Das Studium ist beendet, die Dissertation vielleicht sogar schon geschrieben, doch was kommt dann? So gut wie jeder Geisteswissenschaftler bekommt während seiner akademischen Ausbildung nicht nur einmal die Frage gestellt: „Was macht man später damit?“ Die Antwort fällt nicht immer leicht, viele Studenten wissen vielleicht selbst nicht genau, was sie nach ihrem Studium beruflich machen möchten. Um den künftigen Berufseinsteigern bei der Orientierung zu helfen, gibt es an vielen Universitäten seit einiger Zeit verstärkt Informationsangebote. Hinter den neudeutschen Begriffen Career- und Recruiting-Events verbergen sich Veranstaltungen, die über berufliche Perspektiven aufklären oder der Personalbeschaffung der beteiligten Firmen dienen sollen. An der Universität Heidelberg fanden kürzlich zwei dieser Events binnen einer Woche statt, die speziell auf Geisteswissenschaftler zugeschnitten waren. Die eine Veranstaltung stand unter der Überschrift „Berufsperspektive Unternehmensberater“, die zweite behandelte das Thema „Existenzgründung für Geisteswissenschaftler“. Organisiert wurden beide Veranstaltungen freilich vom Career Service der Universität Heidelberg.
Mitarbeiter der international agierenden Unternehmens- und Strategieberatung McKinsey & Company sollten den Interessenten einen Überblick über die Tätigkeitsfelder und die Einstiegsmöglichkeiten explizit für Geistes- und Sozialwissenschaftler in ihrem Unternehmen geben und den Arbeitsalltag eines Beraters darstellen, so wurde der Inhalt des Vortrags angekündigt. Für die Zuhörer standen zu Beginn grundlegende Fragen im Zentrum: Warum hat ein Unternehmen, in dem es um Zahlen und Bilanzen geht, offenbar ein großes Interesse an Geisteswissenschaftlern? Gibt es spezielle Aufgaben für sie? Zu erfahren war, dass alle Angestellten des Unternehmens - ob Volkswirt, Biologe oder Kunsthistoriker - die gleichen Aufgaben übernehmen. Schlussendlich wisse man im Arbeitsalltag häufig nicht, was der Kollege studiert habe, es zähle allein die Leistung beim Projekt. Unter „Projekt“ verstehe man, Unternehmen zu beraten, wobei die oberste Devise „Client first“ laute. Die Interessen des Auftraggebers – nicht gleichbedeutend mit denen der Arbeitnehmer – stehen also im Zentrum. Zur Folge hat dies einen Arbeitsalltag, der pro Woche circa 80 Stunden umfasst – mindestens. Familie und Freizeit in den Wochenplan zu integrieren, sei dabei gar nicht so schwierig, vorausgesetzt die Bereitschaft sei vorhanden, mehr als 16 Stunden am Tag zu arbeiten – die Wochenenden, an denen auch ab und an ein paar Stunden gearbeitet werden, ausgenommen.
Learning by doing
Warum Unternehmen wie McKinsey in letzter Zeit vermehrt für sich als potentiellen Arbeitgeber für Geisteswissenschaftler werben, lässt sich leicht erklären: Sie wollen nicht nur gute, sondern die besten Absolventen. Die Studienrichtung ist hierbei zweitrangig. Auch wenn das Studium wenig bis nichts mit Unternehmensberatung zu tun hat, kann ein Geisteswissenschaftler schnell Fuß fassen. Es werden zum Beispiel obligatorische Intensivkurse angeboten, in denen in drei Wochen wirtschaftswissenschaftliche Basiskenntnisse erworben werden sollen. Das ersetzt natürlich kein VWL- oder BWL-Studium, aber schafft Grundlagen, die dann getreu dem Motto „learning by doing“ unter Aufsicht von Mentoren und Kollegen im Team an Projekten vertieft werden. Von den vielgelobten Vorzügen eines Magisterstudiums, wie das selbstständige Arbeiten, wurde nicht gesprochen, auch war keine Rede von einem geübten Umgang mit Sprache. Die Rede von der negativ konnotierten „Elite“ scheint bewusst vermieden zu werden. Dennoch kreiert das Unternehmen sein Image: Nur die Besten arbeiten hier. Ob ausgezeichnete Geisteswissenschaftler wirklich auch herausragende Unternehmensberater sind, das muss an dieser Stelle offen bleiben.
Mein Haus, mein Auto, mein Boot
Aus welchen Gründen ist ein Job, bei einer international agierenden Unternehmensberatung für Geisteswissenschaftler reizvoll? Offensichtlich ist natürlich der finanzielle Aspekt. Nicht umsonst gibt es das Klischee des Taxi fahrenden Geisteswissenschaftlers. Von allen Seiten bekommen Geisteswissenschaftler zu hören, sie studierten für die Arbeitslosigkeit. Da ist es selbstredend reizvoll, für einen Job angeworben zu werden, mit dem Haus, Auto und Boot finanziert werden können. Zudem: Gibt es Jobs im Kultursektor, in denen das (Einstiegs-)Gehalt circa 60 000 Euro im Jahr beträgt?
Neben dem finanziellen Aspekt kann die Unternehmensberatung ein Feld für Geisteswissenschaftler sein, die sich nicht ihr Berufsleben lang mit ihrer Disziplin beschäftigen oder einfach aus dem Elfenbeinturm der Forschung ausbrechen möchten. Die Projekte scheinen äußerst abwechslungsreich zu sein, ebenso wie die Arbeit mit immer neuen Teams, neuen Kunden und mitunter in neuen Städten.
Schlussendlich muss jeder selbst entscheiden, ob er eine geisteswissenschaftliche Disziplin studiert, weil ihn das Fach interessiert, der Wissensdurst aber bereits während des Studiums gestillt werden kann, oder ob das Studienfach mehr ist als nur ein Hobby. An Letztere richtete sich die Informationsveranstaltung „Existenzgründung für Geisteswissenschaftler“, die eine Möglichkeit aufzeigte, an die viele Geisteswissenschaftler womöglich zunächst nicht denken: Existenzgründung als Freiberufler.
Ein Doktortitel für alle Fälle
Sein eigener Chef sein, davon träumen viele. An Berufsbilder aus dem publizistischen Bereich, wie Dolmetscher, Texter, Lektor, Reporter oder Journalist, die auf freiberuflicher Basis ausgeübt werden können, denkt man schnell. Darüber hinaus gibt es zahllose weitere Möglichkeiten, sich zu verwirklichen oder seinen eigenen Job zu schaffen, gerade wenn man auf dem Arbeitsmarkt keine Anstellung findet.
Der Weg in die Selbstständigkeit kann eine große Überwindung bedeuten. Zwei Geisteswissenschaftler, die diesen Weg eingeschlagen haben, stellten in Heidelberg am Institut für Europäische Kunstgeschichte ihre Geschäftsmodelle vor. Der promovierte Historiker Markus Urban studierte an der Universität Erlangen-Nürnberg und bot für einen Reiseveranstalter bereits während des Studiums Führungen in und um Nürnberg unter dem Motto „Geschichte für alle“ an, zum Beispiel auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände. Aus dieser Tätigkeit heraus entwickelte Urban sein Geschäftsmodell, das aus zwei Teilen besteht: In den Wintermonaten recherchiert und schreibt sein Unternehmen, eine GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts), für öffentliche und private Interessenten Firmen- und Stadtgeschichten. In den Sommermonaten organisiert Urban mit seiner Firma Flußkreuzfahrten zwischen Amsterdam und dem schwarzen Meer. Bei diesen Veranstaltungen verbindet sich das Informative mit dem Amüsanten, wenn sich schon mal historische Fakten mit einer Bierprobe vermischen. „Es ist in der Tat eine sehr spezielle Idee“, gibt er zu. Doch genau diese Nische ist es, die ihm den Erfolg bringt.
Anstatt eine Lücke zu füllen, geht die ebenfalls promovierte Kunsthistorikerin Anja Kalinowski in die Breite. Sie ist quasi eine Kunsthistorikerin für alle Fälle, denn sie übernimmt Aufträge vom Verfassen eines Ausstellungskatalogs bis hin zum Taxieren eines kompletten Schlosses. Für sie stand nach einiger Zeit in Anstellung fest, dass sie die Eigenständigkeit anstrebt. Der Mangel an unbefristeten Stellen für Kunsthistoriker sowie die flexible Gestaltung des Arbeitsalltags beziehungsweise die Vereinbarkeit von Beruf und Familie waren für sie Ausschlag gebend.
Doch auf dem Weg zum Freiberufler stehen einige Hürden im Weg. Besonders die Finanzierung und die ersten Aufträge stellen Schwierigkeiten dar. In puncto Finanzierung kann man sich von verschiedensten Stellen, wie zum Beispiel bei der Bundesagentur für Arbeit, beraten lassen. Auch Ratgeberliteratur kann weiterhelfen. Die zweite Hürde zu nehmen, also erste Auftraggeber zu gewinnen, gestaltet sich schwieriger. Es lohnt sich, so die Erfahrung von Kalinowski, intensiv Werbung für sich zu machen, beispielsweise durch Flyer oder Infobroschüren, die an potenzielle Kunden gesendet werden. Den Anfang erleichterten sowohl Urban als auch Kalinowski Beziehungen aus vorhergehenden Anstellungen. Urban empfiehlt:
„Man sollte nicht sofort als Freiberufler starten, wenn man bisher nur eine Universität von Innen gesehen hat.“
Bringe man einige Tugenden mit, sind sich beide einig, sollte dem erfolgreichen Start nichts im Weg stehen. Ein hohes Maß an Belastbarkeit und eine gute Gesundheit sind äußerst wichtig, da man meist alleinverantwortlich ist und eine Krankheit den kompletten Zeitplan über den Haufen werfen kann. Auch sollte einem bewusst sein, dass es zu langen und außergewöhnlichen Arbeitszeiten kommen kann. Beide empfehlen zudem den Erwerb eines Doktortitels: „Mit Titel wird man in der Öffentlichkeit anders wahrgenommen.“
Neben den klassischen Berufsfeldern für Kunsthistoriker, eröffnet sich somit ein immer breiteres Spektrum neuer Berufsmöglichkeiten. Welchen der beiden hier vorgestellten Wege man wählt, ob im Angestelltenverhältnis bei Unternehmensberatungen oder selbstständig in der eigenen Firma, ist eine Frage der persönlichen Vorliebe. Die einen bieten ein hohes Startgehalt und eine sichere Arbeitsstelle, dafür arbeitet man fachfremd. Als Freiberufler kann man in seinem Fach bleiben, doch besteht die Möglichkeit des Scheiterns. Davor solle man allerdings keine Angst haben: „Jeder Rückschlag kann auch die Grundlage für einen zukünftigen Erfolg sein,“ betont Markus Urban.