Dass die Deutsche Bank neuerdings ihre Tore für insolvente Familienbetriebe aus Polen öffnet, mag zunächst überraschen. Seit einigen Wochen prangt in großen Lettern der Name “Almech” auf dem Bankgebäude Unter den Linden. Die kleine Kunststofffabrik aus Wesola, einem Vorort von Warschau, ist für die Dauer einer Ausstellung in die Räumlichkeiten des Deutsche Guggenheim eingezogen, um dort ein Projekt des polnischen Künstlers Pawel Althamer zu realisieren (der somit gleichzeitig die väterliche Firma vor dem Bankrott rettet). In zwei Werkstätten fertigen Fabrikmitarbeiter Gesichtabdrücke von Besuchern an, die anschließend auf Metallgerüste montiert und mit “Kunststofffleisch” vervollständigt werden. Ästhetisch sind die Figuren irgendwo zwischen Gunther von Hagens Leichenschau und Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett anzusiedeln. Lange Muskelstränge aus Plastik verdichten sich zu Zombiekörpern, die in bleicher Starre den Ausstellungsraum besiedeln, während die Gesichter an detailgetreue Totenmasken erinnern, an denen jedes Barthaar sichtbar wird. Sowohl Mitarbeiter des Deutsche Guggenheim als auch Ausstellungsbesucher können auf diese Weise in die Rolle eines archaischen Schwertkämpfers schlüpfen oder sich als Fee mit Engelsflügeln verewigen lassen. Von indianischem Kopfschmuck über muskelstrotzende Sixpacks bis hin zu esoterischen Ballonkostümen wird kitschmäßig so einiges geboten.
Ein Touch Sozialarbeit
Doch nicht die Objekte sollen Mittelpunkt der Ausstellung sein, so betonen Künstler und Kuratoren wiederholt. Stattdessen wird auf ein Gemeinschaftsgefühl gesetzt, das durch die (physische) Beteiligung der Besucher erzielt wird und dem Projekt einen Touch Sozialarbeit verleiht. Wenn Althamer die Besucher anhält, ihr Gesicht — der visuelle Träger unserer Persönlichkeit — mitsamt ihres Vornamens beizusteuern, weckt er ganz bewusst ein intimes Gefühl der Zugehörigkeit. Diese Hinwendung zur “Mitmachkunst” lässt sich als allgemeine Tendenz in der zeitgenössischen Kunst beobachten, was sich in jüngster Zeit unter dem Begriff der “partizipatorischen Wende” verfestigt hat. Auf Grundlage von Bourriauds Interpretation wird das Kunstwerk als “gesellschaftlicher Zwischenraum” betrachtet, der Platz für Interaktionen außerhalb der normierten Strukturen bietet.
Aber schafft Pawel Althamer hier tatsächlich einen sozialen Zwischenraum, in dem ein “Wir” entstehen kann oder ist “Almech” nicht vielmehr das reine Abbild einer fiktiven Gemeinschaft, einer fiktiven Partizipation, die so nie existiert hat? Worin besteht hier das “einzigartige soziale Erlebnis”, das in den Ausstellungstexten so fleißig beworben wird? Dass der Gesichtsabdruck des Vorstandsvorsitzenden unterschiedslos neben dem des Sicherheitsmannes steht, mag auf den ersten Blick zwar an die marxistische Idee einer klassenlosen Gesellschaft erinnern, und doch bleibt diese Gesellschaft lediglich eine Zusammenkunft toter Repräsentationen. Chef und Sicherheitsmann begegnen sich nur in Plastik. Die Masken fungieren als Fetische der Persönlichkeit und werden wie Puppen zu einem künstlichen Standbild gruppiert. Dabei fühlt man sich an Guy Debords “Gesellschaft des Spektakels” erinnert. Laut Debord leben wir in “einer Gesellschaft, in der menschliche Beziehungen nicht mehr ‘direkt erfahren’ werden.” In der spektakulären Gesellschaft können sich Menschen nur noch durch einen Filter aus vorgekauten Verhaltensmustern begegnen. Die menschliche Beziehung weicht ihrer eigenen Repräsentation. Pawel Althamer schafft mit seinem Projekt ungewollt ein Paradigma dieser beziehungslosen Gemeinschaft. Der einzige Moment der aktiven Partizipation geschieht einzeln, separat und hinter Glas. Geradezu als Gegenresultat von Bourriauds “relationaler Ästhetik” erzielt Pawel Althamer daher eine “Anästhetisierung” der Besucher: eine Betäubung statt Aktivierung. Die Beteiligung des Besuchers ist kaum mehr als eine Art passive “Organspende” in Form des Gesichtabdrucks. Entsprechend käme wohl niemand auf die Idee, die plastinierten Körper in Gunther von Hagens “Körperwelten” als Mitwirkende eines partizipatorischen Projektes anzusehen.
Der Künstler als Handwerker
Dem Anschein von Partizipation wird schließlich noch ein Hauch von pseudo-subversiver Institutionskritik beigefügt: “Was geschieht, wenn die Lebenswelten des Museums und der Fabrik eins werden?” So die suggestive Frage, die den Ausstellungskatalog einleitet. Indem die Werkstätten mitsamt Arbeitern und Maschinen in die Räume des Guggenheim verpflanzt werden, soll die Grenze zwischen dem White Cube und der schmutzigen Ästhetik der polnischen Fabrik unscharf gemacht werden. Säcke mit Kunststoffmaterial bergen sich zu staubigen Türmen und die gewaltigen Maschinen produzieren lange Plastikwürste im Fließbandtakt. Mehrere Fabrikarbeiter helfen dem Künstler bei der Arbeit und sind eigens dafür aus dem polnischen Kuhnest eingereist, was zweifelsohne einen liebenswert-familiären Charme verströmt. Nach einer fleißigen 5-Tage-Woche ruht die Arbeit in den zwei Miniaturwerkstätten. Dann liegt in den abgeschlossenen Glaskabinen die benutzte Arbeitskleidung samt Schutzbrille in der Ecke und weiße Fußabdrücke zeugen von der abwesenden Geschäftigkeit. Dass der Künstler als Handwerker stilisiert wird, dessen Tätigkeit mit der des Fabrikarbeiters verschwimmt, ist keineswegs neu oder originell. Spätestens seit Andy Warhols “Factory” ist ein solches Verständnis der künstlerischen “Arbeit” ins allgemeine Vokabular der Kunstgeschichte eingegangen und mit massenproduzierten Objekten à la Jeff Koons allgegenwärtige Praxis. In den sterilen Räumlichkeiten des Guggenheim nimmt sich diese Geste daher wie ein verzweifelter Versuch aus, sich mit rebellischem Arbeiter-Chic zu schmücken. Dass die beiden Orte — Deutsche Guggenheim und “Almech” — für die Dauer der Ausstellung zudem ihre Namen wechseln, scheint dabei ganz nebenbei das kapitalistische Image des globalen Franchiseunternehmens “Guggenheim” aufbessern zu wollen. Einstige Ausstellungen über Armani-Mode und Luxusmotorräder weichen nun einer werbewirksamen (wenn auch unglaubwürdigen) Solidarisierung mit dem osteuropäischen Proletariat. Im Haus einer der größten Banken Deutschlands wirkt dies wie ein besonders schlechter Scherz.
Was bleibt also übrig vom Maschinengebrumm und Plastikgeruch? Trotz all der Geschäftigkeit und manischen Animierung passiert in Althamers Gruselkabinett erstaunlicherweise wenig. Wie plastinierte Komparsen stehen die Figuren stumm im Raum und warten darauf, irgendwann in den Archiven des Guggenheim zu verstauben. Doch immerhin wurde Papas Firma auf spektakuläre Weise vor der Insolvenz gerettet.
Die Ausstellung „Almech“ von Pawel Althamer war vom 28. OKtober 2011 bis 16. Januar 2012 im Deutsche Guggenheim Berlin zu sehen.