allerArt, Kritik
Schreibe einen Kommentar

Ré Soupault reist ohne Gepäck

„Seltsamer Reisender Reisender ohne Gepäck / ich habe nie Paris verlassen / mein Gedächtnis folgte mir wie ein Schatten / mein Gedächtnis lief mir nach wie ein kleiner Hund (…)“,1 schreibt Philippe Soupault 1917-22 in dem Gedicht „Westwego“. Die Zeilen zieren die letzte Wand der Räume der Mannheimer Kunsthalle und bestimmen damit gleichsam zusammenfassend den Grundton der Ausstellung „Ré Soupault. Künstlerin im Zentrum der Avantgarde“. Wie Stationen einer Reise ohne Gepäck stellen sich die Etappen der Biografie von Ré Soupault in dieser chronologischen Zusammenstellung ihres Schaffens dem Besucher dar und offenbaren dabei das entscheidende Moment ihres Lebens: Die Liebe zum Neuanfang, die zugleich den Bruch mit dem Vergangenen, das Wegwerfen des Gepäcks, bedeutet.

Zuerst nach Paris

Abb. 1 | Erstmals werden die bisher unbekannten Fotografien Man Rays öffentlich gezeigt.

Nach ihrem Studium am Bauhaus in den 1920er-Jahren arbeitet Soupault, die eigentlich Meta Erna Niemeyer heißt, als Assistentin des dadaistischen Filmemachers Vikin Eggeling. Bald nach Eggelings frühem Tod zeichnet sich der erste Bruch ab: Vom Film wechselt die Künstlerin in die Welt der Mode. Als Modekorrespondentin der Zeitschrift „Sport im Bild“ präsentiert sie unter dem Pseudonym Renate Green die neuesten Trends und wirkt dabei geschmacksbildend. Doch die journalistische Tätigkeit genügt der kreativen Ré Richter – sie hatte mittlerweile den Dadaisten Hans Richter geheiratet, ließ sich jedoch schnell wieder scheiden – bald nicht mehr. Sie gestaltet zunehmend eigene Entwürfe und gründet ein Modestudio in Paris.

Der erste Abschnitt der Ausstellung ist diesen ersten Stationen von Soupaults Reise gewidmet. Neben anfänglichen, fast impressionistischen Malversuchen aus der Schulzeit und zahlreichen Modeentwürfen findet sich schon hier ein Höhepunkt der Ausstellung: Die Fotoserie „Ré-Sport“ (um 1930) von Man Ray, die die gleichnamige Modekollektion der Designerin in Szene setzt. Mit kompositioneller Stringenz setzen die bisher unpublizierten Fotografien aus der Sammlung des Pariser Centre-Pompidou die Essenz der Modelinie bildlich um. Die Klarheit des Entwurfes wird in der reduzierten Darstellungstechnik der Fotografien verdichtet und ihre Wirkung verstärkt.

Die Kunst der Dokumentation

Nach der Heirat mit dem Surrealisten und Reisereporter Philippe Soupault Ende der 1930er-Jahre kehrt Ré der Mode den Rücken und widmet sich der Fotografie. Mit direktem Blick und exakter Komposition – der Einfluss des Bauhauses wird hier deutlich – dokumentiert sie ihre zahlreichen Reisen nach Nordafrika, Spanien und Frankreich. Ihrem dabei entstandenen umfangreichen fotografischen Werk ist die zweite Sektion der Ausstellung gewidmet. Eingeleitet wird diese Station mit Fotografien von Soupaults Zeitgenossen und Bekannten, hier finden sich abermals Werke von Man Ray, aber auch von André Kertész, Henri Cartier-Bresson und einer Vielzahl weiblicher Kolleginnen. Ins Auge fällt dem Betrachter dabei besonders ein Aspekt: der große Unterschied zwischen den Fotografien. Während Soupaults Arbeiten der fotografischen Dokumentation verschrieben sind, zeichnen sich die beigefügten Bilder durch ihren künstlerischen Ansatz aus. Es scheint, als sei die Fotografin Soupault dem bloßen Abbildcharakter des Mediums verfallen, während ihre Zeitgenossen die Medialität ihrer Gattung bewusst befragen – ein Eindruck, der den Arbeiten der Autodidaktin wohl kaum gerecht werden kann. Aufschlussreicher, um die Besonderheit von Soupaults Fotografien herauszuarbeiten, wäre wahrscheinlich eine Gegenüberstellung mit anderen Werken der Dokumentarfotografie. So wird die Fotografin zwar in den historischen Kontext eingebettet, die Charakteristik ihres Werkes wird aber nicht greifbar.

Abb. 2 | Schonungslos direkt zeigt Soupault die Prostituierten des „Quartier Résérvé“ in Tunis, einem Ghetto für aus ihren Familien verstoßene Frauen.

Doch auch die Fotografie kann Soupault nicht sehr lange fesseln und so ist die Rückkehr nach Paris – sie hatte lange Zeit in Tunis gelebt – zugleich ein Neuanfang: Von nun an schreibt die Alleskönnerin Essays und Radiobeiträge oder übersetzt die Schriften ihres Mannes und anderer Surrealisten wie Tristan Tzara. Mit der Übersetzung der „Gesänge des Maldoror“ überzeugt Soupault die deutsche Leserschaft und sichert sich die Hingabe des Verlegers Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, der „neidvoll“ auf die „kongeniale(…) Lautréamont-Übertragung“ blickt.2

Kein Theseus in Mannheim

Neben diesem ersten Strang der Retrospektive entwickelt die Ausstellung einen zweiten roten Faden, der die einzelnen Etappen der biografischen Reise Ré Soupaults zu einem Gesamtbild verdichtet. Dieser Faden soll ein Netz von Künstlern der Avantgarde um Soupault spinnen und die Künstlerin mit ihrem intellektuellen Umfeld verweben. Hierfür sind ihren Arbeiten über die einzelnen Ausstellungsabschnitte hinweg zahlreiche Werke der Vertreter dieses Künstlernetzwerkes beigefügt, etwa die Fotografien. Um die Zusammenhänge zu konkretisieren, wird in der dritten Sektion der Topos des Netzwerks nochmals explizit aufgegriffen. In Form einer Mindmap ist eine Vielzahl von Personen auf einer Stellwand namentlich aufgelistet und mit der zentralen Figur Ré Soupault in Bezug gesetzt. Stichwortartig wird das persönliche Verhältnis zur Künstlerin beschrieben, beispielsweise: beste Freundin, Verleger oder erster Ehemann. In beiden Fällen, also auf der Tafel sowie in den vorangehenden Ausstellungsabschnitten, wird die Beziehung zwischen den Protagonisten jedoch kaum charakterisiert und schon gar nicht analysiert. Die Einordnung Ré Soupaults in den Kontext ihres sozialen Umfeld sagt wenig über ihr Werk aus. Wichtige Fragen, etwa welche Beziehungen einflussreich waren, wie ein etwaiger Einfluss sich im Werk abzeichnet oder ob er gegenseitig war, werden nicht gestellt. Die Zusammenstellung ergibt sich letztlich allein aus der Biografie und wird nicht durch die Thematik begründet, die die Arbeiten beschreiben.

Die Vielfalt von Soupaults Werk spiegelt sich in der Ausstellung vor allem in der Vielzahl der Quellen wider, die aus dem umfangreichen Nachlass des Ehepaares Soupault stammen. Zahlreiche Objekte und Dokumente sind in Schaukästen aufgestellt, wirken aber wie die Fotografien teilweise rein anekdotisch und sind wenig konstitutiv für die Argumentationslinie der Ausstellung, so die Zigarettenschachtel, in der Soupault die Negative ihrer Bilder aufbewahrte. Das Ziel der Kuratoren, anhand des umfangreichen Quellenmaterials eine facettenreiche Darstellung des Lebens und Schaffens von Ré Soupault zu liefern, ist nur teilweise gelungen. Aufgrund der vielen Objekte und Erzählstränge verliert der Betrachter im Mannheimer Labyrinth den Überblick: anders als Theseus fehlt ihm der leitende Ariadnefaden. Mit einer Reduktion auf wenige aussagekräftige Exponate hätte das verschwommene Bild Ré Soupaults vielleicht geschärft werden können.

Abb. 3 | Soupault lässt den Betrachter in den Reihen der Streikenden mit marschieren.

Doch was die Ausstellung nicht leisten kann – die inhaltliche Engführung und wissenschaftliche Kontextualisierung –, wiegt der wunderbare knapp 260 Seiten starke Katalog wieder auf. In sechs fundierten Essays werden die fünf Themen Bauhaus, Film, Mode, Fotografie und Literatur untersucht. Am meisten überzeugt jedoch das großartige Begleitprogramm, das die Mannheimer Kuratoren entwickelt haben. In Vorträgen werden die Stationen der Biografie von Ré Soupault in ihren historischen Kontext eingebunden und eingehend beleuchtet. Darüber hinaus bietet die Kunsthalle in Zusammenarbeit mit dem Mannheimer Cinema Quadrat die Filmreihe „Film & Kunst“ an, in deren Rahmen französische Avantgarde-Filme der 20er-Jahre, der Klassiker „Jules und Jim“ und der Dokumentarfilm „Paris was a woman“ zu sehen sein werden.

Die Ausstellung „Ré Soupault – Künstlerin im Zentrum der Avantgarde“ ist noch bis 08. Mai 2011 in der Kunsthalle Mannheim zu sehen. Aktuelle Informationen und das Begleitprogramm gibt es auf der Webseite des Museums. Der Katalog kostet 29,80€.

 

  1. Abb. 1 | VG Bild-Kunst Bonn und Man Ray Trust Paris, 2011.
  2. Abb. 2 | Nachlass Ré Soupault / VG Bild-Kunst Bonn.
  3. Abb. 3 | Nachlass Ré Soupault / VG Bild-Kunst Bonn.
  1. Ré Soupault. Künstlerin im Zentrum der Avantgarde. Ausst.-Kat. Mannheim 2011. Heidelberg 2011, S. 246.
  2. Ebd., S. 238

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>