Es muss so ungefähr 2010 gewesen sein, als ein Begriff auftauchte, der eine schnelle Karriere als Buzzword der Kunstwelt machte: Post Internet. Das klingt wie ein neuer post-Irgendwas Theoriehype. Oder so, als wäre das Internet jetzt vorbei. Ist es natürlich nicht. Und eine Theorie ist es auch noch nicht, denn die akademische Kunstwissenschaft fängt gerade erst an, diese neuen Künstler wahrzunehmen. Für Post Internet-Kunst gibt es weder ein bevorzugtes Medium, noch eine Form, auf die sich die Arbeiten festlegen lassen. Skulptur hat ein unerwartetes Comeback, genauso wie Malerei. Es gibt noch gedruckte Bücher, und es gibt noch Popmusik nach dem Internet. Aber es gibt auch Social Media und es gibt Künstler, deren Arbeiten nur im Netz funktionieren. Das ist noch ein Überbleibsel aus der Prähistorie von Post Internet: der net-art. Also: Post Internet-Kunst sieht weder irgendwie aus, noch ist sie auf eine bestimmte Technik festgelegt. Vielleicht gibt es Post Internet-Kunst eigentlich gar nicht. Aber irgendwie hat das Internet doch einen Einfluss auf aktuelle Kunst. Deshalb haben wir in unserem Post Internet-ABC alles zusammengestellt, was man braucht, um bei der nächsten Galerieeröffnung mitreden zu können. Hier sind die Einträge A-F.
A
Arbeit. Vielleicht ist das Internet der beste Weg, sich von der Arbeit abzuhalten. Aber es ist eben auch der Ort, an dem man heute arbeitet. Cory Arcangel hat allen Prokrastinierenden ein Buch gewidmet: Working on My Novel. Darin versammelt er Tweets und Facebook-Updates von angehenden Romanschriftstellern, die vor lauter Social-Media-Stress keine Zeit zum Arbeiten haben. Aus den Zweizeilern der Arbeitsverweigerer hat Arcangel einen Roman über Arbeit gemacht. Denn eigentlich arbeiten wir ununterbrochen.
Working On My Novel (a novel about ppl tweeting about wrkn on their novels) is avail today ;-) http://t.co/aFPlnFYeQo pic.twitter.com/Erms8cpxh0
— Working On My Novel (@WrknOnMyNovel) July 31, 2014
B
Browser. Rafaël Rozendaal ist eigentlich schon ein alter Meister. Seit 2001 programmiert er Webseiten, die ein bisschen an Rosemarie Trockel mit Pixeln erinnern. Anders als Trockels Strickarbeiten sind Rozendaals Seiten aber interaktiv. Man könnte ihm vorwerfen, dass seine Arbeiten ein bisschen wie Windows95-Bildschirmschoner aussehen. Aber die Frage, die er stellt ist wichtig für digitale Kunst: Wenn kein Galerist und kein Kurator eine Arbeit kommentieren, woran soll man sie als Kunst erkennen? Jedenfalls kann man die Domains zu seinen Websites kaufen, denn das alles gibt es nur im Browser zu sehen. Zu Rozendaals Sammlern zählt übrigens auch der selbsternannte famous new media artist Jeremy Bailey.
C
Catweb and dogweb. Den größten Teil des Datenvolumens im Internet macht — Schätzungen zufolge — Pornografie aus. Dicht gefolgt von Katzenvideos. Der Kritiker Brian Droitcour hat eine Theorie, warum das so ist. Es gibt nämlich zwei Arten von Internetnutzung: catweb und dogweb. Leute im catweb schicken eher eine Email, als etwas öffentlich auf Facebook zu posten. Die Regel des dogweb lautet hingegen: Jeder darf alles sehen. Katzen und Hunde als Allegorien unserer social media-Nutzung? Vielleicht ist das die Erklärung für die rätselhafte Faszination von Katzen- und Hundevideos.
D
Definition. Bevor diese Liste überhaupt Sinn ergibt, steht ja eigentlich die Frage: Was ist Post Internet? Das Wort ist so flexibel einsetzbar wie die Begriffe Diskurs, Diskursformation oder diskursive Konstruktion. Eine Bereicherung für jede Pressemitteilung, jede Ausstellungskritk und der neueste post-irgendwas Theoriehype. Aber wie sieht Post-Internet-Art eigentlich aus? “Ich erkenne es, wenn ich es sehe — wie Pornographie!”, hat der Kritiker Brian Droitcour mal geschrieben.
Vielleicht ist die Analogie nicht ganz abwegig. In seinem Blog schreibt Droitcour nämlich, dass Post-Internet-Kunst vor allem dafür da ist, um auf Fotos im Tumblr- oder Instagram-Feed gut auszusehen.
E
Egal. Man sieht schon: Post Internet kann einem egal sein, so ungenau wie es definiert ist. Warum braucht man einen neuen Begriff, wenn man das alles auch mit den alten beschreiben kann? Aber das Internet gibt neue Infrastrukturen her, die anders funktionieren als die alten Netzwerke von Galerien und Museen. Zum Beispiel:
F
Facebook. Putting the face back in Facebook, oder so etwas könnte man über Amalia Ulmans “Excellences and Perfections” (2014) schreiben. Die Geschichte ihrer Social Media-Performance lautet ungefähr so: Eine junge Frau aus der Provinz geht in die Großstadt, um Model zu werden. Sie hat einen Unfall, dokumentiert ihre Genesung bei Instagram und Facebook. Dann schleicht sie sich in Luxushotels, um Selfies im Spiegel zu machen. Sie inszeniert eine Brust-OP und einen Drogenentzug, alles in den sozialen Medien. Davon stimmt eigentlich nur, dass Ulman einen Unfall hatte. Der Kunsthändler und vermeintliche Bösewicht Stefan Simchowitz hat die Krankenhausrechnung bezahlt und einige ihrer Bilder gekauft. Ulmans Facebook-Timeline kann man übrigens auch kaufen. Online, versteht sich.
Titelbild: Anne de Vries für DisImages.