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Kunst ohne Ort

Aby Warburg, Gründungsfigur der Kunstgeschichte und globaler Grenzgänger, hat über sich gesagt: „Amburghese di cuore, ebreo di sangue, d’anima Fiorentino: Hamburger im Herzen, Jude von Geburt, im Geiste Florentiner.“ Ist Kosmopolitismus eine Grundvoraussetzung für das Verstehen von Kunst?

Unser letztes KSK-Treffen ließ eine einstimmige Antwort hierzu verlauten: Nein, Kosmopolitismus ist keine Grundvoraussetzung für das Verstehen von Kunst. Hier ist jedoch auch eine Präzisierung der Frage vonnöten. Was meinen Sie mit „verstehen“? Das Schöne an Kunst ist doch vor allem, das sie eine Pluralität von Reaktionen zulässt, die nicht unbedingt akademischer Art sein müssen. Ein Werk Tizians kann einer Person ein gewisses „Verständnis“ von Farbe und Licht gewähren, auch wenn diese niemals in Venedig war und kein Wissen über die italienische Kultur der frühen Neuzeit hat. Kunst leitet jedoch zum Kosmopolitismus an: Um Tizians Farben, Licht und Narrationen näher zu kommen, begeben wir uns nicht nur an des Künstlers Heimatort oder in die Museen weltweit, um mehr von ihm zu sehen, wir lesen auch Ovid, Homer, Lukrez, Schriftsteller eines fremden Ortes und einer fremden Zeit, um mehr zu Wissen. Warburg wurde Florentiner im Geiste, da er sich mit Botticelli und dem Florentiner Humanismus der Renaissance auseinandersetzte. Kosmopolitismus ist somit keine Bedingung, sondern eine Folge a posteriori – demnach sollten sich auch mehr Menschen mit Kunst auseinandersetzten.

Von Basel nach Hongkong

Euer Kongress trägt den Titel „Entfremdung und Aneignung“ und nimmt damit ein prominentes Begriffspaar der Marx`schen Sozialphilosophie auf: Man besitzt das nicht, was man selber produziert hat, ist also ausgebeutet und enteignet. Vom Entfremdungsproblem her gelesen, bedeutet Aneignung dann umgekehrt Inbesitznahme, Ermächtigung, Sinn. Ist mit diesem Titel auch Kritik am kapitalistischen Kunstmarkt verbunden?

Das Marx´sche Begriffspaar eigneten wir uns an und behafteten es mit einem Sinn, durch den die Termini auch über die Grenzen des Faktors Ökonomie sinnvoll und zeitlich, vor der Industrialisierung, sowie thematisch breit anwendbar werden. Unser KSK findet, wie ja sicherlich schon bemerkt, am Wochenende der Art Basel statt und intendierte damit, den Studierenden die Möglichkeit zu geben, beide Ereignisse wahrzunehmen.

In unserem Call for Papers sprachen wir auch die Thematik des Kunstmarktes an, da die Schweiz, für die Größe des Landes, eine sehr ausgeprägte Galerielandschaft aufweist und mit der Art Basel natürlich eine der größten Handelsmessen für Kunst beheimatet. Interessanterweise erhielten wir jedoch keine einzige Bewerbung zum Thema Kunstmarkt, obwohl gerade das Kunsthistorische Institut in Zürich mit dem „Executive Master in Art Market Studies“ ein prädestinierter Ort zur Diskussion über den Sinn, die Ethik und die globale Dimension des Kunstmarktes ist. Meinungen zum Kunstmarkt scheinen generell geteilt, wie auch die Presseresonanz zur Expansion der Art Basel nach Hong Kong gezeigt hat. Obwohl es immer schon eine Form von Kunstmarkt, von Mäzenatentum, Handel und Tausch gegeben hat, die für interkulturellen Austausch essentiell war und auch heute noch dazu beiträgt, galt es auch in diesem Bereich ökonomisch gesehen über Regulierung und Ethik zu debattieren (Preise, Privatisierung von Kulturgut etc.). Doch momentan ist es vor allem interessant zu sehen, wie die Strukturen einer europäischen Marktidee mit der neuen Art Basel Hong Kong in einem andersartigen kulturellen Kontext übernommen werden – funktioniert das? Ist der europäische Kunstmarkt so global, dass er sich in allen Kulturen ansiedeln kann? Leider wird dies auf dem Zürcher KSK nicht zu Sprache kommen, doch vielleicht wird sich ein zukünftiger KSK diesem Thema einmal ausführlicher widmen.

Im Zeitalter der Globalisierung ist das Gefühl des Fremdseins fast zur conditio humana geworden. Inwiefern kann Kunst als nonverbales Kommunikationsmittel Verständigungsbarrieren abbauen und interkulturellen Austausch erleichtern?

Es scheint übertrieben, Fremdsein generell als conditio humana anzusehen – wenn vorher festgestellt wurde, dass Kosmopolitismus eine Folge der Beschäftigung mit Kunst sein kann, so müssten ja wenigstens Kunsthistoriker das Gefühl des Fremdseins überbrücken können und die Welt, oder wenigsten einen Teil davon, als Heimat ansehen. Trotzdem ist unsere Welt ein Ort der Bewegung, des Displacement, der Alterität – gleichsam aber auch ein Ort des Niederlassens und der Appropriation. Kunst als nonverbales Kommunikationsmittel ist ein Gemeinplatz, der differenzierter betrachtet werden muss: Wer kommuniziert mit wem und was soll kommuniziert werden? Natürlich ist Kunst ein Katalysator für interkulturellen Austausch – sie weckt Interesse, fördert Kommunikation und ist Grund für tausende von Bildungsbürgern jedes Jahr gen Süden zu reisen.

Doch die Absenz von Worten kommt weder der Kunst, noch dem Betrachter auf lange Sicht zu Gute, worin wiederum ein Methodenproblem der Global Art History besteht. Wenn Ai Weiwei eine Landkarte Chinas aus Dosenmilch herstellt, so verstehen wir alle (durch wortgestrickte Nachrichten), dass dahinter eine politische Message steht. Sozialpolitische Kunst, wie die Ai Weiweis, sollte jedoch Worte, Aufschrei, Revolte nach sich ziehen und nicht als ästhetisches Dosenwerk im Raum stehen bleiben – lokal wie global. Ebenso steht es mit der Kunst des Mittelalters oder der Renaissance sowie mit außereuropäischen Werken, denen wir auf nonverbale Weise sicherlich schon etwas abgewinnen können, eine tiefere Kommunikation aber letztlich erst mit der Sprache erzeugt werden kann. Auch auf unserem Kongress wird das Thema der Sprache debattiert werden, wenn es darum geht, „welche Sprache spricht die globale Kunstwissenschaft“?

Displacement der Dinge

Migrationsforschung ist ein weit verzweigtes Forschungsfeld. Welchen Stellenwert besitzt die Kunstgeschichte darin und welches Forschungsinteresse steht dahinter?

Zu der Frage wird im Oktober eine Publikation eines Forschungsteams von der Universität München herauskommen, das unter der Leitung von Prof. Dr. Burcu Dogramaci die Netze von „Kunst, Exil, Migration“ untersucht hat. Wir sind sehr auf die Veröffentlichung gespannt, die sicherlich einige Fragen zur Beziehung von Migrationsforschung und Kunstgeschichte beantworten wird. Migration ist ein essentieller Teil von Kunstgeschichte, genauso wie Bildmaterial ein wichtiger Bestandteil der Migrationsforschung ist. Nur scheint es, dass es in den Disziplinen große methodologische Unterschiede gibt, die es zu konzilieren galt. Auf unserer Konferenz wird Migration in vielen verschiedenen Facetten angesprochen: Es geht um die „Migration“ von Objekten, eines Displacements der Dinge, um die Reisen von Künstlern und auch Kunsthistorikern. Den Objekten auf die Spur zu kommen, die Bedeutung von geographischen Veränderungen im Kunstwerk und in kunsthistorischen Methoden festzumachen, könnte auch der Migrationsforschung zu Gute kommen und ihre eigene Herangehensweise an Bildzeugnissen verändern. Unser Kongress wir hierzu Anregungen geben und sicherlich Vernetzungen schaffen.

Prozesse des Kulturtransfers stellen in gewisser Hinsicht immer auch Prozesse der Identitätsfindung dar, sowohl in politischer als auch ästhetischer Hinsicht, wie sie beispielsweise im nördlichen Europa am Übergang vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit zwischen Italien und den Niederlanden stattfanden. Welche Rolle nimmt künstlerische Rezeption und Transformation aus dieser Perspektive heute ein?

Die Herausbildung einer eigenen Identität wird oft durch Konfrontation, durch Zugehörigkeit und Abgrenzung, Aufnahme oder Ablehnung intensiviert und stimuliert. Hierbei spielt auf kultureller Ebene natürlich auch immer die künstlerische Rezeption eine Rolle, die uns auch Aussagen über Identitäts-Wunschbilder einzelner Bevölkerungen oder Bevölkerungsschichten liefern kann. Die künstlerische Rezeption heute ist recht aufgeladen und teilweise sehr herausfordernd. Ein Vortrag während des KSK wird sich mit der „Goya-Rezeption“ (besser, -Aneignung) der Chapmans auseinandersetzten, während in derselben Sektion ein Beitrag die Übertragung der Kunstkonzepte Marcel Duchamps auf die Japanische Moderne thematisiert. Werden hier Identitäten geschaffen? Wie wird Identität thematisiert, neu geschaffen, gelenkt? Wir hoffen, dass wir nach der Konferenz einer Antwort auf diese Fragen näher gekommen sein werden.

Gibt es eine globale Methodologie?

Stellt die Kategorisierung der Kunstgeschichte in „europäische“, „byzantinische“ und „ostasiatische“ Forschungsbereiche dahingehend nicht ein sehr naives Wissenschaftsverständnis dar?

Mehr als die unterschiedlichen Aufspaltungen zu annihilieren, geht es uns darum zu fragen, inwiefern die Methoden der westlich geprägten Kunstgeschichte auf andere, nicht westliche Kunst und Artefakte anwendbar sind. Gibt es eine Methodologie die global ist? Können wir in der Schweiz, mit unserem kulturellen Hintergrund und Theorien, ostasiatische Kunst analysieren? Macht es Sinn, dass in China europäische Theorien der Kunstwissenschaft aufgenommen und dort auf die eigene Kunst angewendet werden? Global Art History sucht primär nach einer Lösung, den Kunstdiskurs auf eine theoretische Ebene zu bringen, die global funktioniert, die kunsthistorische Verständigung erleichtert und von der aus Verknüpfungen und Verbindungen überhaupt erst gesichtet werden können. Der Auflösungsprozess traditioneller Kategorien und fachimmanenter Grenzen wird damit ganz von selbst in Gang gebracht und ist ja auch schon seit einigen Jahrzehnten durch interdisziplinäre Studien und cross-cultural studies in Bewegung gebracht worden. Ob Kunsthistoriker jedoch gänzlich ohne Kategorien auskommen werden, ist eine fundamentale Frage nach der psychologischen Natur des Menschen – diese Frage zu lösen, wird eine interdisziplinäre Anstrengung benötigen, die ein dreitägiger Kongress nicht so ohne Weiteres zu leisten vermag.

Auf dem Programm stehen der Besuch der Züricher Mahmud-Moschee und ein Vortrag zur Bilal Moschee in Aachen. Bezeichnenderweise erlebte der christlich-islamische Kulturaustausch in der Zeit der Kreuzzüge eine erste Hochphase. Ist die Geschichte des Kulturtransfers eine Geschichte des Gewaltkonflikts und der politischen Indoktrinierung?

Den christlich-islamischen Kulturaustausch rein als Geschichte eines Gewaltkonflikts anzusehen, wäre eher restriktiv. Natürlich spielen die Kreuzzüge eine wichtige und gleichsam traurige Rolle in der Geschichte des Kulturaustauschs im Spätmittelalter, eine grausame Art der Konfrontation, der der spätere Kolonialismus in nichts nachsteht. Kulturtransfer fand aber auch auf anderer Weise statt, so zum Beispiel in der Handelsrepublik Venedig, die in der Renaissance zu einem wahren melting-pot wurde und Europa durch orientalische Gewürze, Textilien und Farben bereichern konnte.

Ein zweites Beispiel geht noch weiter ins Spätmittelalter zurück: Im 13. Jahrhundert konnte Europa erst wieder zu einem Zentrum des naturwissenschaftlichen Wissens und der Forschung werden, nachdem Manuskripte aus der Antike, die in West-Europa verloren gegangen oder nur in verfälschten Kopien vorhanden waren, und orientalische Schriften von einer Reihe fleißiger Übersetzer im maurischen Spanien aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzt wurden. Dass die Aneignung dieses Wissens nicht immer friedfertig verlief, ist unbestreitbar. Den christlich-islamischen Kulturtransfer rein als Geschichte eines Gewaltkonfliktes anzusehen, behaftet diese Tradition jedoch mit einem prononcierten Kulturpessimismus. Kulturaustausch bringt latent immer eine Konnotation von Konfrontation und Spannungen mit sich, besonders wenn es um Weltanschauungs-Diskurse wie Religion oder Staatstheorien geht. Doch umso mehr ist heute gefragt zu zeigen, dass dies auch auf friedfertiger Ebene stattgefunden hat, und dass Kulturtransfer als Prozess der eigenen Identitätsfindung verstanden werden kann und somit nicht zwangsläufig eine Indoktrinierung vorausgesetzt werden muss.

Auf der diesjährigen Biennale in Venedig ist im deutschen Pavillon eine Installation des chinesischen Künstlers Ai Weiwei zu sehen, der als Bürgerrechtler im China als Dissident verfolgt wird, und Deutschland und Frankreich tauschen ihren Pavillon und stellen so die traditionelle Form nationaler Präsentation in Frage. Eine Trendwende?

Dies ist keine Trendwende. Schon 1995 und 2005 gab es ähnliche Dynamiken. Trotzdem konstituieren sie positive Zeichen und manifestieren letztlich, was wir unseren KSK-Teilnehmer im Kern mitgeben wollen: Kunst transzendiert Grenzen.

Der 84. KSK findet vom 13. bis 16. Juni in Zürich statt. Weitere Informationen zur Anmeldung und zum Programm gibt es auf der Homepage zum KSK Zürich.

 

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