Das Museum lädt ein, der Künstler kommt. Der Künstler mache erst recht mit, wenn im Museum die eigenen Werke hängen, ließ Juergen Teller auf dem Podium zu Beginn bei den MMK-Talks in Frankfurt durchblicken. Um aus der Pflicht eine Kür zu machen, überließ das Museum für Moderne Kunst den Künstlern die Wahl ihres Gesprächspartners. Hans Peter Feldmann wählte als Gegenüber Hans-Ulrich Obrist, Carsten Höller möchte mit Daniel Birnbaum sprechen und Juergen Teller wollte eigentlich auf Charlotte Roche treffen. Roche erkrankte am Tag der Veranstaltung und Teller saß dem Mode-Journalisten Alfons Kaiser von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gegenüber. „Nicht so schlimm“, sagte ich zu Teller vor der Veranstaltung, als er mir den Namen des kurzfristig eingesprungenen Gesprächspartners nannte. Er brauche bescheuerte Fragen, damit es lustig werde, Charlotte Roche könne gut bescheuerte Fragen stellen, antwortete er. Und dann war er mit seinen Gedanken auch schon bei einem gegenüber geparkten Sportwagen.
„… und dann denkst Du: bloody hell.“
Zu Veranstaltungsbeginn die obligatorische Einführung, es fallen die bekannten wichtigen Namen, eine schier endlose Reihe von Museen wird genannt, in denen Werke von Teller hängen (das Namedropping möchte allgemein nicht enden), auf dem Podium sitzt ein entspannter Teller, der gelegentlich sein in eine Deutschlandflagge gehülltes iPhone checkt. Dann kurz und bündig die erste Frage von Kaiser: „Woher kommst Du? Wohin gehst Du?“ Teller lacht, rutscht in seinem Sessel hin und her und antwortet ebenso kurz, er komme von zu Hause und werde sich gleich wieder auf den Weg nach Hause machen. Für existenzielle Fragen ist er nicht zu haben, so war das aber auch alles nicht gemeint, macht Kaiser mit seiner Nachfrage deutlich, ob er denn nicht im Stress sei wegen der gerade zu Ende gegangenen Pariser Fashion Week. Die erste Option wäre in Richtung bescheuerte Frage gegangen, die intendierte Option ist eher eine routinierte Journalistenfrage. Routiniert berichtet denn auch Teller von seinen vielen Terminen und Besprechungen mit Kunden, „is’ schon exhausting“, noch mehr Kunden, Besprechungen, Ideen, Alkohol … „und dann denkst Du: bloody hell“, so Teller, irgendwann zwischendurch der Gedanke (fränkisch): „Wann hab’ ich jetzt zum letzten Mal so ein scheiß Foto gemacht?“
Es folgen die üblichen Gesprächsthemen wie aktuelle Arbeiten, die Heimat in Franken, Heimweh habe er gelegentlich, gesteht er, seine Lehre zum Bogenbauer, die er wegen einer „psychosomatischen Allergiereaktion“ habe abbrechen müssen, so Teller, und sein Start 1986 in London. Da wäre das Essen und eigentlich alles fürchterlich gewesen und die Leute hätten nicht gewusst, was ein Cappuccino sei, erinnert er sich. Doch London wäre für ihn die einzige Chance gewesen, die Provinz zu verlassen. „Take the car and drive to London“, habe er sich gedacht. In London dann Schwierigkeiten mit der neuen Sprache, neun quälende Monate, in denen er Englisch lernte und kein einziges Foto machte. Als es ans Geldverdienen und das Herstellen erster Kontakte gegangen sei, habe er am Telefon im gebrochenen Englisch herum gestammelt. Heute, auf dem Podium, senkt er gelegentlich den Kopf, denkt über eine Frage nach, sucht nach Worten, fängt Deutsch an, springt schnell ins Englische und ebenso schnell wieder zurück. Mal spricht er Fränkisch, mal Deutsch wie ein Engländer.
Zwischendurch, irgendwann, eine kurze Pause, seine Joggingschuhe kommen zum Einsatz. Er müsse auf’s Klo, er habe vorher zu viel getrunken. Teller gibt das Mikrofon aus der Hand, springt vom Podium, joggt aus dem Saal, joggt wenige Minuten später wieder in den Saal und springt zurück auf das Podium.
„Who are we interested in?“
Es geht weiter mit Fragen zu seinen Karrierestationen. Er sei gefragt worden, ob er nicht auf einem Konzert fotografieren wolle, da er eh gerne auf Konzerte gegangen sei, habe er einfach ein paar Fotos gemacht, klick, klick. Gut, so einfach sei das nicht gewesen, gibt er zu. Immer wieder geht es um die Freundschaft mit Marc Jacobs und die Geschichten über die bekannten Fotostrecken, die man in diversen Interviews nachlesen kann. Man weiß inzwischen, wie er Victoria Beckham in die Tasche gesteckt hat, der Wortwitz fiel bereits unzählige Male, dass sich viele Frauen gerne vor ihm auszogen, gerne auch gleich die Beine dabei spreizten, er habe einfach draufgehalten, und wie schwer es war, eine passende Location für ein Shooting mit Charlotte Rampling zu finden. Und dann war da die Idee, doch einfach den Louvre nachts zu mieten und Charlotte Rampling nackt vor die Mona Lisa zu stellen. Bei seiner Arbeit sei es ihm immer um die Frage gegangen: „Who are we interested in?“ Er interessiere sich nur für seine Arbeit, Geld sei ihm nie wichtig gewesen. Er verschweigt nicht, dass sein Honorar inzwischen sehr hoch ist. Als es um das Thema Retusche geht und wie er dazu steht, er lehnt sie natürlich ab, lässt er sich kurz dazu verleiten, sich in Rage zu reden. Retuschierer verdienen in seinen Augen heutzutage viel zu gut. „Die Retuschierer haben sogar einen eigenen Helikopter, mit dem sie abstürzen“, sagt er. Warum man keine Fotostrecken mehr von ihm in der Vogue sehe, will Kaiser wissen. Teller versucht das Thema kurz mit einer Gegenfrage zu umschiffen: „Ja, das frage ich Dich“? Kaiser vermutet, man frage bei Teller nicht mehr an, das Gegenteil sei der Fall, räumt Teller ein, Anfragen kämen von allen Vogues, für ihn sei das aber nicht mehr interessant, er könne dort nicht machen, was er wolle. Irgendwann am Abend kam von ihm der Satz, „you should do what you think you should do“, der auch hier passt. Man glaubt es ihm.
„Wenn sie mal ein Nacktmodell brauchen …“
Die erwünschten bescheuerten Fragen kommen am Ende der Veranstaltung aus dem Publikum. Die erste Frage von einem jungen Mann: „Kannst Du ein Foto von uns machen?“ Ein iPhone wird in die Höhe gehalten. Teller springt wieder vom Podium, nimmt das fremde Telefon in die Hand und muss sich erst einmal zeigen lassen, wie dessen Kamera funktioniert. Bekanntlich fotografiert er nur analog, nicht mehr mit Leica, er bevorzugt Kameras mit Autofokus. Eine junge Frau fragt, wie es mit Venetia Scott, seiner ersten Frau, gewesen sei. Sie sei zu stark für ihn gewesen, habe viele seiner Ideen abgelehnt und er habe sie deshalb nicht umgesetzt. Was sich nach der Trennung für ihn verändert habe, will die junge Frau wissen. Es verändere sich immer alles, so Teller, jetzt sei er „mehr confident mit seinen bescheurten Ideen“. Und schließlich fragt ihn doch noch jemand: „Warum ausgerechnet Charlotte Roche?“ Ihm sei niemand anderes eingefallen, so seine erste Reaktion. Ganz so einfach ist es auch hier nicht, jetzt aber spricht er weiter. Er erzählt von dem Brief, eigentlich Fanpost, die er von Charlotte Roche als Reaktion auf seine Serie im ZEITmagazin erhielt. Der Brief ist inzwischen erschienen. Charlotte Roche schreibt: „Das was sie da gemacht haben, war das Beste für mich! Die Fotos natürlich, aber vor allem, was sie dazu geschrieben haben. Das war so gut! Ich mag ihre Arbeit sehr. (…) P.S. Wenn sie mal ein Nacktmodell suchen …“ Als Nacktmodell habe er kein Interesse an ihr gehabt, aber jetzt an ihren Büchern, an dem, was sie von sich selbst preisgebe, über den Verkehrsunfall ihrer Familie auf dem Weg zu ihrer Hochzeit, über ihr Privatleben, das fasziniere ihn, und wie sie schreibe, er selbst schreibe ja auch gern. Es wären zwei Menschen aufeinander getroffen, die sich anderen, der Öffentlichkeit gegenüber gelegentlich bis zur „Schmerzgrenze öffnen“, wie Juergen Teller einmal sagte. Vielleicht treffen die beiden ein anderes Mal aufeinander, man wünscht es sich. Wie dem auch sei, es war eine gute Veranstaltung, was ich Juergen Teller im Anschluss versichere. „War okay?“, fragt er. „Ja.“
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