Interview
Schreibe einen Kommentar

Im Reich der Dinge. “Stillleben BRD” von Christian Werner

Bei Paderborn steht ein Haus, in dem die alte Bundesrepublik wie in einem Mausoleum konserviert ist. Das ist nicht besonders, denn es gibt viele solcher Häuser in Westdeutschland, zwischen 1960 und 1990 eingerichtet. Sie sind voll mit Dingen: Zettelrollen, gestickten Bildern, Marmortischplatten, Teppichen, Radioweckern. Der Fotograf Christian Werner inventarisierte so eine Wohnung, und aus den Bildern wurde ein Fotobuch mit dem Titel “Stillleben BRD”. Dazu gibt es Texte: Der Unternehmer Rafael Horzon schreibt über den Teppichfransenkamm, der Kunstkritiker Timo Feldhaus sieht den Tod im CD-Ständer tanzen, und der Kulturwissenschaftler Markus Krajewski vermutet im Partykeller einen Vorgeschmack auf die Unterwelt. Wahlweise verstecken sich Bestien hinter den trivialen Objekten oder sie sind Projektionsfläche für Kindheitsnostalgiker. Die Bilder sind nun im Bröhan-Museum in Berlin zu sehen. Wir sprachen mit dem Fotografen über die Dinge, die Details und über den Grusel der alten BRD.

Inventur bundesdeutscher Zustände. Christian Werner, Ohne Titel, aus der Serie “Stillleben BRD” 2014 © Christian Werner

 

Welche Geschichte steckt hinter „Stillleben BRD“?
Ein alter Schulfreund, den ich aus den Augen verloren hatte, hat sich bei mir gemeldet, denn ich hatte begonnen, mich mit der alten BRD auseinanderzusetzen. An Weihnachten 2014 sind wir in das Haus seiner verstorbenen Großeltern bei Paderborn gegangen.

Geht es dir um die Bewahrung von Dingen?
Das ist auf jeden Fall einer der Hauptaspekte: Eine im Vergehen begriffene Zeit zu archivieren. Der Blick ist melancholisch. Der Melancholiker hat ja auch das Vergangene im Blick.

Schwingt da auch Kindheitsnostalgie mit?
Ich komme zwar aus diesem Dorf bei Paderborn, bin allerdings nicht so groß geworden. Aber das kennt man natürlich von anderen Großeltern. Mich hat daran eher die Aufarbeitung der eigenen Erziehung  in diesem Kulturkreis interessiert: sehr katholisch, Reihenhäuser, Einfamilienhäuser mit sehr viel Platz. Die Bewohner sind aus der Arbeiterklasse, aber alles ist sehr ordentlich. Drumherum wächst die Hecke, und Gardinen sind eh ganz wichtig. Dort habe ich es kaum ausgehalten und musste sofort weg nach der Schule. Gerade in der Innenwelt dieser Großelterngeneration und Nachkriegsgeneration herrscht viel Chaos — vielleicht braucht man dann dieses Umfeld. Die Kriegstraumata und die Angst vorm Leben spielen hier eine große Rolle. Das habe ich auch durch meine eigene katholische Erziehung mitbekommen. Ich wollte einmal einen Blick in den Maschinenraum des Durchschnittsmenschen der alten Bundesrepublik werfen. Das war die Anfangsidee.

Was macht diese alte Bundesrepublik aus?
Ich blicke ja jetzt aus Berlin und mit zwanzig Jahren Abstand darauf. Die Nostalgie für die alte BRD kann ich aber nicht ganz abstreiten, für eine Welt, die scheinbar noch in Ordnung war: Ein Wirtschafts- und Sozialsystem, das noch ganz gut funktioniert hat. Aber das ist auch ein kritischer Blick zurück: Was machen diese Dinge dort? Was ist da los, was hat mich da so beklemmt? Warum habe ich es nicht ausgehalten?

Im letzten Jahrhundert beliebt in westdeutschen Wohnstuben: das Stickbild. Christian Werner, Ohne Titel, aus der Serie “Stillleben BRD” 2014 © Christian Werner

Etwa zur gleichen Zeit wie dein Buch ist der Gesprächsband „BRD Noir“ von Philipp Felsch und Frank Witzel erschienen.
Mein Buch ist sogar vorher erschienen. Den Begriff BRD Noir hat Philipp Felsch tatsächlich im Vorwort von “Stillleben BRD” geprägt, anschließend war er dann in Kontakt mit Frank Witzel. Danach haben wir noch zwei, drei weitere Sachen gemacht über die alte BRD. Ich habe mich sehr wohlgefühlt mit dem Text, weil er diese düstere Stimmung einfängt.

Das ungute Gefühl, wenn das Verdrängte wiederkommt.
Genau! Damals gab es eine große Besprechung in der FAZ, und der Titel war “Nicht hinter jeder Wand lauert eine Bestie”. Dem Rezensenten war genau dieser Standpunkt zu viel. Trotzdem fand ich es gut, das etwas härter anzugehen. Das ist nicht in erster Linie eine Auseinandersetzung mit der Nazizeit, sondern schon eher mit dem Katholizismus — es gibt die wiederkehrenden Motive, beispielsweise die betenden Hände von Dürer, Kreuze, Devotionalien. Der Begriff BRD Noir passt jedenfalls sehr gut.

Landen da nicht auch viele Kindheitserinnerungen auf dem Müll?
Auf jeden Fall. Es gibt diese eine Bild mit den Stickern, und ich hatte auch eine Truhe mit all den Aufklebern, die damals kursierten. Zu anderen Dingen habe ich keinen Bezug: Marmortische und diese Rentneraccessoires. Das ist für mich persönlich keine Archivierung, aber die gehören auf jeden Fall in diese Zeit.

Grusel im Detail. Christian Werner, Ohne Titel, aus der Serie “Stillleben BRD” 2014 © Christian Werner

Die Bilder unterscheiden sich sehr von deinen Arbeiten für Magazine. Wieso hast du dich für diese Ästhetik mit dem Blitzlicht auf die Details entschieden?
Ich glaube, es wäre kitschig geworden, wenn ich ein Stativ und weiches Licht verwendet hätte. Das wäre eine andere Geste gewesen. Auch für meine eigene Aufarbeitung war es interessanter, intuitiv und aus der Bewegung zu arbeiten. Ich habe alles an diesem Nachmittag an Weihnachten fotografiert, das ging also sehr schnell. Aber es war auch eine ästhetische Entscheidung — ich dachte, es wäre cooler, die Sachen nur anzublitzen und aus dem Kontext zu reißen.

Davon geht auch ein Grusel aus, oder?
Eines der harmlosesten Motive, die ich aber am gruseligsten finde, ist der Radiowecker auf dem Nachttisch neben dem Bett. Oder die Gießkanne mit dem Tropfenfänger. Persönliche Gegenstände, die dann aber über sich hinausweisen.

Also steckt gerade in den Details das Überindividuelle?
Ich habe mich auf die Details konzentriert, weil ich mich einerseits immer schon für die Dinge interessiert habe. Ich habe Kulturwissenschaften in Weimar studiert, und zu der Zeit war das eine großer Trend, die Macht der Dinge zu entdecken. Zum anderen wird es dann universeller. Die Objekte sind ein pars pro toto, anders als ganze Raumansichten, die dieses bestimmte Haus zeigen würden. Das Detail kann symbolhaft für andere Häuser sprechen.

Die Ausstellung „Stillleben BRD“ ist noch bis zum 31. Oktober im Bröhan-Museum in Berlin zu sehen. Das Buch ist im Kerber Verlag erschienen.

Titelbild: Christian Werner, Ohne Titel, aus der Serie “Stillleben BRD” 2014 © Christian Werner

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *