allerArt, Interview
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Kunstgeschichte des Fleisches

Das barocke Vienna gloriosa erlebte die Epoche der „Fleischwerdung der Kunst“ als eine Phase des exzessiven Frönens und des feudalen Luxus. In der Endzeitstimmung des Fin de siècle wird die Donaumonarchie zum Zentrum des europäischen Kulturbetriebs, das dem züchtigen Hofzeremoniell mit Malern wie Schiele, Kokoschka und Klimt obszöne Nacktheit und freizügige Erotik gegenüber stellt. Besitzt der Ort Wien eine besondere Affinität zum Thema Fleisch?

Ja. Neben den angeführten Beispielen gibt es zahlreiche weitere, wie Valie Export oder die Wiener Aktionisten. In Hinblick auf dieses Panorama glauben wir, dass das Thema der Tagung sich als sehr passend erweisen wird. Wobei die spezifische Analyse von Interesse ist, die über das Suchen und Finden vom Fleisch als Motiv in der österreichischen Kunstgeschichte hinausgeht.

Imagefrage

Die Geschichte des Fleischfetischismus in der Kunst ist lang und changiert zwischen einer Ambivalenz von Ekel und Lust, Leben und Tod, verklärter Mystik und erklärter Provokation. Welchen kulturellen Stellenwert besitzt der Fleischfetischismus noch in einer nicht mehr ganz so keuschen Gegenwart?

Fleisch ist nicht grundsätzlich unkeusch. Du sagst es selbst: Fleisch changiert zwischen seltsamen Ambivalenzen. Das Uneindeutige, das in der Gleichzeitigkeit von beispielsweise Inkarnation und Konsum liegt, macht den Diskurs so spannend. Ein einseitig besetztes Thema wäre die Bankrotterklärung an ein Denkkollektiv, zu dem wir durch die Tagung anregen wollen.

Die Thematik Fleisch besitzt in der globalisierten Weltgesellschaft längst eine politisch-soziale Dimension. Einerseits stellt hoher Fleischkonsum ein Wohlstandindikator und Privileg des reichen Westens dar. Andererseits wird Körperlichkeit im Zeitalter des exzessiven Körperkults und Schlankheitswahns gesellschaftlichen Normen unterworfen. Muss Kunst solche Entwicklungen kritisch reflektieren?

Zunächst ist die Frage, ob Kunst überhaupt versucht solche Entwicklungen zu reflektieren, denn Kunst darf nie müssen. Die politisch-soziale Dimension zeichnet sich bereits auf innereuropäischem Territorium ab. Andrea Exler betont schon 2009 in „Die Welt“ in Hinsicht auf die Nationale Verzehrsstudie in Deutschland, dass sich das Image von Fleischprodukten immer weiter verschlechtert und Fleisch nach und nach vom Prestigeobjekt zum Nahrungsmittel der Unterschicht avanciert.

Der Fleischbegriff

Der britische Maler Lucian Freud, ein Enkel des Wiener Psychoanalytikers, kommentiert seine schonungslos entblößende, manchmal grotesk verzerrte Aktmalerei so: „Ich möchte, dass die Farbe wie Fleisch wirkt … Ich möchte, dass meine Porträts aus Menschen bestehen, nicht wie Menschen aussehen. Für mich ist die Farbe die Person. Sie soll für mich funktionieren wie Fleisch.“ Drückt sich in der Durchdringung von Kunst und Fleischlichkeit die unendliche Sehnsucht nach der Aufhebung der Differenz von Malerei und Gemalten aus?

Ja, das ist natürlich einer der faszinierendsten Punkte, wenn sich Materialität und dargestellter Referent berühren. Die Farbe als Fleisch und Blut, das Blut als Farbe oder das Fleisch als formbares Material, das sind gewissermaßen real gewordene Metaphern bildlicher Repräsentation. Wenn Lucian Freud dann davon spricht, dass seine Porträts die Farbe zur Person erheben, deutet das eine Entmenschlichung des Gesichts an, die parallel zur Fleischwerdung der Farbe verläuft.

In Eurem Programm trifft sinnliche Aktmalerei auf wissenschaftliche Pathologie – unvermeidlicher Gegensatz oder kalkuliertes Miteinander?

Kalkulierter Gegensatz und unvermeidliches Miteinander, denn das Reizvolle am Thema sind gerade die Verschiebungen und Brüche zwischen den Bedeutungsebenen. Davon, die Facetten des Fleischbegriffes miteinander zu konfrontieren, erwarten wir uns eine fruchtbare Auseinandersetzung. Wir verstehen die Tagung als ein Experiment, das in der Zusammenschau Züge einer Kunstgeschichte des Fleisches erkennen lassen soll.

Feldforschungen zum Thema Fleisch

Logo KSK

Eine Frage des Fleisches.

Ihr habt einen Besuch im Jüdischen Museum geplant und Vorträge zur christlichen Eucharistie und Inkarnation im Programm. Ist die Ikonographie des Fleisches notwendigerweise religiöse Ikonologie?

Nicht notwendigerweise, sondern möglicherweise. Die Exkursionen sind nicht unbedingt als Feldforschung zum Thema Fleisch zu verstehen. Wir haben uns darum bemüht, Besuche von unterschiedlichsten Orten anzubieten, um alle Möglichkeiten der Kulturstadt Wien auszuschöpfen. So kann jeder selbst entscheiden, ob er dem Todeskult der Habsburger-Monarchie frönen, bei einer Führung durch das MUMOK und die größte Sammlung zum Wiener Aktionismus mitmachen, mehr über das Orgien-Mysterien-Theater erfahren oder vor Ort mit Kunstschaffenden über die ästhetische und politische Verarbeitung der Schuldfrage in Österreich nach 1945 diskutieren möchte.

In eurem Exposé sprecht ihr auch die Phänomenologie Maurice Merleau-Pontys an, der den Leib zwischen Körper und Geist verortet. Die geistige Ertüchtigung kommt auf einen dreieinhalbtägigen Kongress mit Sicherheit nicht zu kurz, aber wie sieht es mit dem körperlichen Ausgleich aus?

Neben den Ausflügen, die ja durchaus je nach Lage recht geh-intensiv sein können und selbstverständlich im zügigen Jogging-Tempo zurückgelegt werden dürfen, wird für das leibliche Wohl gesorgt sein. Wem das nicht zur geistigen Entspannung reicht, kann am Samstag zum Musikprogramm Fleisch in Bewegung von DJ Johan Brandes und Native Rush sowie dem Konzert der Speckjausn ausgelassen tanzen und feiern.

Geistige Feinkost

In Erwartung eines Vortrags über „Faszination von Schlachttierdarstellungen um 1900“ am Vormittag, Wiener Schnitzel, Tafelspitz und Backhendl zum Mittag und einem Museumsbesuch mit dem Titel „Die Arbeit am Fleisch als Realitätsbezug“ am Nachmittag: Wie übersteht ein Vegetarier den 83. KSK in Wien?

Die Frage ist viel eher, ob die geistige Arbeit am Fleisch die Freude am kulinarischen Fleischgenuss nicht verdirbt. Aber Spaß beiseite, wir wollen natürlich kräftig auftischen, allerdings betrifft das natürlich die geistige Feinkost. Die Faszination soll nicht zur Affirmation werden. Der KSK ist keine moralische Instanz, die über das Für und Wider bestimmter Nahrungsmittel entscheidet, sondern ein Ort der diskursiven Auseinandersetzung, der sich aus einer Meinungsvielfalt und verschiedenen kunsthistorischen Ansätzen speist. Deshalb glauben wir, dass einem friedlichen Miteinander von vegan wie vegetarisch Schlemmenden und omnivor Frönenden nichts im Wege steht: alle werden auf ihre Kosten kommen.

 

Der 83. KSK findet vom 29. November bis 2. Dezember 2012 in Wien statt. Weitere Informationen zur Anmeldung und zum Programm sind auf der Homepage zum KSK Wien zu finden.

 

 

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