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Kleinunternehmen Künstler

Es war längst Zeit für ein Wiki, das sich ausschließlich mit bildender Kunst beschäftigt. Seit Mai 2009 entsteht eine Onlinedatenbank, ähnlich die der Wikipedia. Wikiartis hat sich jedoch Dogmen auferlegt, die es von einer Kunst-Enzyklopädie unterscheidet; vielmehr findet eine Rückbesinnung zu den eigentlichen Quellen von bildender Kunst statt. Der Künstler selbst wird hier explizit in den Vordergrund gerückt, insofern als nicht sein unglaublich aufregendes Leben, sondern sein unglaublich aufregendes Werk beleuchtet wird ‒ der Künstler kommt selbst in Form von Zitaten zu Wort. Ein Werk bekommt hier also vielleicht noch einmal die Möglichkeit, zunächst frei von einer Einordnung in einen kunsthistorischen Kontext zu stehen, abgesehen von dem Kontext, in den es der Künstler stellt.

Die Seite ist reduziert auf das, was Künstler über sich selbst, ihres Gleichen und die eigene Position zum Besten gegeben haben und geben. Diese Reduktion bis hin auf den eigentlichen Ursprung eines künstlerischen Werks bietet beim Betrachten sowie dem Verständnis bildender Kunst den entscheidenden Vorteil, dass zunächst nichts was hier gesagt oder gezeigt wird spekulativ ist, sondern ‒ und darauf weist Wikiartis explizit hin ‒ es sich um kunsthistorische Fakten handelt. Da es sich bei Wikiartis um eine von Kunststudenten initiierte Internetseite handelt, liegt es nahe, dass man der Überzeugung ist, die jeweiligen Erzeuger wissen – vor allen anderen – am besten, was und warum. Darüber hinaus ist Wikiartis eine Art „social network“: Unter dem Menüpunkt „Kontakte“ sind die eingetragenen Künstler miteinander verknüpft; schnell erhält man so einen Überblick wer mit wem, wie und wann etwas zu tun hatte.

Paul Klee. Und was meint George Grosz dazu?

Auch Künstler sind Fachidioten

Wer selbst Kunst macht, hat einen anderen Blick auf diese als jemand, der sich nur theoretisch mit ihr auseinandersetzt. Genau hier liegt der Schwerpunkt von Wikiartis und das ist es, was diese Seite so anders und so interessant macht. Es wird sich geliebt und gehasst, bewundert und verachtet. Manch einer kann seine Position seitenweise vertreten, andere genießen und schweigen, wieder ein anderer kann seine Genialität kaum ertragen, während Baselitz den Beschimpfungen der Kollegen vorwegnimmt: „Ich habe keinerlei Talent, […] ungehobelt, ungeschlacht, holperig.“ An biographischen Daten liefert Wikiartis nur das Nötigste, die Konzentration liegt auf den Arbeiten und ihrem Diskurs. Der Leser erfährt auch, wo die Arbeiten heute zu sehen sind und in welchen Galerien, Museen und Sammlungen der jeweilige Künstler vertreten ist.

Wikiartis ist noch ein Frischling unter den Wikis und deshalb noch nicht sehr reich an Inhalten; aber ‒ und dafür steht ein Wiki ‒ was hier begonnen wurde, kann mit Hilfe vieler erweitert und vollendet werden. Jeder kann sich als Autor an Wikiartis beteiligen. Die Seite bietet viele Hilfen und Vorlagen, so dass auch ein Computerlaie sich leicht zurechtfindet und beteiligen kann. Unter anderem sind mehrere Tutorials über einen YouTube-Channel verfügbar, der auf der Wikiartis-Startseite verlinkt ist.

Wie die Künstler sprechen lernen - wie Zitate hinzugefügt werden, zeigt ein Video im eigenen Youtube-Channel.

„Eine Tischplatte ist mystischer als alle seine Bilder.“

Wikiartis wendet sich in seiner Grundstruktur von der Wikipedia ab, denn jedes Künstlerprofil besteht nicht aus einer, sondern aus mehreren Seiten, die über das Menü abrufbar sind. Ein schöner Einfall ist die Möglichkeit „zufälliger Artikel“. Die Künstlerprofile sind übersichtlich und funktionieren wie Karteikarten: Ob man sich nur noch einmal etwas in Erinnerung rufen will, oder schon immer wissen wollte, dass der „Post-Post-Neo-Geo-Mix Imi Knoebel“ (Kippenberger) mit dem Bewusstsein um das Schwarze Quadrat geradezu hausieren ging (Knoebel über sich selbst). Noch sind die Zitate auf der im Entstehen begriffenen Seite oft nur kurz oder es handelt sich um Auszüge aus längeren Interviews; damit aber der Leser nicht unglücklich ist, weil er nicht weiß, wie es weitergeht, gibt es ausführliche Quellenangaben. Am meisten Unterhaltung bieten vermutlich die Kommentare, denn endlich geht es ein bisschen zur Sache. Die Hardliner sind nicht subversiver in ihren Aussagen und äußern sich kaum weniger abschätzig über ihre Kollegen als das gemeine Malerschwein. So Stella über Johnes: „Gleicht einer Bulldogge: Er wird solange nicht aufgeben, bis er die Suche zunichte gemacht hat. Er hat die Malerei umgestülpt.“ Oder Macke über Kandinsky: „Eine Tischplatte ist mystischer als alle seine Bilder.“ Man zieht aber nicht nur übereinander her, man bewundert sich und zeigt Dankbarkeit. Nahezu jeder ist sich bewusst, wem er danken sollte, weil und warum, wer welche Möglichkeiten in der Kunst eröffnet hat. Viele Künstler halten die eigene Arbeit für die Entscheidende und Unersetzliche und das ist auch gut so, damit es weitergeht in der Kunst. Die intensive Auseinandersetzung mit Zeitgenossen und Vorgängern und eine daraus resultierende Ablehnung hat fast immer zu entscheidenden Brüchen in der Kunstgeschichte geführt. Der Unmut gilt den Arbeiten und nicht den Kollegen, der ständige Frust nie das zu sehen, von dem man glaubt, das getan werden muss, führt zu Aggressionen, die Katalysator und Antrieb zugleich sind. „If i saw the art around me that i liked then i wouldn’t do art.“ (Baldessari)

Ein weiterer erfolgreicher Trick

Dieses Phänomen bestimmt den Generationenwechsel immer wieder aufs Neue. „Wir hatten einen Typ der eine Schneeschaufel fand, Jahrzehnte lang redete und redende Künstler erzeugte.“ So Judd über Duchamp, der feststellt, dass eben daraufhin Generationen von Künstlern entstehen konnten, die etwas zu sagen haben und zwar ausschließlich zu dem, was sie schaffen und geschaffen haben ‒ also über Kunst. „Die Suche nach einer neuen Form um jeden Preis zu vermeiden, heißt, die Kunstgeschichte, so wie wir sie kennen, zu vermeiden.“ (Buren). Eine solche Einstellung können sich seitdem nur sehr wenige Künstler leisten. Mitunter ist das Ausschließen des Findens einer neuen Form ja bereits das Scheitern dieses Vorhabens selbst. Andererseits spricht er genau das entscheidende Kriterium aus, da ein Vermeiden der Kunstgeschichte wie wir sie kennen, nahezu unmöglich ist, ist die Kunstgeschichte in ihrem Fortschreiten nicht aufzuhalten und eben jenes Entstehen der neuen Form zwangsläufig.

„Die Erfindung der Biografie ist ein weiterer erfolgreicher Trick der Ersten Welt, eng verbunden mit dem nicht-sterben-lassen der Toten zum Zwecke der Drecksarbeit und der Entwicklung des Menschen vom handfesten, unbesonderten Genossen zum abstrakten, gottimitierenden Individuum. Das Herstellen einer Biographie ist also niemals die Rekonstruktion eines Lebens, sondern immer die Konstruktion eines fruchtbringenden Toten […] Erst wollen sie alles ganz genau wissen und dann tun sie so als wären sie dabei gewesen“, so Büttner. Dies gilt es für Wikiartis zu vermeiden. Unnötige biographische Informationen, z.B. ob jemand zeitlebens bei Muttern gewohnt hat, oder aber Texte, die für einen Künstler und seine Arbeiten kunsthistorische Zusammenhänge erstellen, denen sich dieser selbst nicht einmal bewusst ist, sind für das Verständnis einer künstlerischen Arbeit völlig irrelevant:

“The one thing to say about art is that it is one thing. Art is art-as-art and everything else is everything else. Art as art is nothing but art. Art is not what is not art.” (Reinhardt)

“People’s lack of detachment about themselves surprises me.” (Oldenburg)

“Art should raise questions.” (Nauman)

“Art is what we do. Culture is what is done to us.” (Andre)

“The idea becomes a machine that makes the art.” (LeWitt)

“A definition of sculpture: something you bumb into when you back up to look at a painting.” (Reinhardt)

“I’m believing painting to be language.” (Johns)

“The artist who wants to develop art beyond its painting possibilities is forced to theory and logic.” (Malevich)

„Denn es ist nur die reine Idee, die Bedeutung hat. Alles andere enthält alles andere.“ (Newman)

„Weil die Sachen nicht im Museum zu sehen sind, also nicht mehr als einer Handvoll Leute zugänglich gemacht werden können, nach der Ausstellung, nach In-die-Welt-gekommen-Sein, mache ich meine Arbeit eben auch über andere Wege möglich, über Bücher, Publikationen aller Art, Poster, Aktionen, jetzt auch das Unterrichten, Delegieren.“ (Kippenberger)

Zuhören ist unerlässlich

Gerade heute sind Künstler, wenn sie einen gewissen Status erreicht haben, überall präsent – in Fachzeitschriften, Feuilletons und Internetportalen. Wenig bleibt da noch im Verborgenen und es wird sich gehäuft über Dinge geäußert, auch über solche, die außerhalb des Fachbereichs liegen („Sonne statt Reagan“, so Beuys). Ein Künstler kann schneller als je zuvor ein öffentliches Bild von sich schaffen. Der Künstlermythos wird dadurch zur Vergangenheit erklärt, oder aber Künstler erschaffen ihn selbst. Die Frage ist, ob die gewollte oder ungewollte Selbsterfüllung eines Klischees für die Beurteilung der Arbeit immer relevant ist?

Wikiartis bietet die Möglichkeit einige Fragen zu beantworten, wirft aber auch neue auf. Künstler sind stärker beteiligt, die eigene Arbeit einzuordnen und zu begreifen, wo diese herkommt. Die Seite gibt dem Leser die Möglichkeit Neues zu entdecken, Zusammenhänge zu verstehen und Aussagen unabhängig von der Meinung Dritter zu beurteilen. Die Konzentration auf den Künstler, also seine Werke und Aussagen bzw. Nicht-Aussagen, ist aktueller denn je, Künstler sind heute Kleinunternehmen im Zugzwang der Selbstvermarktung. Trotzdem, oder aber gerade deswegen, ist es wichtig, nicht einen Künstlertypus zu begreifen, sondern die Relevanz jedes Einzelnen. Wikiartis unternimmt den Versuch genau hier Hilfestellung zu leisten. In den vergangenen und zeitgenössischen Generationen wurde viel gesagt, aber oft nicht richtig zugehört. Zuhören ist unerlässlich, denn vieles, was gesagt wurde und gesagt werden wird, ist nicht immer auch so gemeint. Auch in der bildenden Kunst bleibt Sprache unvermeidlich. Eine Arbeit spricht nur in wenigen Fällen für sich selbst.

1 Kommentare

  1. Wenn man selbst kein Künstler ist, darf man aber hinschauen, hinhören, hinlangen und sich seine eigenen Gedanken machen (sapere aude).

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