Der Frankfurter Kunstverein probt das Ende der Geschichte und schickt den Besucher der Ausstellung „Futur Perfekt“ durch das Trümmerfeld. „Futur Perfekt“ ist die vollendete Zukunft: „Es wird gewesen sein“, also der paradoxe Rückblick aus der Zukunft auf eine Vergangenheit. So wird suggeriert, dass den Werken im Frankfurter Kunstverein eine Auseinandersetzung mit Geschichtsbegriffen gemein ist.
Steigt man also die Treppe in den ersten Stock hinauf, säumen mit „Die Welt in Teilen (Living Room)“ von Yorgos Sapountzis Stoffstücke und Metallstangen den Treppenaufgang. Wie die Überreste historischer Gewissheiten, so meint man die Installation in diesem Kontext verstehen zu müssen, hängen Zeltstangen und Stofffetzen vom Geländer der Wendeltreppe und leiten den Besucher zu dem Video „Fast Cast Past“, ebenfalls von Sapountzis, das auf dem Treppenabsatz projiziert wird. Als Leinwand dient eine ähnliche Konstruktion, die aussieht, als würde sie aus den Resten der Zelte aus dem Occupy-Camp bestehen, das ein Jahr zuvor und einige hundert Meter weiter vor dem Gebäude der EZB stand.
Das Ende der Repräsentation
Im selben Stockwerk wird der Film „Alpi“ von Armin Linke gezeigt. Der Film zeigt in narrativ zwar unzusammenhängenden, aber doch metonymisch verknüpften Szenen Bollywoodtänzer in einem österreischichen Bergdorf, Arbeiter in einem Erzbergwerk, sublime Landschaftsaufnahmen aus der Schweiz oder eine Skihalle in Dubai. Vordergründig mag es hier um kulturelles Displacement oder Globalisierung gehen. Auf den zweiten Blick aber fällt auf, dass der Film voll ist von Simulationen und Modellen, von Tests und Nachbauten. Die Skihalle in der arabischen Wüste, die von Innen aussieht wie ein Skihang in Österreich, Miniaturlandschaften mit Spielzeugeisenbahnen, die Polizisten, die für einen Ernstfall proben, sind Simulationen einer Realität, die im Syntagma des Films ihren Status als mimetische Repräsentationen verlieren. Den Bildern wird die referentielle Tiefe genommen und sie werden Teil einer grellen Oberflächenstruktur, deren Segmente allein metonymisch verknüpft sind. Einem monumentalen Schlachtengemälde – Sujet: der Schweizer Unabhängigkeitskrieg gegen Napoleon – folgt ein Training der Schweizer Polizei. Was hier zählt, ist die schillernde Oberfläche der Kopien en minature, die, ohne eine Geschichte zu erzählen und ohne Referenz, aneinandergereiht werden. Wie ein poetologischer Kommentar wirkt es, wenn im Film ein Projektleiter erklärt, wie in in der Skihalle in Dubai das Ambiente eines Alpendorfs simuliert werden soll.
Bei Kerstin Brätschs (Mitglied der Gruppe „Das Institut“) „Upright Tanning“ geht es ebenfalls um Oberflächen, in diesem Fall allerdings buchstäblich. Kreissegmente in psychedelischen Farben verschlingen sich in der Mitte eines schaufenstergroßen Holzdisplays, während die Seiten frei bleiben. Was hier die Form eines Triptychons zitiert, ist nicht mehr als das: ein Formzitat. Die indirekte Halogenbeleuchtung sorgt für einen Nimbus, der das, was in der Mitte steht, zur Epiphanie werden lässt. Doch das mittlere Kompartiment ist nichts als das weitere Zitat der unverhohlen dekorativen Oberflächen, die ebensogut die Schaufensterauslage in einer beliebigen Fußgängerzone Deutschlands zieren könnten. Die in der Postmoderne emphatisch gefeierte freie Verfügbarkeit der Formen und das in der Moderne forcierte Ende der Repräsentation kulminieren hier in einem Pastiche kommerziell-merkantiler Versatzstücke, die in ihrer Glätte weder einen Hinweis auf Kritik noch einen Anhaltspunkt zur Affirmation bieten.
Der Begleittext zur Ausstellung behauptet, der Film „Die Probe (The Test)“ von Clemens von Wedemeyer stelle „die Frage nach dem Handlungsraum des Einzelnen“. Von Wedemeyers Film zeigt in einer einzigen Einstellung und im Loop einen grau-weiß gemauerten Raum, links hinten steht wie im Hinterzimmer einer Halbweltbar über einem Türsturz „Artist’s Entrance“ in leuchtenden Neonbuchstaben geschrieben. Von dort kommt der Gewinner einer Wahl, mit dem grauen Beamtengesicht eines Politikers, wenig später die Journalisten, dann der Redenschreiber. Die vorbereitete Rede für den Gewinner lässt den Zuschauer im Unklaren darüber, was als nächstes passieren wird, aber der Text ist nur seine Rücktrittserklärung – und das Publikum jubelt trotzdem. Der Handlungsraum des Subjekts erstreckt sich aus der grauen Betonkammer ins Unermessliche. Nur ist die Handlung ohne jede Konsequenz. Nichts ändert sich, und wenn alle gegangen sind, fängt der Film wieder von vorne an. Von Wedemeyer macht die Auflösung von Alterität zum Strukturmerkmal seines Films, die Handlungsfreiheit beginnt und endet in einem grauen Hinterzimmer.
Palimpsest und Schneelandschaft
Durch die Architektur des Kunstvereins bedingt, erstreckt sich die Ausstellung vom Keller bis in die dritte Etage. Die Szenografie verlässt sich allein auf die weißen Wände. Daher sind inhaltliche Verbindungen zwischen den Arbeiten schwer zu ziehen, und nur zwei sind geradezu komplementär. Das Liniengewirr in Jutta Koethers Gemälden, das erscheint wie die Gleichzeitigkeit aufeinanderfolgender Arbeitsschritte, kontrastiert mit den erzwungenen Leerstellen in Cyprien Gaillards überklebten Postkarten.
Die beiden zusammengehörenden Gemälde „Berliner Schlüssel“ von Jutta Koether lassen in ihrem Gewirr aus roten Linien immer wieder andere Gemälde hervortreten und verschwinden, als wären alle Skizzen wie in einem Palimpsest gleichberechtigt. Hände, Gesichter, Pflanzen, an griechische Tempel erinnernde rigide Bauformen oder ein aufgemalter gezackter Blitz: Alles befindet sich auf einer Ebene, alles ist mit blassroten, fahrigen Pinselstrichen gemalt. Koethers Gemälde fordern vom Betrachter eine in ihrer Unabgeschlossenheit eine Archäologie. Aber nicht, weil es Leerstellen gibt, sondern weil im Gegenteil alles da ist und sich gleichzeitig in den Vordergrund drängt.
Zwei Stockwerke tiefer, dicht am Ausgang und gut versteckt links hinter der Kasse, findet man mit etwas Glück Cyprien Gaillards Arbeit „New Picturesque“, deren weiße Flächen nach dem horror vacui auf Koethers Leinwänden geradezu wohltuend sind. Gaillard beschäftigte sich schon zuvor (neben seinen Polaroid-Bildatlanten) mit der Auslöschung: 2011 ließ er in den Kunst-Werken in Berlin eine Pyramide aus Bierflaschen errichten, zu deren Zerstörung durch Konsum die Ausstellungsbesucher eingeladen waren. Die sechs Postkarten sind mit weißem Papier beklebt, so dass nur noch kleine Ausschnitte zu sehen sind, die erahnen lassen, was sich darunter verbirgt. Neben den ausgerissenen Ecken lassen sich Türme und Zinnen, Bäume und Wiesen erkennen. Das sind die Schauplätze des Pittoresken, die wie von einem Schneesturm im Sommer gestört werden. Die weißen Flächen muss man aber nicht als Auslöschung von (Kunst)Geschichte deuten, sondern kann darin ebensogut ein Verweis auf die Schneefelder von Caspar David Friedrich sehen. Damit schreibt Gaillard seine eigene Kunstgeschichte, die vom Ende der Repräsentation erzählt, ohne aber den Neubeginn mit dem produktiven Mangel auszuschließen.
Sieht man diese verschiedenen Geschichtsmodelle versammelt, fällt es schwer, die vollendete Zukunft auf einen Nenner zu bringen. Aber es werden doch ein paar Lieblingsthemen des 20. Jahrhunderts wieder aufgegriffen, variiert und von ihrem Fortschrittsgedanken freigemacht. Nachdem weder das Ende der Repräsentation in der Moderne, noch die monumentale Feier von Oberflächen und hermetischen Konzepten der Konzeptkunst, und auch nichts dazwischen, das Ende der Kunst herbeigeführt hat, ist jetzt alles wieder offen. Die Frankfurter Schau zeigt einerseits Arbeiten, die sich – wie Cyprien Gaillards Ansichtskarten – nicht von der Kunstgeschichte frei machen wollen. Als Antipode mag Clemens von Wedemeyers Film gelten, der eine Geschichtsbild in Endlosschleife präsentiert, in dem keine Handlung eine Konsequenz hat.
„Futur Perfekt“ ist eine vom Institut für Auslandsbeziehungen organisierte Wanderausstellung, die ihre Premiere im Frankfurter Kunstverein hat und dort bis zum 13. Oktober 2013 zu sehen ist.