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Alles so schön echt hier. Dietmar Dath und Swantje Karichs „Lichtmächte“

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1944 schrieb der amerikanische Filmkritiker Parker Tyler, das Licht habe die Nacht erobert. Der moderne Großstadtbewohner lebt nach Einbruch der Dunkelheit im Wachzustand weiter, nur ohne die Last der Lohnarbeit. Hollywood, das damals noch als pars pro toto für das Kino an sich stand, macht den Tagtraum des Fließbandarbeiter für alle nach Feierabend verfügbar. Das Kino ist darauf angewiesen, dass man ihm eine einfache Geschichte abnimmt: Am Abend gibt es für den Preis einer Eintrittskarte den Traum und die individuellste Wunscherfüllung zu kaufen. Aber auch das Kino, so Tyler, wo der Traum sich nach der Logik der klassischen Hollywood-Erzählung zu richten hat, wo die konventionellsten Emotionen verkauft werden, arbeitet doch nur mit Licht und Schatten. Wenn man Tylers These verkürzen will, kann man sagen: Wer das Licht hat, hat die Macht über den kollektiven Tagtraum.

Damals musste man noch ins Kino gehen, um einen Hollywoodfilm zu sehen, Underground-Kino bekam man wahrscheinlich gar nicht zu sehen, außer man lebte in einem der kulturellen Zentren der USA. Heute ist es überhaupt nicht mehr nötig, an einen bestimmten Ort zu gehen, um einen Film – oder Kunst überhaupt – zu sehen, und die Unterscheidung von Mainstreamkino und Kunstfilm ist auch durchlässig. (Der Regisseur Steve McQueen, auch Videokünstler, hat gerade einen Academy Award gewonnen) Wenn man jeden Film jederzeit streamen kann, und die Galerie nicht mehr Knotenpunkt eines sozialen Netzwerks ist (wie der Kritiker Jerry Saltz kürzlich beklagte), wächst das Unbehagen, nicht mehr dazuzugehören. Denn wo bleibt die Distinktion, wenn alles potentiell verfügbar und sichtbar ist?

Kino, Galerie und Museum bilden auch die Eckpunkte des Bereichs, in dem sich Dietmar Dath und Swantje Karich mit ihrem Buch „Lichtmächte“ bewegen. In acht Essays und fünf Gesprächen versuchen der Filmkritiker und die Kunstkritikerin die Frage der Sichtbarkeit und damit der Erzeugung von Präsenz in der Kunstwelt zu umkreisen.

Wie im Vorbeigehen stellen die Autoren dann auch fest, dass Licht ja eine Leitmetapher der Moderne ist, aber eben auch ein ganz konkretes Mittel zur Erzeugung von Präsenz, Evidenz und der immer wieder beschworenen Authentizität. Authentizität ist nirgends so wichtig wie in künstlich erzeugten Welten. Während Parker Tyler noch von einem Traum ausgeht, aus dem man mit dem Verlassen des Kinos aufwachen kann, sieht sich Guy Debord in einer nur noch mittelbaren Welt gefangen, die den Blick auf alles andere verstellt. Überhaupt ist Debords Schrift „Gesellschaft des Spektakels“ ein ständiger Fluchtpunkt für „Lichtmächte“.

Karich geht der Frage nach, was der Kunst noch bleibt, wenn heroische Themen – Nation, (Hoch)Kultur usw. – als Sujets der Kunst wegfallen, und nur das massenmediale Spektakel als Rohstoff zur Verfügung steht. Die Forderung nach allem für alle ist ja, was Informationen und Bilder angeht, erfüllt. Aber es fällt doch schwer, dabei auch an die Erfüllung einer Utopie zu glauben. Die freie Verfügbarkeit von Daten funktioniert nämlich auch andersherum, wie die NSA-Affäre zeigt. „Hat man nicht eher das Gefühl, die Bilder verfügen zusehends über die Menschen, leiten sie an, sagen ihnen, was sie für wahr halten dürfen, und steuern damit auch ihre Handlungen?“, fragt Swantje Karich mit dem Unbehagen, das spätestens seit Guy Debord bei fast jeder Kritik visueller Kultur mitschwingt. Dabei weiß sie genau, dass es kein Außen gibt. Der Videokünstler Omer Fast weiß das auch, und deshalb imitiert oder benutzt er vorgefertigte Medienbilder in seinen Arbeiten. In Karichs Beispiel „5000 Feet Is The Best“ lässt er eine an einer Drohne befestigte Kamera auf Las Vegas zusteuern. In „CNN Concatenated“ schneidet er Schnipsel aus Nachrichtensendungen zusammen und lässt die Nachrichtensprecher im Kollektiv den Eindruck menschlicher Nähe geben.

Von März bis Mai 2010 war im MoMA in New York eine Marina Abramovic-Retrospektive zu sehen. Kernstück der Schau war die Performance „The Artist Is Present“, bei der sich die Besucher der Reihe nach der Künstlerin gegenübersetzen konnten. Insgesamt saß Abramovic 736 und eine halbe Stunde, und es saßen ihr unzählige Menschen gegenüber, darunter ihr ehemaliger Kollaborateur Ulay und Lady Gaga. Es wurde ein Dokumentarfilm gedreht, und wer will, kann das ganze online, in Echtzeit und in 8-Bit-Grafik nachspielen. Irgendwo zwischen Popstar und Märtyrer inszeniert sich die Künstlerin. „Wie Pilger in Lourdes“, schreibt Swantje Karich, kommen die Menschen ins MoMA, um kurz in der Aura Abramovics zu baden. Aber es geht noch um etwas mehr. Die Künstlerin muss für ihre Kunst leiden, und jetzt soll jeder Museumsbesucher ihr dabei zusehen können. Dann wird das ganz individuelle Leiden doch wieder von medialen Spiegeln aufgenommen und weitergereicht. Und, na klar, damit wird Marina Abramovics Gesicht auch zur Ware und als authentisches Erlebnis verkauft. Es ist erstaunlich, dass die Authentizitätsvermarktung trotzdem funktioniert, und zwar nicht als Poster in Jugendzimmern, sondern in einem Kunstmuseum. „Es ist schwer, sich das vorzustellen, wenn man nicht dabei gewesen ist,“ schreibt zum Beispiel eine deutsche Wochenzeitschrift ohne Ironie.

Dath und Karich verfallen in ihren Essays nie in einen platten Ton der Entlarvung. Stattdessen sind ihre Essays tatsächlich Versuche, sich tastend an das Wirken der Lichtmächte anzunähern. Das Buch will ein Reiseführer sein, es will nicht versuchen, Licht ins Dunkel des kollektiven Tagtraums zu bringen. Die Lichtmetapher hat sich verändert, es ist nicht mehr der hysterische, künstlich verlängerte Wachzustand, den Parker Tyler Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts beobachtet. Kino, Galerie und Museum sind die beleuchteten Orte, an denen die Lichtmächte nicht mehr nur nach Einbruch der Dunkelheit wirken. Dath und Karich versuchen aber nicht, ein kritisches Außen vorzutäuschen. Der Gegenstand des Buchs ist nicht klar umrissen, doch die Unkonzentriertheit ist kein Mangel. Das ständige Oszillieren zwischen Popkultur und Museum, zwischen Hollywood und Videokunst gehört zum Programm.Vielleicht sollte man nicht allzu gezielt nach einer These fragen, denn „Lichtmächte“ zu lesen gleicht eher einem Spaziergang mit zwei Kennern durch die visuelle Kultur.

 

„Lichtmächte“ von Dietmar Dath und Swantje Karich ist bei diaphanes erschienen und kostet € 24,95.

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