. Ihren Sound könnte man, wenn man denn unbedingt will, nervig finden, man könnte ihr vorwerfen, das sei alles viel zu einfältig und viel zu verzweifelt, zu sehr Ich, zu viel Gefühl, zu wenig Distanz, zu wenig poetische Beschreibungen. Junge Autoren, wie Autoren generell, beschreiben ja gern ausschweifend, Gärten, Menschen, Landschaft. Beschreibungen, poetische noch dazu, muten literarisch an. Ronja von Rönne begnügt sich mit sachlicher Verzweiflung. Und das ist gut so. Wenn sie dann doch einmal beschreibt, liest es sich so:

„Ein schöner Tag, schlapp lagen die Felder herum, und die Windräder drehten ihre sisyphosschen Runden, die Luft bemühte sich schon, salzig zu riechen, das Meer konnte nicht mehr weit sein.“

Schön ist das. Sie bemüht sich, also muss sich die Luft auch bemühen.

Es ist ein Buch über vier Freunde der Generation „Uns-geht-es-zu-gut“ in einer Krise, die  gemeinsam für eine unbestimmte Zeit ans Meer fahren. Sie haben eine Küche mit Induktionsherd, ein Kind in der Trotzphase, das angeblich nur mit niemandem sprechen mag, weil es keinen Süßkram mit in den Kindergarten bekommt, sie trinken Sekt zum Frühstück, den sie Champagner nennen, sie sagen Sätze wie „Die Stadt ist trostlos. Generell, urbanes Leben ist over.“ Sie führen Beziehungen, die Imitationen von Filmen sind, sie schießen auf ihren Handys Schweine mit Vögeln ab, sie verwechseln Aufmerksamkeit mit Zuneigung und schlagen deshalb ihren Kopf gegen die Wand, sie haben kleeblattförmige Muttermale und sie zertrampeln in ihrem Strandhaus alle elektronischen Geräte, damit nur noch der Geruch von Bettlägrigkeit stören kann. Sie heißen Leonie und Karl, Nora und Jonas. Sie führen zu viert eine offene Beziehung miteinander und haben ein schweigendes Kind mit dem Namen Emma-Lou immer bei sich, um das sie sich kümmern. Und das trotzdem nicht mit ihnen spricht.

Der eine schreibt ein Buch über Glück, die andere schreibt To-Do-Listen, Nora schreibt Tagebuch für ihren Therapeuten, der zwei Wochen in Urlaub ist. Weil sie Panikattacken hat, das soll helfen. Dokumentation hilft, ihr Therapeut ist sich sicher. Nur ihre Panik weiß nicht, dass sie domestiziert werden soll und macht deshalb nachts einfach weiter wie immer. Und Noras Agentin schreibt ihr immer wütendere Mails mit der Betreffzeile: „Komm wieder!“ Nur ihre Freundin Maja schreibt nicht, weil Maja tot ist, aber davon will Nora nichts wissen, obwohl der Termin für die Beerdigung steht. Nora wartet geduldig auf Antwort von Maja und geht genauso geduldig mit der Schildkröte 390 Gramm am Strand spazieren. Beruflich geht Nora mit Hausfrauen für die Sendung „Super-Shopper“ einkaufen. Das gefällt ihr, da so niemand von ihr erwarten kann, dass sie sich selbst verwirklicht.

Nora möchte kein Kind mit Jonas, weil es später Kunstgeschichte studieren und „zum Bleistift“ sagen könnte. Denn Nora weiß, dass die Dinge im Leben meist anders kommen, dass man wenig kontrollieren kann und viel zu verlieren hat. Dass schon mal der Mann, mit dem man glaubt zusammen zu sein, plötzlich eine weitere Frau in die gemeinsame Wohnung einziehen lässt. Dann ist man zu dritt und irgendwann dann zu viert. Aber sie hat ein Rezept gegen die Angst, zumindest gegen die Angst nach draußen zu gehen. „Rausgehen hilft gegen Angst vor Rausgehen.“ Logisch. Konfrontationstheraphie murmelt der Küchenpsychologe bei diesen Zeilen.

In Noras Leben ist die größte Gefahr zeitweise, eine Serie zu gucken und dabei einzuschlafen und ihr größtes Versäumnis, kein Loch in die Matratze zu Hause gebrannt zu haben. Alle vier machen sie gerade eine schwierige Phase durch. Karl ist neurotisch, Jonas depressiv, Nora apathisch. Deshalb brauchen sie dringend eine Erinnerung daran, wie gut es ihnen geht. Eine Party im Strandhaus ist die Lösung, die beste Feier aller Zeiten, sie soll Heilung bringen und die Gleichgültigkeit wegwischen. „Wir brauchen diese Party, wenn wir mehr sein wollen als traurige warme Tiere.“

Ronja von Rönne, die Rant-Autorin, wie sie gern genannt wird, hat eine Geschichte über das Leben, tiefe Traurigkeit, Verzweiflung und die Liebe geschrieben, die nicht recht will und die erst recht nicht will, wenn man sie zu viert versucht zu umzingeln. Es ist eine Geschichte über die Liebe geworden, wie sie schöner, absurder und witziger auch die Netflix-Serie Love gerade nicht erzählen kann. Vier erwachsene Menschen verzweifeln an der Verzweiflung über ihr Leben, in dem man eigentlich glücklich sein sollte und deshalb ein Buch über das Glück schreibt, selbst aber nicht glücklich sein kann. Lieber lange im Bett liegt, kurz aufsteht und sich dann doch wieder hinlegt, weil die Überforderung einen draußen überrollen könnte. Da bleibt man lieber gleich liegen.

Langsam trudeln die ersten Rezensionen ein. Die Autorin freut sich:


Das Buch Wir kommen ist im Aufbau Verlag erschienen und kostet € 18,95.

Das Titelbild des Beitrags hat die Autorin dieses Textes in der Ausstellung Nachwirkungen von Thomas Hirschhorn in der Kunsthalle Bremen gemacht.

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