Alle Artikel in: Kritik

Traurige warme Tiere. Ronja von Rönnes Roman „Wir kommen“

Ronja von Rönne hat keinen Rant geschrieben, sondern ein Buch. Joachim Bessing ist sich sicher, dass sich der Roman verkaufen wird wie belgische Fritten, weil er so geil ist. Und Joachim Lottmann war beim Lesen wohl auch übermannt. „Schnoddrig, überlegen, witzig, respektlos – endlich eine neue Stimme in der deutschen Gegenwartsliteratur!“ Steht hinten auf dem Buch. Der Satz von Lottman endet mit einem Ausrufezeichen. Geil hätte er auch noch rufen können, hat er aber nicht. Und Til Schweiger hätte mindestens drei Ausrufezeichen mehr gesetzt, aber es wird auch so deutlich, dass Lottmann das Buch ziemlich gut findet. Die Autorin derweil findet das Buch selbst nicht mehr ganz so gut. Auf Facebook brach sie ein bisschen heulend zusammen, als ihr der Kurier das Buch nach Hause brachte. Im WhatsApp-Interview mit jetzt und der Hip-Hop-Band Die Orsons sagte sie, dass sie sich nicht einmal sicher ist, ob sie ihr Buch mögen würde. Stellenweise mag sie es sehr, stellenweise aber sei es prätentiöser Bullshit. Für ihren Arbeitgeber, die Welt, hat sie eine Woche lang Tagebuch geschrieben und vertrauensvoll notiert, dass …

The Good News is: #MuseumSelfieDay is over

Geschafft. Es ist vorbei. Bye Bye Museum Selfie Day. Bis in einem Jahr. Vielleicht. Wenn alles gut geht und es das Internet noch gibt. Und Twitter und Instagram und all die anderen crazy sozialen Medien, mit denen man die jungen Leute erreicht, die sonst keinen Fuß in ein Museum setzen, ja, die bestimmt nicht einmal wissen, was das ist, ein Museum. Verrückt, dieses Internet. Und lustig sind die da alle. Kommt, das machen wir auch. Eine Portion Lustigkeit, bitte. Ja, genau, zum Mitnehmen. Es folgt: Unser Best of zum gestrigen Museum Selfie Day. Einen Anspruch auf Vollständigkeit haben wir nicht. Schulnote A+ (Am Tag 1 nach dem Museum Selfie Day waren diese beiden Tweets von den Harvard Art Museums leider nicht mehr auf Twitter zu finden.) Yolo, Bruder! Unsere These zum #museumselfieday: #Nietzsche würde #yolo sagen! #mkghamburg #Hamburg #museum #jugendstil #museumselfie #carpediem #iamthewalrus @museumselfieday A photo posted by Museum für Kunst und Gewerbe (@mkg.hamburg) on Jan 20, 2016 at 9:02am PST Dumm nur, wenn die eigenen Follower keinen Spaß verstehen. Oder im Grundkurs Philosophie in …

michel

Instagram und die Zukunft der Museen. Eine Geschichte voller Missverständnisse

In den letzten Woche wurde viel über die Zukunft der Museen diskutiert. Auf Tagungen, auf Podien, in Blogs und in den klassischen Medien. Gut vorgelegt hatte Christiane Lange, Direktorin der Staatsgalerie Stuttgart, in der FAZ. Mit Julia Voss sprach sie über das Wettrüsten der Museen, wenn es um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gehe, und über die „Geld-Besucherzahlen-Falle“, in der die Museen steckten. Seit 1990 seien immer mehr Museen gegründet worden, bundesweit 700 an der Zahl. Immer mehr Museen bedeute aber auch immer mehr Ausstellungen. Wolle man alle Ausstellungen sehen, müsse man pro Tag 9.3 schaffen. Nicht machbar. Klar. Wer will das schon? Dennoch, Besucher müssen her, man arbeite nicht für die „Happy Few“, drum: „Budenzauber, Wechselausstellungen“, so Lange. Und dann warf sie Fragen in den Raum, die für Entgeisterung sorgten: „Wir müssen uns die Frage stellen, was unsere Gesellschaft will. Ist es uns ein dringendes Anliegen, dass es pro 50.000 Einwohner ein Museum gibt? Oder wäre es für alle interessanter, dass es weniger, aber dafür qualitativ höherwertige Institutionen gibt?“ Man müsse auch darüber nachdenken dürfen, …

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Von der Hafenstraße in die Hafenstraße. Daniel Richter feiert in einem Keller

Wenn der Maler Daniel Richter eine Party feiert, dann am besten in der Hafenstraße. Aber nicht in Hamburg, sondern in Frankfurt. An der Grenze zum Gallusviertel ist das Bahnhofsviertel noch nicht domestiziert. Hier gibt es eine Menge leerstehender Gebäude aus der Zeit, als das Gebiet zwischen dem Bahnhof und dem F.A.Z.-Hauptquartier Boomtown war. “Da liegen die Crack-Raucher zwischen den Hochhäusern herum,” hat Christian Kracht einmal geschrieben. Vor ein paar Wochen hat in einer alten Spielothek ein neuer Club aufgemacht. Eine Straße weiter, in der Hafenstraße, hat noch ein Club aufgemacht. Der heißt Hafenstraße 51 und ist im zweiten Untergeschoss. Über Rampen geht es in den Keller unter dem Commerzbank Trading Center, Baujahr 1976. In einen von der Finanzwelt vergessenen Randbereich. Natürlich passen Techno und mit Rohbeton ausgekleidete Kellerräume sehr gut zusammen. Also Berliner Technokitsch, nur im Frankfurter Bahnhofsviertel, in einer Straße die ausgerechnet auch Hafenstraße heißt. Daniel Richter muss gelegentlich erklären, dass er nie in einem der besetzten Häuser in der Hamburger Hafenstraße gewohnt hat. Aber in der Gegend hat er sich viel herumgetrieben in …

Wie viel Deutschtümelei verträgt Deutschland?

Man wacht morgens auf und hat die Stimme des Büchner-Preisträgers Martin Mosebach noch im Ohr. Und wenn man gerade denkt, es war alles nur ein Traum, muss man sich auf der Seite des Deutschlandfunk eines Besseren belehren lassen. Mosebach hat in einem Interview Botho Strauß’ Debattenbeitrag Der letzte Deutsche, erschienen im Spiegel, verteidigt. Strauß macht sich da Sorgen um nicht weniger als Kultur und Literatur: „Dank der Einwanderung der Entwurzelten wird endlich Schluss sein mit der Nation und … einer Nationalliteratur.“ Strauß fühlt sich wie der letzte Deutsche. Dietmar Dath widerspricht ihm. Hans Hütt stellt in der Zeit derweil die Diagnose: beginnende Demenz. Richard Kämmerlings wundert sich. Über die diffuse, völkische Paranoia kann man sich ebenfalls wundern. Einen Verteidiger hat Strauß’ Dekadenzfantasie mit Mosebach jedenfalls gefunden. Der meint, dass hier nur ein Missverständnis vorliegt. Die Entwurzelten seien gar keine Flüchtlinge, sondern die Deutschen selbst. Die haben, so Mosebach, den Kontakt zur Nationalliteratur verloren. Warum die Entwurzelten dann aber einwandern, man weiß es nicht. Warum für Mosebach Ernst Jünger in eine Reihe deutscher romantischer Philosophen gehört, muss auch im …