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Zorro der Malergilde

Durch Werke wie Duchamps „Fountain“ wurde in der Moderne die klassische Definition von Kunst wortwörtlich auf den Kopf gestellt. Auch die Malerei entglitt dem Korsett strenger Definitionen: Die Künstler sperrten sich gegen eine jahrhundertelange, von christlichen wie mythologischen Themen geprägte Bildtradition. Neben dem Niederreißen inhaltlicher Konventionen, stand in der  Moderne besonders das Auflösen akademischer Darstellungsformen im Zentrum des Kunstdiskurses. Nachdem im Kubismus die Perspektive endgültig passé schien, wurde auch die Abbildhaftigkeit des Bildes in Frage gestellt.

Fast expressionistisch stellt sich Müller in diesem Selbstporträt als Zorro dar. „Ohne Titel“ (1992).

So rekonstruierte der New Yorker Kunstkritiker Clement Greenberg die klassische Moderne, die für ihn zwingend ein Ablauf stetiger Reduktion bedeutete. In seinen Schriften erklärte er, „daß in jeder Gattung nach und nach alle für sie geltenden Konventionen in Frage gestellt und verletzt werden müssen, um zu prüfen, welche entbehrlich sind und welche nicht.“1 In den 1960er-Jahren warfen Künstler wie Frank Stella schließlich auch die gängige Definition des Tafelbildes über Bord und stellten damit die Malerei an sich in Frage. Stellas schwarze ,shaped canvases‘ waren dann auch Greenberg zu bunt, der vormals die reduzierte Farbflächenmalerei eines Mark Rothko gepriesen hatte und nun das Ende der Malerei kommen sah.

Zeitgleich wurde in Frankfurt eine ebenso radikal-reduzierte Position entwickelt, die einen vermeintlichen Endpunkt markierte, wie unlängst im Museum für Moderne Kunst und im Städel Museum in Frankfurt zu erfahren war. Mit seinen zehn „Schwarzen Tafeln“ löste sich der Frankfurter Künstler Peter Roehr vollends von jeglicher Tradition: Er legte Pinsel und Farbeimer beiseite und klebte die vorgefertigten Bildtafeln nur noch zusammen.
 Auch nach Konzeptkunst und Minimal-Art schien bis in die 1990er-Jahre vielmehr die Visualisierung einer Idee, denn die tatsächliche Fertigung eines Kunstwerkes, zentrales Anliegen der Künstler gewesen zu sein.

Meister der Hintergründe

Wieder in Frankfurt etablierte Stefan Müller jedoch eine abweichende Position und widmet sich vornehmlich dem Medium der Malerei. Derzeit ist dem Maler in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden eine erste große Einzelausstellung gewidmet, die sein Schaffen in chronologischer Weise vorstellt. Müller wird hier als Zorro, als der er sich in einem unbetitelten Selbstporträt von 1992 zeigte, der Malergilde verstanden, die nach der Greenbergschen Reduktion bis ins Nichts nun nach der formalen Bedeutung der eigenen Kunstproduktion sucht. Auf seiner Suche entwickelte Müller eine vollkommen eigene Bildsprache, die durch eine besondere Ausgewogenheit von Formen und Farben ein ganz traditionelles Bildmoment modern interpretiert: Die Poetik.

Schwerelos schweben die Formen vor dem undefinierten Hintergrund. „Blossoms like Blisters - Boredom’s my Sister“ (2009).

Aus grün, rosa und blauen Pastelltönen entsteht so beispielsweise das Schlagzeug Richard Englishs (The Flaming Lips), Lieblingsdrummer Müllers, es könnten aber auch Pilze oder Blumen sein. Dann formen sich bunte Flecken auf der Leinwand zur Zeichnung eines Giraffenhalses. Die Farben werden direkt auf den Bildträger aus Leinen- oder Nesselstoff aufgetragen, ohne dass dieser vorher grundiert oder anderweitig bearbeitet würde. Durch den roh belassenen Hintergrund, der das Material sichtbar macht, wird eine Trennung zwischen gemaltem Bild und Bildträger erzeugt: Das Dargestellte scheint wie in einem „schwerelosen Kosmos“2 zu schweben. Die freie Fläche des Hintergrundes wird so zu einer zweiten Bildebene, die dem Betrachter einen schier unendlichen Assoziationsraum eröffnet – Müller lädt zum Träumen ein. Einen ersten Anhaltspunkt, sozusagen der Start der Assoziations-Rennbahn, bieten die Titel der Gemälde. Namen wie „Zu lange in die Sonne geschaut“ (2002), „Her Majesty Uglyness“ (2009) oder „Es regnet in London/manchmal“ (2010) wirken zunächst anekdotisch, werden aber ebenso schwere- und zusammenhanglos in den Raum geworfen wie die zumeist amorphen, ungegenständlichen Formen. Sie appellieren an die Neugier des Betrachters, der so abermals zur aktiven Auseinandersetzung mit den Bildern aufgefordert wird.

Do It Yourself-Mentalität

Wie ein zweiter, großer roter Faden zieht sich der Reiz des Unperfekten durch Stefan Müllers Werk und den Parcours der Ausstellung. Die DIY-Mentalität des Punk legte keinen Wert auf Perfektion und so ist es auch für Müller nicht von vorrangigem Interesse, ein guter Maler zu sein, wie man im sehr gelungenen Katalog erfährt. Der Künstler verwendet durchweg einfache Materialien, auch ein Bettlaken kann schon mal als Malgrund dienen. Dass es reicht, eine Leinwand einfach durch den Dreck des Atelierbodens zu ziehen, um ein Kunstwerk zu kreieren, beweist Müller mit seinem Gemälde „Empire of Dirt“ (2003). Das Bild zeigt einen fleckig-schmutzigen Grund, dem rote und orangefarbige Kreise aufgemalt sind. Der Titel, ein Zitat aus dem Song „Hurt“ der Band Nine Inch Nails (auch als Cover von Johnny Cash bekannt), weist zum einen direkt auf den Entstehungszusammenhang des verdreckten Atelierbodens hin. Zum anderen lösen die roten Farbflecken mit der ersten Strophe des titelgebenden Songs „I hurt myself today/ to see if I still feel/ I focus on the pain/ the only thing that’s real“ die Assoziation an Blut und Themen wie Selbstgeißelung, Reue und Trauer aus. Anders als die DIY-Punker der ersten Generation verwandelt Müller seine Antihaltung in einen schöpferischen Akt und findet dabei zu einer ganz eigenen Bildsprache, die wunderbar offen ist und auf den Betrachter zugeht.

Aus Dreck und ein bisschen Farbe entwickelte Müller seine Interpretation des „Empire of Dirt“ (2003).

Zugleich findet sich der Wille zur Zerstörung, der auch aus dem Punk stammt, in Müllers Bildern als formal störendes Moment wieder: Nicht nur die Bildoberfläche ist sichtbar, oft lässt die unbehandelte Leinwand den Keilrahmen durchschimmern. Durch das Sichtbarmachen des Herstellungsprozesses der Gemälde und der Leinwand an sich, wird dem Betrachter das Bild als konstruierter Gegenstand vor Augen geführt. Das entstandene Universum bekommt Risse.

Dokumentation einer Liebesgeschichte

Im letzten Raum der Ausstellung sind, entsprechend der chronologischen Hängung, die jüngsten Arbeiten des Malers von 2010 zu sehen, die er anlässlich der Ausstellung anfertigte. Sie wirken wie ein Resümee, das das bisherige Schaffen zusammenfasst. In seiner Handhabung mit der Farbe, den Formen usf. lässt sich dabei vor allem eines ablesen: Müllers Liebe zur Malerei und zum Tafelbild. Seine Gemälde sind die Dokumentation einer Liebesgeschichte, die mal ganz zart und sanft (besonders in seinem Frühwerk) und ein anderes mal brutal und aggressiv („Empire of Dirt“) verläuft.
Die Baden-Badener Ausstellung vermag es auf ganz eindringliche Weise dem Besucher einen Einblick in Müllers Welt zu geben, die sich in „total confusion“ um sich selbst und das Medium der Malerei dreht.

Die Ausstellung „Stefan Müller. Hang zur Neigung“ ist noch bis zum 24. Mai 2010 in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden zu sehen. Der Katalog mit Textbeiträgen von Julia Wirxel und Thomas Bayrle wurde von Karola Kraus im Distanz Verlag herausgegeben und kostet im Museum 29,90 Euro.

  1. Lüdeking, Karlheinz: Vorwort zu: Clement Greenberg: Die Essenz der Moderne. Ausgewählte Essays und Kritiken, hrsg. v. Karlheinz Lüdeking. Hamburg 2009, hier S. 18.
  2. Wirxel, Julia: „Mit minimalem Aufwand das Maximum erreichen“. In: Stefan Müller. Hang zur Neigung. Katalog zur Ausstellung, hrsg. v. Karola Kraus. Baden-Baden 2010, hier S. 19.

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