Kritik
Schreibe einen Kommentar

Fass mich nicht an: Abenteuerspielplatz und Wohnlandschaft. Rehberger in Frankfurt

bild_vorschau_hurra

Am meisten Spaß mit der Ausstellung „Home and Away and Outside“ von Tobias Rehberger haben wohl die Museumsaufsichten. In den Räumen der Schirn Kunsthalle in Frankfurt nebenan: „Esprit Montmartre. Die Bohème in Paris um 1900″, rote Wände, das Licht gedimmt, der Besucherstrom schiebt sich rechts und links an den Gemälden vorbei, an den Picassos, van Goghs, Toulouse-Lautrecs, Stille, bewunderndes Schweigen. Bei Rehberger grelles Licht, die Wände und der Boden sehen aus, als würde eine Horde Zebras wild durcheinander laufen und dabei ständig übereinander stolpern, an fast jeder Wand ein oder mehrere Spiegel, in der Mitte des Raumes Bänke und Skulpturen. Vielleicht doch erst einmal in den nächsten Raum schauen? Es wird noch heller, noch greller. An den Wänden statt Gemälden, wie auf Fensterbänken platziert, reihenweise Blumen in Vasen. An der hinteren Wand hängt der „M.J. Timer“, davor stehen ein Tisch und Stühle in Kindergröße. Alice im Wunderland-Feeling kommt auf.

Ich frage meine Begleitung, wie die Michael Jackson Uhr funktioniert. Er zuckt mit den Achseln. Von hinten nähert sich eine Museumsaufsicht. 12 Köpfe von Michael Jackson leuchten, sagt sie, links leuchtet 1 Feld, also 10 Minuten, rechts, 1,2, 3, zählt sie, Felder sind an, plus 3 Minuten, es ist 12.13 Uhr. Ein Blick auf das Smartphone bestätigt die Uhrzeit. Freude, die Uhr funktioniert. Wir hätten Glück, sagt sie, dreht sich um, geht in Richtung des ersten Raumes und zeigt auf die hintere Wand. In zwei Minuten sollen wir auf die Kuckucksuhren achten. Irgendwie müssen wir dann doch den Höhepunkt verpasst haben; als wir vor den beiden Uhren stehen, kommt uns nur eine rote Kugel entgegen und verschwindet kurz darauf wieder. Wir sehen uns im Raum um. Vor den zahlreichen Spiegeln stehen entweder Kids mit Smartphones oder Rentner mit Spiegelreflexkameras, die sich immer wieder anders positioniert fotografieren. Wir umrunden die Skulpturen. Die Skulptur mit der Hulk-Faust leckt offenbar, jedenfalls ist da eine Wasserpfütze am Boden. Auf dem Weg zur nächsten Skulptur werden wir von der Aufsicht eingeholt. Habt ihr gesehen, da dampft es? Rauch!, sie zeigt mit dem Finger auf eine kleine Rauchschwade. Warum es dampft, wollen wir wissen. Kunst, wisst ihr, es ist Krieg, sagt sie. 

Recht hat sie. Die Bemalung des Raumes ist an die der Dazzle ships im Ersten und Zweiten Weltkrieg angelehnt, es handelt sich gewissermaßen um eine Kriegsbemalung. Die Schiffe sollten mit dieser Camouflage-Technik auf dem Meer nicht zum Verschwinden gebracht werden, vielmehr sollte dem Feind erschwert werden, den Typ des Schiffes, dessen Größe usw. einschätzen zu können. Rehberger wiederum macht es dem Besucher mit seinem Dazzle painting nicht gerade leicht, sich im Raum zu orientieren. Die zahlreichen Spiegel und die im Weg stehenden Skulpturen sorgen zusätzlich für Desorientierung. Die Skulpturen sind Teil der Serie „handicapped sculptures“, sind also behindert - oder im Kontext der Ausstellung gesehen - beschädigt, versehrt. Wie der Streichholzhändler von Otto Dix befinden sie sich im Zentrum des Geschehens und sorgen durch ihre Behinderung für Irritation beim Vorbeigehenden.

Während Rehberger im ersten Raum mit einer Ästhetik der maximalen Sichtbarkeit des Ausstellungsraumes das Konzept des White Cube unterwandert, zelebriert er es im zweiten Teil der Ausstellung. So sehr, dass man vom Weiß der Ausstellungsfläche geblendet ist. Der Raum ist beinahe konzipiert wie ein dezenter Annäherungsversuch an einen Skatepark; schmale Rampen führen auf eine leicht erhöhte Fläche, gleich darauf geht es wieder nach unten, wenn man denn möchte. Auf den Raum, der durch eine begehbare Trennwand geteilt ist, sind diverse Wohnungseinrichtungsgegenstände verteilt. Dekoratives wie Blumenvasen und eine Uhr, Stühle, ein Tisch, eine Musikanlage, ein Bett, ein Bücherregal, wieder Stühle, noch mehr Sitzgelegenheiten, Schränke, an der Decke hängen Lampen, Prothesen liegen herum. Das Manko, man darf sich kein Buch aus dem Regal nehmen und es sich auf den Stühlen bequem machen, man darf sich auch nicht in das Bett legen. Man darf an den Blumen riechen, die Uhrzeit ablesen und man darf, wenn man es denn verstanden hat, auf einen quaderförmigen Sockel klettern und versuchen via von der Decke hängender Soundglocke der Musik von DJ Koze zu lauschen. Auf dem Sockel stehend wird der Besucher freilich selbst zur Skulptur, schwebt über der Kunst, schaut auf sie herab. 

Ohne „Beipackzettel“ (Dirk von Gehlen) und Kenntnis des Werks von Tobias Rehberger ist die Ausstellung ein großer Abenteuerspielplatz, man wandert umher, sieht sich um, wundert sich und fühlt sich ein wenig wie im IKEA Kinderparadies, es gibt viel zu erleben. Die einen allseits umgebende kreischend weiße Fläche, die Sockel (eigentlich ist alles im Raum Sockel), die Andacht und Stille im Raum, die bei allen waltende Vorsicht, nicht doch etwas anzufassen oder zu betreten, vor dem mit Stickern gewarnt wird (nicht anfassen, sonst Hand ab, Blut - ist graphisch dargestellt, neudeutsch für: Noli me tangere) erinnern permanent daran, dass man sich doch in einer Ausstellung befindet. Rehberger hat seine Arbeiten der vergangenen Jahre in Form einer Wohnlandschaft kombiniert. Die Blumenvasen samt jeweiliger Lieblingsblume sind Porträts seiner Künstlerfreunde Olafur Eliasson, Wolfgang Tillmans, Franz Ackermann usw., die Stühle und der Tisch in Alice im Wunderland Größe sind die nach Fotovorlagen reproduzierten Ausstellungsmöbel der „documenta I-III“ in Kassel, das Bett stammt aus dem ehemaligen Kinderzimmer von Rehberger und die Lampen sind auch nicht einfach nur Lampen. Unter der Katalognummer ist zu lesen: „Die Leuchtkraft dieser Lampengruppe wird mit Hilfe eines Computers so gesteuert, dass sie die relativen Helligkeitsschwankungen des Tageslichts am Ort der Installation vor einer Woche wiedergibt.“ So lässt sich jedes weitere Element der Wohnungseinrichtung aufschlüsseln. 

Beim Verlassen der Ausstellung hören wir zufällig das Gespräch einer Aufsicht mit einer Besucherin mit. Er erzählt ihr, dass er gut gelaunt nach Hause geht, wenn er im farbenfrohen Teil, also „Home“, der Ausstellung steht. Ist er „Away“ im Dazzle painting bekommt er Depressionen und möchte am liebsten sogleich einen Psychiater aufsuchen. Vielleicht haben die Aufsichten doch nicht immer so viel Spaß … „Outside“ jedenfalls sehen wir dann noch den dritten Teil der Ausstellung. Eine Lichtinstallation im Innenhof der Schirn. Die Installation wirft einen Schatten auf einen überdimensionierten Sockel, „Regret“ ist dort zu lesen. Was Rehberger wohl bedauert? 

 

Processed with VSCOcam with k1 preset

Spieglein, Spieglein an der Wand … „Unerfreuliches aus Diskobay“, 2008.

 

Processed with VSCOcam with k1 preset

Hulk wer? „Sieben Jahre Skulptur und Neid“, 2008.

 

Processed with VSCOcam with k1 preset

Der „M.J. Timer“ (2010) tickt.

 

Processed with VSCOcam with k1 preset

Der neue David - Soundglocke mit Musik von DJ Koze.

 

Processed with VSCOcam with k1 preset

I put the O in Books. „Nine“ (Türbeschriftung Bücherraum), 1996.

 

Die Ausstellung „Tobias Rehberger: Home and Away and Outside“ ist noch bis 11. Mai 2014 in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main zu sehen.

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>