Dass die Kunsthalle Mainz Ed Atkins zusammen mit Bruce Nauman zeigt, der gerne mit fast altmeisterlichem Pathos als Begründer der Videokunst gefeiert wird, zeigt vor allem, wie alt Naumans Arbeiten sind. Die Arbeiten der beiden Künstler sind sich formal gar nicht so unähnlich. Nauman filmt und fotografiert sich am liebsten selbst. Der Körper des Künstlers ist auf beinahe aufdringliche Weise in den Arbeiten präsent: Die Fotoserie „Studies for Hologram“ aus dem Jahr 1970 zeigt das Gesicht Naumans, er zieht mit den Fingern seine Mundwinkel auseinander. So lässt er vielleicht nicht auf den Grund seiner Seele, aber doch bis zu seinen Backenzähnen blicken.
Ähnlich nah scheint man dem Künstler in seinem 16-Millimeter-Film „Thighing (Blue)“ zu kommen. Der Titel lässt es vermuten: Nauman knetet seinen Oberschenkel, so dass das Zuschauen allein schon schmerzt. Auf der Tonspur ist ein Atemgeräusch zu hören, und der Titel der Arbeit bringt das Wort thigh mit sighing zusammen. Es stellt sich ein unangenehmer Präsenzeffekt ein, denn der Körper wird scheinbar modelliert, und scheint trotz der unscharfen Aufnahme auf Zelluloid ganz nah.
Ganz anders der Protagonist in Atkins‘ Film „Warm, Warm, Warm Spring Mouths“. Die Oberfläche des nackten Körpers ist aus hunderten Polygonen zusammengesetzt und gestochen scharf. Aber das Gebilde aus digital modellierter Haut ist leer, auch wenn die animierte Figur immer wieder Zeilen aus einem Gedicht von Gilbert Sorrentino rezitiert: „Once upon a time/A couple of people were alive/who were friends of mine.“
Naumans grobkörnige 16-Millimeter-Filme aus der Vorzeit der Videokunst und Atkins‘ Arbeiten sind sich auf den ersten Blick gar nicht so unähnlich. Während aber Nauman mit Erlösergestus sein Martyrium im Namen der Kunst aufs Zelluloid bannt, lässt Atkins in „Warm, Warm, Warm Spring Mouths“ einen computeranimierten Avatar agieren und Lyrikbruchstücke immer wieder aufsagen. Damit macht sich Atkins zum Exponenten einer jungen Generation von Künstlern, in deren Interviews der Sound der kontinentalen Philosophie aus den 1990ern nachhallt. Atkins:
Computergenerierte Modelle von Objekten und Avataren bevölkern die Videos, fungieren als hyperrealistischer Ersatz für echte Menschen bzw. für Dinge.
Anstatt den Verlust des Echten zu lamentieren, feiert Atkins‘ Kunst die entkörperlichten Körper. Mal sind die Protagonisten in Atkins‘ Filmen Avatare, zum Beispiel der, der für den ungeliebten Troll einsteht, der sich in Kommentarspalten und sozialen Netzwerken breit macht. Ein anderer Film baut aus standardisiert scheinenden Computeranimationen so etwas wie einen Blockbustertrailer, der mit dem Slogan endet: „This summer, destroy your life.“
Im Interview mit dem Kurator der Mainzer Schau fällt dann auch das magische Wort „spekulativ„, das derzeit im Zusammenhang mit dem spekulativen Realismus durch alle Blogs, Magazine und andere Periodika geistert. Atkins benutzt CGI nicht, um bruchlose Illusionen zu erzeugen, wie es das zeitgenössische Hollywoodkino tut. Atkins‘ Arbeiten brauchen weder einen Künstler, noch einen Zuschauer. Die Arbeiten sind Modelle einer Welt, in der die Computer ohne Künstler - endlos geloopt, wie Sorrentinos Gedicht - weiterlaufen. Darin liegt der größte Unterschied zu Nauman. Nauman feiert in den 1960ern noch das messiashafte Leiden des Künstlers – dafür braucht er die Präsenz – und Atkins benutzt CGI, also seine Avatare, als Fortsetzung des Körpers, mit der er in spekulative Bereiche vordringen kann.
Die Ausstellung „Ed Atkins. Bruce Nauman“ ist noch bis zum 26. Oktober in der Kunsthalle Mainz zu sehen.