Singapur hat Großes vor: Neben dem ehrgeizigen Vorhaben bis 2025 seine Einwohnerzahl von derzeit 4,5 Millionen auf 6,5 Millionen zu erhöhen, hat sich der am Südzipfel Malaysias gelegene Stadtstaat zum Ziel gesetzt, eine der wichtigsten Kunstmetropolen der Welt zu werden. Eine Vision, die von offizieller Seite aus propagiert wird und sich beispielsweise auf der Homepage des National Arts Council Singapore finden lässt, und selbst in Reiseführern wie MarcoPolo schon erwähnt wird.
Dies mag zunächst überraschen, denn den meisten Besuchern, die auf dem Weg nach Australien oder Neuseeland nur einige Tage in Singapur verbringen, bleibt die Stadt vor allem als das größte und sauberste Kaufhaus der Welt im Gedächtnis. Dass man bereits in vielen Einkaufspassagen und Shoppingcentern nicht nur Kleidung, Taschen und Schmuck, sondern auch Kunst kaufen kann, bleibt den meisten Touristen verborgen, obwohl sich einige hochkarätige Galerien gerade dort finden lassen. In der Ngee Ann City Mall, dem größten Einkaufspalast Südostasiens, stößt man beispielsweise auf die Opera Gallery, die sich mit ihren Ausstellungsobjekten durchaus sehen lassen kann. Der glitzernden Kaufhauswelt entronnen, scheint man sich plötzlich unvermittelt in einem Museum mit Meisterwerken international bekannter asiatischer, europäischer und amerikanischer Künstler zu befinden. Im Unterschied zu einem Museum hängen die Werke allerdings ungeschützt an den Wänden und können in regelmäßig stattfindenden Auktionen tatsächlich käuflich erworben werden. Dass man in unmittelbarer Nähe zu Louis Vuitton, Cartier und anderen Designerläden einen Cézanne, Picasso oder Andy Warhol bestaunen kann, muss man allerdings wissen. In den meisten Reiseführern werden sehenswerte Galerien nicht erwähnt.
Faible für regionale Kunst
Auch der Besuch eines Museums steht für die meisten Touristen nicht auf der Agenda, da die Kultureinrichtungen des Stadtstaates im Gegensatz zu vielen anderen Metropolen nicht zu den Hauptsehenswürdigkeiten zählen. Wer Paris besucht hat und nicht wenigstens im Louvre war, wird ungläubig angeschaut. Der Besuch der Museen Singapurs ist dagegen für Touristen nicht obligatorisch. Das mag daran liegen, dass sich die Museen größtenteils mit Geschichte und Kultur Asiens und vor allem Singapurs auseinandersetzten und nicht das klassische Programm europäischer und amerikanischer Museen aufzubieten haben. Eine Eigenart der Kunst Singapurs besteht darin, dass sich die Künstler den Realitäten vor Ort verpflichtet fühlen und diese durch ihre Werke zu repräsentieren versuchen. Ein ähnliches Ziel verfolgen auch die Museen in Singapur, denn ihre Sammlungen präsentieren hauptsächlich regionale Kunst, angefangen bei den naturalistischen Darstellungen Singapurs aus dem frühen 20. Jahrhundert bis zu zeitgenössischen Videoinstallationen. Eine chronologisch geordnete Gemäldegalerie mit Werken bekannter, internationaler Künstler wird man dagegen vergeblich suchen, da dem Bekanntheitsgrad des Künstlers oder dem Wert des einzelnen Objektes weniger Bedeutung beigemessen wird. Die Museen haben jedoch durchaus einiges zu bieten und zwar nicht nur für Besucher mit besonderem Interesse für die regionale Kunst. Viele der in den letzten Jahren umfassend restaurierten und renovierten Museen sind mit modernster Technik ausgestattet und auch im museographischen Sinne auf dem neusten Stand.
Das erst 2005 wiedereröffnete Nationalmuseum ist eines der besten Beispiele für die Integration modernster Techniken in den Ausstellungsbereich. Bemerkenswert ist neben den Videoinstallationen und Touchscreens vor allem der interaktive Audioguide, der dem Besucher in der History Gallery zur Verfügung steht. Dieser gibt dem Besucher die Möglichkeit, den Rundgang durch die Geschichte Singapurs nach persönlichen Interessenschwerpunkten zu gestalten. Neben gesprochenem Text zu den Exponaten ‒ wie bei einem klassischen Audioguide ‒ bietet der so genannte Companion die Möglichkeit, Berichte von Zeitzeugen zu hören und dank eines großen Displays auch weiterführende Texte zu lesen oder sich kurze Videosequenzen anzuschauen.
Wer sich mehr für das heutige Leben in Singapur interessiert, dem bieten die Living Galleries Gelegenheit, sich über ethnische Gruppen, Bräuche und Vorlieben der Bewohner des Stadtstaates zu informieren. Es gibt insgesamt vier Living Galleries, die sich mit den Themen Essen, Mode, Fotografie und Film auseinandersetzen. Neben den Dauerausstellungen zeigt das Museum auch Sonderausstellungen, die meist einen Aspekt der Geschichte des Stadtstaats beleuchten oder zeitgenössischen Künstlern Singapurs gewidmet sind, wie im Jahr 2008 Matthew Ngui. Der hauptsächlich in dem Bereich Videokunst, Performance und Installation arbeitende Künstler ist international hoch angesehen und vertrat als erster Künstler seine Heimat bei der Documenta X in Kassel sowie bei der Biennale 2001 in Venedig. Aber nicht nur in den Ausstellungen, sondern auch in der Architektur ist das Museum ein leuchtendes Vorbild für die Verbindung von Vergangenheit und Moderne. Der erst kürzlich realisierte Anbau aus Glas und Stahl harmoniert perfekt mit dem neoklassizistischen Kolonialstil des 1887 vollendeten Gebäudes.
Kommerz und Qualität
Meilensteine auf dem Weg zur Kulturmetropole sind neben den auf den neusten Stand gebrachten Museen auch die bereits seit mehreren Jahren stattfindenden Messen für zeitgenössische Kunst, ARTSingapore und Singapore Biennale. Wer sich für die neuesten Strömungen in der internationalen Kunst interessiert, findet diese bei einem Besuch der Singapore Biennale, die das nächste Mal 2011 stattfinden wird. Geleitet wird diese wichtigste internationale Messe Singapurs im Jahr 2011 von Matthew Ngui und damit erstmals von einem aus Singapur selbst stammenden Künstler. Die ARTSingapore zeigt dagegen hauptsächlich etablierte Künstler und kaum experimentelle Kunst. Diese unterschiedlichen Schwerpunkte hängen mit der Ausrichtung der beiden Messen zusammen. Die Biennale ist ähnlich der Documenta in Kassel eine wichtige Ausstellungsplattform ohne kommerziellen Charakter, die einzelne Künstler und ihre Werke präsentiert. Bei der ARTSingapore stellen sich dagegen Galerien vor, bei denen man als Besucher die ausgestellten Werke auch direkt erstehen kann. Beide Messen zeigen dabei Kunst von außerordentlich hoher Qualität.
Neben den ausgestellten Objekten ist vor allem auch die Größe der beiden Veranstaltungen bemerkenswert. Auf der drei Monate dauernden Singapore Biennale waren 2008 über 60 Künstler aus aller Welt vertreten. Und die seit acht Jahren bestehende ARTSingapore ist mittlerweile sogar die größte Messe für zeitgenössische asiatische Kunst im südostasiatischen Raum. Dieses Jahr bot die ständig wachsende Messe 110 Galerien aus 16 verschiedenen Ländern Platz und zog in vier Tagen über 15.000 Besucher aus aller Welt an. Die ausgestellten Kunstwerke hatten einen Wert von umgerechnet 55 Millionen US Dollar und einige werden sicher ‒ wie letztes Jahr ‒ ihren Weg in die Museen finden. Damit hat es die ARTSingapore geschafft, in den acht Jahren ihres Bestehens zu einem der wichtigsten Ereignisse der Kunstszene im asiatischen Raum zu werden.
Ein Besuch der ARTSingapore lohnt sich allerdings nicht nur für potenzielle Käufer. Neben den Galerieständen präsentiert die ARTSingapore jedes Mal auch Spezialausstellungen und bietet die Gelegenheit, an Diskussionsrunden mit renommierten Spezialisten aus aller Welt, den so genannten Art Conversations, teilzunehmen. Themen der Spezialausstellungen waren 2008 die Installationen des 2006 verstorbenen Pioniers der Videokunst Nam June Paik aus der Privatsammlung Kim Soo Cheongs sowie Werke des indischen Künstlers Jogen Chowdhury aus dem Glenbarra Art Museum. Im Rahmen der Art Conversations hatten die Besucher die Gelegenheit, sich Vorträge zu den beiden Spezialausstellungen sowie Diskussionen zum Thema Asiatischer Kunstmarkt anzuhören. Interessierten Besuchern bot sich im Jahr 2008 außerdem erstmals die Möglichkeit, an Führungen teilzunehmen, um sich einen Überblick über die Angebote der Messe zu verschaffen. Die 15.000 Besucher und das Interesse der Galerien, im nächsten Jahr auch wieder an der ARTSingapore teilzunehmen, sprechen für sich. Am Ende der Messe war etwa die Hälfte aller Stände für die ARTSingapore 2009, die noch einmal größer werden soll als im Jahr 2008, bereits wieder vergeben.
Reicher an Erfahrung
Ich hatte das Glück, 2008 bei der ARTSingapore mitarbeiten zu dürfen und so auch meinen kleinen Teil zum Erfolg der Veranstaltung beitragen zu können. Nach dem Studienabschluss in Heidelberg habe ich meinen Mann für vier Monate nach Singapur begleitet und vor Ort davon erfahren, dass bei der ARTSingapore noch Hilfskräfte gesucht werden. Nach dem Vorstellungsgespräch war schnell klar, dass meine Erfahrungen weit über das Gesuchte hinausgingen. Da mir die Veranstalterin aber gerne die Möglichkeit geben wollte, bei der ARTSingapore mitzuarbeiten, musste eine Aufgabe für mich gefunden werden. Gemeinsam kamen wir auf die Idee, Führungen für interessierte Besucher anzubieten.
Statt als Hilfskraft wurde ich also schließlich als Besucherführerin eingestellt, eine Aufgabe, die es bei der Messe bisher nie gegeben hat. Daneben war ich auch für das Gelingen der Art Conversations zuständig. Ein Aufgabenbereich, der die Vorstellung der Teilnehmer, die technische Unterstützung bei den Powerpointpräsentationen und die Betreuung der teilnehmenden Referenten umfasste. Gearbeitet habe ich also ausschließlich während der Dauer der Messe, von der Vorbereitungszeit auf meine Führungen und auf die Präsentation der Diskussionsteilnehmer einmal abgesehen. Es wurde aber auch erwartet, dass ich als Teil des Organisationsteams bei den für die VIPs organisierten, exklusiven Abendveranstaltungen anwesend war. Was natürlich eine angenehme Verpflichtung war. Verdient habe ich umgerechnet etwa 250 Euro, erfahren und gelernt aber viel mehr. Vor allem da es mir als Teil des Organisationsteams auch vergönnt war, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Wirklich beeindruckt bin ich immer noch von der Leistung der Organisatoren, die mit einem Team von nicht einmal zehn festen Mitarbeitern eine Veranstaltung dieser Größe auf die Beine gestellt haben, die den Besuchern nicht nur die Möglichkeit bot, 110 verschiedene Galerien zu besichtigen, sondern darüber hinaus noch weitere Angebote wie Sonderausstellungen und Diskussionsrunden bereithielt. Sollte Singapurs Regierung ihr Ziel, eine der wichtigsten Kunstmetropolen der Welt zu werden, nur halb so engagiert verfolgen, steht der Verwirklichung dieser Vision wohl kaum noch etwas im Wege.