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Aufgelesen 2016.4: Über gelangweilte Autoren, Autoren mit schönem Haar und gelassene Autoren, die Seilspringen

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Unter dem Stichwort Aufgelesen versammeln wir Fundstücke aus dem Netz. Leseempfehlungen sowie Kurioses über Kunst und fern der Kunst findet hier seinen Platz.

Im Kunstbetrieb unterwegs zu sein, bedeutet, sich in einer  unpolitischen Sphäre zu bewegen. Diesen Eindruck bekommt man leicht. Aber das tagespolitische Geschehen ist längst auch in den Kunsthochschulen angekommen. Zum Beispiel an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Dort ist an Peter Sloterdijks Lehrstuhl für Philosophie Marc Jongen beschäftigt, Philosophiedozent und Mitverfasser eines Papiers der AfD. Und die AfD präsentiert sich gerne als akademisch und bürgerlich, als die wählbare Partei mit völkischem Gedankengut. Im Dezember haben einige Autoren der HfG-Schriftenreihe ein Statement vom Rektorat eingefordert. Freilich ist die AfD nicht verboten, und den Arbeitgeber hat nicht zu interessieren, in welcher Partei ein Angestellter ist. Aber die Frage zu stellen ist wichtig: Wie weit sind AfD und Marc Jongen vom demokratischen Diskurs entfernt? Damit hat sich Jörg Scheller beschäftigt. Außerdem wünscht er sich Reaktionäre, die zumindest originell sind:

Wenn schon konservative Avantgarde als Antidot eines als selbstläufig und ignorant empfundenen linksliberalen Mainstreams, dann eine originelle, eigensinnige, glaubwürdige! Man denke etwa an den hierzulande weithin unterschätzten Politphilosophen Eric Voegelin, der amerikanische Common-Sense-Philosophie mit einem als Religion der Unbestimmtheit verstandenen Christentum verquickte und der Karl Poppers „offene Gesellschaft“ erst in Verbindung mit der „Offenheit der Seele“ gelten ließ. Insbesondere an Letzterer gebricht es der AfD.

Um politische Statements von Ai Weiwei kommt man kaum herum. Wobei, ist seine neueste Installation in einem Pariser Einkaufzentrum politisch gemeint? Schwer zu sagen, jedenfalls hat er sich mit Paris Hilton davor ablichten lassen. Zuletzt hat er als toter Flüchtlingsjunge am Strand der Insel Lesbos posiert. Dort ist er nämlich seit etwa einer Woche und fotografiert für seinen Instagram-Account. Man könnte natürlich fragen, was die Aktion zur Verbesserung der Lage von Flüchtlingen beiträgt. Oder warum er als Künstler das Leid von Menschen covert, wie sich das Netz fragt. Oder wie das art Magazin sagt: Oh Wei.

Karen Archey glaubt für E-Flux etwas Ähnliches. Banksy, das gute Gewissen der Kunstwelt, hat sich übrigens nach seinem Flüchtlingscamp-Debakel auch  wieder gemeldet

  #refugees   A photo posted by Ai Weiwei (@aiww) on

Ist Kunst in Zukunft also poltisch? Wir wissen es nicht, aber Hans Ulrich Obrist möchte herausfinden, wie die Zukunft der Kunst aussieht. Und zwar empirisch: Indem er mit all den wichtigen Leuten aus dem Kunstbetrieb redet. Also alles wie gewohnt bei Obrist. Vielleicht spricht er auch mit Dan Graham. Der könnte ihm dann sagen, was er von Konzeptkunst hält. Hier erklärt Graham auch, warum Mädchen seine Arbeiten lieber mögen als Jungs und was passiert, wenn man LSD nimmt (was er natürlich nie getan hat):

Eckhart Nickel und Christian Kracht haben von 2004 bis 2006 die Zeitschrift „Der Freund“ herausgegeben. Der Redaktionssitz war in Kathmandu. Dort sind Nickel und Kracht jeden Tag in ein Antiquariat gegangen und haben ein Buch gekauft. Daraus ist die Kathmandu-Library geworden, die nach dem Ende der Zeitschrift in einem Container am Frankfurter Flughafen zwischengelagert wurde. Jetzt haben die beiden Autoren ihre Bibliothek dem Literaturarchiv in Marbach gestiftet:

Was wir vom Mittelalter über Sex lernen können: wahrscheinlich nichts. Was zwischen Minne und Beichte passierte, gibt es hier nachzulesen, inklusive einiger expliziter Miniaturen. Nicht weniger delikat: Ein Gemälde von Hieronymus Bosch wurde entdeckt und zwar in Kansas City. Deshalb empfehlen wir nochmal Cees Nootebooms Aufsatz über seine Liebe zu Boschs Werk.

Vor zwei Wochen eröffnete im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe die Ausstellung „Geniale Dilletanten„. Aus diesem Anlass hat Diedrich Diederichsen ein Interview gegeben: „Als das Nichtkönnen produktiv wurde„. Irgendwie genial, aber auch ein bisschen dilettantisch sind die vier Angulo-Brüder, die, während sie 14 Jahre lang in einem Appartement in New York eingeschlossen waren, ihre Lieblingsfilme mit selbstgebastelten Kostümen nachstellten.

David Lynch hatte vor kurzem Geburtstag. Aus diesem Grund kann man sich ruhig mal mit seinem filmischen Frühwerk beschäftigen. „Six Men Getting Sick (Six Times)“ heißt ein Animationsfilm, den er 1966 während seines Malereistudiums machte.

Wem das nicht eingängig genug ist, dem empfehlen wir David Lynchs Zeichentrickserie „Dumbland“ von 2002. Die Serie ist minimalistischer als „South Park“, alle acht Folgen gibt es auf YouTube:

Wem langweilig ist und alles egal, der fühlt sich sicherlich bestens von Ronja von Rönne verstanden oder fühlt zumindest mit ihr:

Ich lese Internet bis zur Bewusstlosigkeit. Verhüllte Statuen in Rom. Ist mir egal. SPD. Ist mir egal. Alles ist mir egal. Das einzige, was mir nicht egal ist, ist, wie egal mir alles ist.

Und wenn sie aus lauter Langeweile fleißig weiter schreibt, dann macht sie vielleicht sogar noch Tilman Rammstedt Konkurrenz, der Tag für Tag vermutlich etwas weniger gelangweilt an seinem Roman „Morgen mehr“ schreibt. Ein paar Tage lang waren wir auch Tag für Tag dabei, am Tag 8 haben wir uns entschieden, auf den fertigen Roman zu warten. Roman-Abo abschließen, kann man mal machen. Immerhin kostet es nur 8 Euro, dafür wird man Tag für Tag mit Texten versorgt, ganze drei Monate lang. Nur am Wochenende gönnt sich der Autor eine Pause. Kino kostet mehr und man hat nur ein paar Stunden etwas davon. Selbst Netflix ist teurer, auch wenn das natürlich potentiell für Dauerberieselung sorgen könnte. Die taz hat den Autor getroffen. Es geht nicht nur um seine Haare, versprochen.

Nicht nur gelangweilte und weniger gelangweilte Autoren haben es nicht leicht. Eric Jarosinski, amerikanischer Literaturwissenschaftler, besser bekannt als Twitterer unter dem Namen @NeinQuarterly ist gerade auf Vortragsreise unterwegs. In Wien hat er mit futurezone.at über sein Twitter-Dasein gesprochen:

Ein Twitter-Dasein ist kein leichtes. Man hat es mit einer Welt voller Ambivalenzen zu tun. Mein Konto zieht manchmal auch sehr depressive Typen an. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich viel glücklicher wäre, wenn ich weniger Zeit mit Twitter verbringen würde.

Es kommt noch schlimmer:

Wie viel Zeit verbringen Sie eigentlich auf Twitter?
In den Anfangsjahren waren es acht bis zwölf Stunden am Tag. Das war die ganz harte Phase. Inzwischen ist es aber viel weniger geworden. Twitter hat mir viel möglich gemacht, es hat aber auch seine Kosten. Mir ist deshalb auch eine Beziehung in Brüche gegangen. Ich kann das durchaus verstehen, denn es war bestimmt supernervig für meine Freundin. Ich habe dauernd aufs Smartphone geguckt und war nie präsent.

Nicht leicht haben es in Zeiten von Social Media auch Galerien und Messen, wie Marc Spiegler weiß. Der Direktor der Art Basel hat für The Art Newspaper 10 Fragen aufgeschrieben, die sich alle Galeristen stellen sollten. Darunter diese:

8. Does Instagram replace Artforum ads? Art fair booths? My gallery? Me?
So does Instagram replace an Artforum ad? Maybe, although many artists demand full-page ads in Artforum when they move to a new gallery. Does Instagram replace art fair booths? People are selling works over Instagram to the same kind of global audience that you try to reach via a fair, and they are having virtual “conversations” with those people. But they’re not the same kind of dialogues that you have in person.
Can you avoid having a gallery if you have a hyperactive Instagram account? Certainly, Stefan Simchowitz sells a lot of work without having a gallery. For a secondary-market dealer, I think it could certainly be the case; you broadcast on Instagram the work you’re trying to sell to anyone and use direct messaging for pieces you do not want to burn through over-exposure.


Malt da jemand den Teufel an die Wand? Interessant an dieser Geschichte ist ja, dass die Kunstwelt auf Instagram eigentlich gar nicht so stark vertreten ist – zumindest wenn es nach den Zahlen geht, die man ständig und überall liest. Anika hat darauf noch einmal im Monopol Magazin im Zusammenhang mit der Performance „Excellences & Perfections“ von Amalia Ulman hingewiesen, die seit ein paar Tagen in London in der Whitechapel Gallery zu sehen ist und ab Mitte Februar in der Tate:

Wenn über die Performance von Amalia Ulman gesprochen wird, geht es auch immer darum, wie viele Follower zugesehen und ihr vielleicht geglaubt haben. Es kursiert eine Zahl um die 90.000, mal sind es 89.244, mal sind es 89.103. Nur kann die Künstlerin selbst nichts dafür, dass ihre Follower-Zahl in die Höhe schnellte. Im Oktober 2014 kaufte der Konzeptkünstler Constant Dullaart für 5.000 Dollar 2.5 Millionen Follower, die er auf verschiedene Protagonisten der Kunstwelt verteilte, so dass alle auf 100.000 Follower kamen. Und damit in Zeiten von Social Media, wo die Bedeutung einer Person oder eines Künstlers an den Zahlen der Menschen, die in den sozialen Medien folgen, bemessen wird, plötzlich alle gleich wichtig waren. Darunter waren Ai Weiwei, Richard Prince, Klaus Biesenbach, die Gagosian Gallery, Brian Droitcour, Hans Ulrich Obrist, Jerry Saltz, er selbst und viele mehr. Wem er Follower kaufte und wie viele, zeigt er in einem Video samt Screenshots.

 

caaaaaaaant wait to hav abs #work #it #bitch

 

A photo posted by Amalia’s Instagram (@amaliaulman) on

Mit Blick auf die Ausstellung „Electronic Superhighway“ in der Whitechapel Gallery fragt sich Emily Gosling für It’s Nice That, ob Instagram, Grindr und Photoshop jetzt Film, Farbe und Leinwand ersetzen.

Derweil verweisen wir abschließend tiefenentspannt auf Dirk von Gehlen und sein Plädoyer für mehr „Social Media Gelassenheit“.

In den Social-Media-Seminaren, die ich gelegentlich gebe, rate ich Community-Managern gerne, ihre Antwortposts auf ärgerliche Foreneinträge oder Leserbriefe vor dem Abschicken laut dem Zimmernachbarn vorzulesen: laut, langsam und deutlich.

Denn das laute Lesen hilft nicht nur, Rechtschreibfehler zu entdecken, es ist auch eine wunderbare Distanzierungs- und Mäßigungsmaschine. Auch Aufstehen, Toilettenbesuche oder Seilspringen sind taugliche Mittel, um sich dem Sog der Debatte zu entziehen und den eigenen Ton zu mäßigen. In einem Jahr (vermutlich sogar schon in einer Woche) wird sich keiner mehr richtig dafür interessieren, was sich in dieser Sekunde anfühlt wie das wichtigste, ärgerlichste oder erfreulichste Thema der (Web-)Welt.

Titelbild: Still aus David Lynch, „Dumbland“.

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