Vor einigen Wochen flatterte eine Mail in unser Redaktions-Postfach, die alle Redaktionen kunsthistorischer E-Journals erhielten: Gábor Endrődi, der Herausgeber des Open Access Journals „Aria“ des Kunsthistorischen Instituts der Universität Budapest, verfolgt mit seinem Blog „Art History TOCs of Open Access Journals“ kunsthistorische E-Journals und weist dort auf die jeweils aktuellen Publikationen hin. Er erfasst auch die Online-Zeitschriften, die weder ein RSS-Feed, noch einen Newsletter haben, noch ein Inhaltsverzeichnis via ArtHist versenden. Jeden Tag flattern in unser aller Postfach via H-Net-Mailinglisten unzählige Tagungsankündigungen, Artikelaufrufe, Rezensionen und Inhaltsverzeichnisse von Zeitschriften, den Überblick kann man - wenn man in Eile seine Mails abruft - schnell verlieren; das neue Blog verspricht zumindest auf dem Feld der E-Journals für etwas Übersicht zu sorgen.
Maßgeblich zu nennen sind zwei kunsthistorische E-Journals: das Kunstgeschichte Open Peer Reviewed Journal unter der Feder von Nils Büttner (Stuttgart), Hubertus Kohle (München), Hubert Locher (Marburg), Tanja Michalsky (Berlin) und Christoph Wagner (Regensburg) und Kunsttexte.de - Journal für Kunst- und Bildgeschichte. Letzteres ist in verschiedene Sektionen unterteilt; zum einen gibt es klassisch kunsthistorisch Sektionen wie „Renaissance“, „Denkmalpflege“ und „Politische Ikonographie“, zum anderen widmet man sich etwa dem neueren Feld der Global Art History in der Sektion „Ostblick“ und dem Thema Bildwissenschaften in der Sektion „Bild Wissen Technik“. Klassisch ist auch das Publikationsverfahren, denn die eingegangenen Beiträge werden von der Redaktion in Abstimmung mit dem wissenschaftlichen Beirat ausgewählt. Seit Januar 2009 ist das Kunstgeschichte E-Journal online, das - wie der Titel bereits verspricht - das Fach Kunstgeschichte thematisch in seiner ganzen Breite abdeckt. Autoren sollen über einen „einschlägigen Studienabschluss verfügen“, in Rücksprache mit den Herausgebern sind allerdings „Ausnahmen von dieser formalen Voraussezung möglich“. Die Publikation verläuft hier nach dem Open Peer Review Verfahren, d.h., die Texte stehen sechs Monate auf der Seite zur Diskussion. Erst nach Ablauf dieser Frist werden die Beiträge in Rücksprache mit den Autoren und eventuell unter Einbeziehung der in den Kommentaren geäußerten Kritik als „Artikel“ publiziert. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (14. April 2010) wurde diese Vorgehensweise begrüßt:
„Im Internet wird so realisiert, was im Universitätsalltag nicht mehr zustande kommt: offene Mitteilung von Dissens. […] So mag konstruktive Kritik klingen, der zweifelhafte Ruf des Internets, oft nicht mehr als ein Ort wahl- und hemmungslosen Blablas zu sein, löst sich hier ohne Zweifel in Rauch auf, der Nutzer findet ein ebenso nützliches wie gepflegtes Netzwerk.“
Junge Kunstgeschichte
Auch der wissenschaftliche Nachwuchs versucht sich an Online-Zeitschriften bzw. Plattformen: Kürzlich ist ein Artikelaufruf von kunsttext.werk, einer neuen Online-Plattform für junge Kunstgeschichte initiiert von Studenten der Universität Graz, über ArtHist versendet worden. Kürzlich, das war Mitte März, vor nicht einmal knapp drei Monaten also. Inzwischen ist die Seite als Unterseite des Grazer Kunstvereins - was neben der URL auch durch das Logo des Grazer Kunstvereins als Wasserzeichen deutlich wird -, mit einigen Inhalten gefüllt, online: Es können von der Bachelorarbeit bis zur Habilitation wissenschaftliche Qualifikationsschriften eingereicht werden, aber auch Buchrezensionen, Tagungsberichte, Essays etc. In Graz lehnt man sich damit an „Art-Dok. Publikationsplattform Kunstgeschichte“, den Volltextserver der Virtuellen Fachbibliothek Kunstgeschichte „arthistoricum.net“, an. Publiziert werden können dort kunsthistorische Dissertationen und Magisterarbeiten (besser als Gesamtnote 1,5), Schriften von Promovenden im Fach Kunstgeschichte sowie von graduierten Mitarbeitern kunsthistorisch einschlägiger Institutionen. Neben einer Reihe von Abschlussarbeiten sind beispielsweise 843 Aufsätze, auch solche von namhaften Wissenschaftlern wie Felix Thürlemann, Ulrich Pfisterer, Steffi Roettgen und Raphael Rosenberg unter Schriftenreihen, jederzeit abrufbar.
Ziel der Grazer Online-Plattform ist nun, wie man auf der Homepage nachlesen kann, „die Vernetzung der jungen kunsthistorischen Wissenschaftscommunity und die Förderung von StudentInnen und AbsolventInnen der Kunstgeschichte“. Was genau „jung“ in diesem Fall meint, bleibt offen, denn ein Publikationsprofil ist nicht einsehbar - welche Kriterien erfüllt werden müssen, um Texte einreichen zu dürfen bzw. welche Kriterien Texte erfüllen müssen, damit sie publiziert werden, ist nicht ersichtlich. „Jung“ ist etwa ein Autor einer Habilitationsschrift sicherlich weder in fachlicher Hinsicht noch an Lebensjahren. Unter der Rubrik „Einreichen“ findet sich ein Formular, das u.a. ein Abstract verlangt, das Feld „universitäre/berufliche Laufbahn“ muss allerdings nicht ausgefüllt werden. Hat man alle Pflichtfelder ausgefüllt, kann man die Datei hochladen. Zu vermuten ist, dass der eigene Text jetzt auf der Seite von kunsttext.werk publiziert ist. Diese Vermutung bestätigt sich, wirft man einen Blick in einige der publizierten Texte. Sparmaßnahmen kann man an dieser Stelle wie bei größeren Verlagen, die am Lektorat sparen und Dissertationen und Sammelbände nicht lektoriert drucken, gewiss nicht geltend machen. Gerade bei einer „jungen“ Initiative, die eine Textwerkstatt vor Ort anbietet und die Ergebnisse dieser Textwerkstatt ebenfalls publiziert, wünscht man sich Arbeit am Text.
„Publish first - filter later“
Die Idee des Open Access Publizierens ist gut, doch die (Fach)Welt noch nicht bereit: Dieser Eindruck entsteht schnell, verfolgt man die Diskussion um Open Access, die besonders letztes Jahr im Anschluss an den Heidelberger Appell des Germanisten Roland Reuß entfacht ist. Reuß appellierte gegen jeglichen Zwang zur Open Access-Veröffentlichung seitens der DFG. Eine Gegenposition bezieht der Münchener Kunsthistoriker Hubertus Kohle, der sich deutlich für Open Access und ein „publish first - filter later“ ausspricht:
„Die Interaktivität des Mediums entwertet im übrigen ein geläufiges Verfahren, mit dem bislang Publikationswürdiges von -unwürdigem unterschieden wurde: Das Peer-Reviewing-Verfahren durch Spezialisten, die den Daumen nach oben oder nach unten gedreht haben. Die neue Regel wird sein: ‚Publish first – filter later‘ […] Vorgelagerte Bewertungsverfahren resultierten bislang aus einem Mangelzustand, nämlich dem Mangel an papierernem Publikationsraum. Dieser Mangel fällt jetzt weg, und damit der Grundpfeiler für das „filter first – publish later“. Die Leser/innen der Beiträge im Internet werden diese Wertung selber übernehmen – und wenn das intelligent organisiert wird, kann es ein entscheidender Beitrag zur Demokratisierung der Wissenschaft werden.“
Ab November 2010 wird regelmäßig „Textpraxis“ erscheinen, die Open Peer Review Online-Zeitschrift der Graduate School „Practice of Literature“ an der Universität Münster - hier soll der Dialog im Vordergrund stehen. Von „AEON - Forum für junge Geschichtswissenschaft“ sind bereits zwei Hefte erschienen; die leider unflexible Open Journal System-Oberfläche ergänzt ein Blog, der auch hier den Dialog ermöglichen soll. Erfreulich ist, dass sich jetzt auch Nachwuchswissenschaftler (Studenten und Doktoranden) anderer Fachrichtungen an einem E-Journal versuchen - denn die Praxis der Textproduktion, besonders die Erfahrung für ein Publikum zu schreiben, das über die Zuhörerschaft in einem Colloquiumsraum hinausgeht, ist unerlässlich. Gerade für den Nachwuchs ist Kohles Idee von der „Wissenschaft als work in progress“ interessant: das Medium Internet ermögliche es, dass der Text seinen Endgültigkeitscharakter verliert und zu einem „permanenten work in progress wird“.
Sie haben bei den Herausgebern von „Kunstgeschichte. Open peer reviewed journal“ jemanden vergessen: Frau Prof. Tanja Michalsky von der UDK in Berlin!
Das stimmt! Als Frau sollte man nicht die einzige Frau unter den Herausgebern unerwähnt lassen. Ich habe Tanja Michalsky ergänzt. Nun sollte es passen.
Freut mich zu lesen, dass der Beitrag hilfreich ist.
Du meinst die Vuvuzuela aus dem 14. Jahrhundert, die Maria Effinger ausgegraben hat? Das ist wunderbar, ja!
Liebe Anika Meier,
Es freut uns, dass Sie in Ihrem Überblick auch kunsttext.werk erwähnen!
Wir sind stets darum bemüht, die Online-Plattform zu verbessern und sind dankbar für konstruktive Kritik.
Nachdem Sie sich in Ihrem Text intensiv mit kunsttext.werk auseinandergesetzt haben, erlauben wir uns, ebenso ausführlich darauf zu reagieren.
Es stimmt, dass wir im März 2010 einen Call for Papers ausgeschickt haben. Wieso Sie allerdings daraus folgern, dass kunsttext.werk erst seit März 2010 existiert und eine Zusammenarbeit mit dem Grazer Kunstverein erst zu einem späteren Zeitpunkt zustande kam ist, uns nicht ersichtlich.
Tatsache ist, dass kunsttext.werk – wie auf der Website angeführt - im März 2009 gegründet wurde. Eine Kooperation mit dem Grazer Kunstverein war von Beginn an gegeben und die Internetadresse http://www.grazerkunstverein.org/kunsttextwerk existiert seit August 2009.
Die Behauptung, dass sich kunsttext.werk in seiner Struktur an arthistoriucum.net “anlehnt”, weisen wir von uns, da sich kunsttext.werk in seinem Konzept wesentlich von arthistoricum.net und anderen unterscheidet. kunsttext.werk versteht sich als Plattform für Veröffentlichung, Produktion und Diskussion. Wir veranstalten Schreibworkshops und Vorträge (kunsttext.WERKSTATT & kunsttext.werkLECTURES) um die Vernetzung von KunsthistorikerInnen aktiv zu fördern.
Ihre Kritik, der Begriff “junge Kunstgeschichte” sei nicht genau definiert, nehmen wir gerne an und arbeiten an einer Neuformulierung – wohlgemerkt ohne uns dabei an den KollegInnen von „AEON – Forum für junge Geschichtswissenschaft“ oder “artefakt. Zeitschrift für junge Kunstgeschichte” “anzulehnen”.
Wir bedauern sehr, dass Sie sich im Zuge Ihrer Recherchen zu unserem Einreichmodus – dem Sie immerhin eine beachtliche Zeichenanzahl widmen - nicht die Mühe gemacht haben, einen eigenen Text zur Probe einzureichen. Dann hätten Sie nämlich bemerkt, dass ein eingereichter Text erst nach einer Freigabe durch kunsttext.werk sichtbar wird. Stattdessen “vermuten” Sie aufgrund eines entdeckten Tippfehlers – besser gesagt zweier tatsächlich merkwürdig eingeschobenen links, die wir inzwischen entfernt haben – dass wir kein Lektorat hätten. Hier tut sich die Frage auf, ob Vermutungen tatsächlich Teil von Qualitätsjournalismus sind.
Wir “vermuten”, dass sich diese link-Fragmente im Rahmen der Freigabe durch uns über den Administrator-Modus in den Text eingeschlichen haben dürften.
Übrigens wurde Milena Dimitrova (zu ihr führt der Link “einige der publizierten Texte” mit dem ehemals fehlerhaften Abstract) am 7. Mai 2010 der Junior Art Critics Award 2010 verliehen.
Ein schönes Beispiel für erfolgreiche “junge” Kunstgeschichte, wie wir meinen.
Wir freuen uns über den entstandenen Diskurs und bedanken uns für die Möglichkeit einer Reaktion von unserer Seite!
Liebe kunsttext.werk Redaktion,
vielen Dank für das ausführliche Feedback, dafür ist unsere Kommentarfunktion da.
Über den Beginn der Zusammenarbeit zwischen kunsttext.werk und dem Grazer Kunstverein wollte ich mich nicht geäußert haben, das entnehme ich meinem Text nicht. Ich lasse mich gerne korrigieren, falls etwas missverständlich formuliert ist. Mir ging es darum, dass sich die Seite nach Versenden Eures CFP via Arthist schnell mit Inhalt gefüllt hat.
Natürlich lehnt Ihr Euch nicht an arthistoricum.net an - das steht ebenfalls nicht in meinem Text -, sondern an Art-Dok, der Publikationsplattform Kunstgeschichte, dem Volltextserver der Virtuellen Fachbibliothek Kunstgeschichte (arthistoricum.net): http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/
Mein Kritipunkt ist, um es prägnangt zu formulieren: Es existiert bereits eine Publikationsplattform für kunsthistorische Texte im deutschsprachigen Raum, die sich zudem der Förderung der DFG etc. erfreuen kann. kunsttext.werk schließt daher m.E. keine Lücke. Ich bin eher dafür Kräfte zu bündeln und nicht zu verstreuen. Ihr nennt Eure Plattform nun „jung“, wie bereits im Text formuliert, unterscheidet sich Euer Publikationsprofil nicht nennenswert von dem von Art-Dok (http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/public.php?la=de). Ich lasse mich auch hier gerne korrigieren. Meine sicherlich nun sehr provokante Frage: Warum sollen Autoren auf kunsttext.werk statt auf Art-Dok publizieren, wo renommierte Wissenschaftler ihre Texte archivieren?
Sehr begrüßenswert finde ich natürlich, dass um die Publikationsplattform herum Schreibworkshops stattfinden, das ist eine wunderbare Sache. Davon sollte es mehr geben!
Zum Thema Preis: Ein Preis ist nicht in allen Fällen ein Qualitätsmerkmal, Stichwort: Preispolitik. In Eurem Fall ist es natürlich irrelevant, ich wollte es dennoch gesagt haben.
Freilich bin ich davon ausgegangen, dass der Text von der Redaktion freigeschalten werden muss, das versteht sich in Zeiten von Spam etc. von selbst. Der HP konnte ich nicht entnehmen, dass die Texte von der Redaktion bearbeitet werden. Aber das stimmt, ich hätte nachfragen und nicht einfach eine Vermutung äußern sollen.
Und abschließend zum Thema „anlehnen“: Wie gesagt, ist es m.E. erfreulich, dass gerade immer mehr Online-Zeitschriften für den wissenschaftlichen Nachwuchs der verschiedenen geisteswissenschaftlichen Disziplinen entstehen. Mein Eindruck ist nur leider, dass den Beteiligten nicht in allen Fällen bewusst ist, was es bereits für Projekte gibt und dass durchaus die Möglichkeit zum (Erfahrungs-)Austausch besteht. Einige trauen sich offenbar nicht, siehe hier:
http://www.anwesenheitsnotiz.de/aktuelle-notizen/2-news/45-die-pioniere-anwesenheitsnotiz-goes-iversity
Was kunsttext.werk ausmacht:
kunsttext.werk möchte Studierende der Kunstgeschichte in den kunsthistorischen Diskurs einbinden – aus diesem Grund haben wir uns dazu entschieden, Seminararbeiten und andere Textsorten, die während des Studiums entstehen können, auf unserer Plattform zu veröffentlichen. Die kunsttext.WERKSTATT setzt hier an, um aktive Nachwuchsförderung zu betreiben.
kunsttext.werk richtet sich nicht ausschließlich an Studierende und Absolventen der Kunstgeschichte, daher ist das Feld “universitäre/berufliche Laufbahn” für eine Einreichung nicht obligatorisch auszufüllen. Wir verstehen uns als interdisziplinäre Plattform, auf welcher Texte von KunsthistorikerInnen, bildenden KünstlerInnen, KuratorInnen u.a. publiziert werden können. Diese inhaltliche Erweiterung wird in Zukunft in den LECTURES sichtbar, zu denen wir bevorzugt AutorInnen der Plattform einladen werden.
In diesem Sinne sind wir der Meinung, uns in unserer Gesamtheit vom bestehenden Angebot zu unterscheiden. Wir versuchen das reine Plattform-Format aufzubrechen, um unserem Ziel - der Vernetzung und Förderung von (angehenden) KunsthistorikerInnen und im Kunstbetrieb tätigen Personen – Stück für Stück näher zu kommen.
Kann man den Bildern einen Link zugrunde legen? Mir ging es gerade so, dass ich auf die Screenshots der jeweiligen Website klicken wollte, was aber nicht ging, da die Bilder ja keinen Link haben.
Danke für den Hinweis Simon! Die Bilder sind nun verlinkt!