allerArt
Schreibe einen Kommentar

Eine Welt zerfällt in Bilder. David Lynchs „Dark Splendor“

Die Frage nach dem Ort, an dem kollektive Erfahrungen reflektiert und aufgearbeitet werden, setzt eine Antwort meist voraus: die Kunst. Bevor wir mit Platon und Aristoteles fragend staunen, müssen wir, so Heideggers Form der Replik, uns öffnen für das andere, uns dem Offenen, dem Abgrund zuwenden. Die Ich-Ferne, derer es dafür bedarf, schaffe Kunst, so Paul Celan im Meridian. Neben der oft rhetorischen Frage nach diesem Ort, geht dieser selbst die Wendung zum Abgrund voraus, auf welchen wiederum die Kunst zielt. Sie bahnt nach Celan den Weg ins Unheimliche ‒ der Abgrund schimmert. Er schimmert semantisch in die Tiefe und affektiv ins Dunkle, ins Unheimliche: Es zwingt uns zu fragen, und ist als geteilte Erfahrung Moment künstlerischer Darstellung.

Ohne Titel (Selbstporträt), ohne Jahr, Fotografie, © David Lynch.

Dunkler Glanz, Dark Splendor, ist der Titel der Ausstellung, die Zeichnungen, Aquarelle, Lithografien, Fotografien, Gemälde, eine Rauminstallation und Kurzfilme von David Lynch in den Fokus rückt und der durch den Zusatz Raum Bilder Klang ergänzt wird. Das Oxymoron im Titel verweist bereits auf einen doppelbödigen Untergrund, dorthin weist Lynch uns den Weg. Gemeinhin gilt sein Œuvre – wobei meist der Film The Straight Story außer Acht gelassen wird, und dessen Bildsprache sich auch in der Ausstellung nicht findet – als ästhetischer Ausdruck der Erfahrung des Unheimlichen, des Fremden sowie der Aggression; dem also, was mit dem Zivilisationsprozess im Namen der Vernunft verschlungen ist. Lynch lenkt den Blick auf das, was sich der Sprache und der Vernunft entzieht und dennoch anwesend ist. Sein Medium ist ‒ so bisher die öffentliche Wahrnehmung ‒ der Film, eine Verschränkung diskursiv-sprachlicher und figurativer Ordnungen. Aber nicht nur dem Film, auch der bildenden Kunst hat sich Lynch von Anbeginn seines Schaffens verschrieben.

Ohne Regenschirm, mit Bildgedächtnis

Nun zeichnet der am Eingang befindliche Pressespiegel zur Ausstellung fast einstimmig die Möglichkeit aus, Lynchs bildende Kunst nicht über den (Um-)Weg der Filme zu erfassen, sondern sich dieser direkt zu widmen. Gleich am Eingang der Ausstellung kommen dem Besucher die ersten Zweifel. Da ist einerseits der Einwand der Faktizität: Es werden einige der frühen Kurzfilme Lynchs (nur) in einem separaten Raum gezeigt, wie The Grandmother, The Amputee oder der bekanntere Eraserhead. Die Filme stehen also eher abseits, sind gewissermaßen nur ein Anhängsel der Ausstellung. Andererseits ist es kaum möglich die rezeptionsgeschichtlichen Spuren, die von Lynchs Filmen nahezu in Form kollektiver Bilder imprägniert sind, am Eingang mit seinem Regenschirm abzugeben und sich völlig unvoreingenommen, den bisher wenig beachteten Werken Lynchs zu widmen. Ohne die Filme als Ort, von welchem der Blick der Perzeption ausgeht, ist die Ausstellung schwer zugänglich. Dementsprechend wäre es durchaus sinnvoll gewesen, zumindest knappe Erläuterungen zum Entstehungskontext der Werke zu liefern.

Lynchs Genesis

Am Anfang war die Malerei. Lynch studierte in den sechziger Jahren Kunst in Philadelphia. Philadelphia erweist sich als wichtiger Einflussfaktor für Lynchs kommende Arbeiten. Die Stadt, in der die US-amerikanische Unabhängigkeitserklärung verkündet wurde und die einst die zweite Hauptstadt der USA war, zeigt sich zu Zeiten Lynchs als geprägt von den race riots im Jahre 1964, deren Folgen verletzte Personen, zerstörte Gebäude sowie brachliegenden Industrieruinen waren. Einst ein Ort der Hoffnung, nimmt Lynch Philadelphia nun als Ort der Kristallisation von eskalierender Gewalt der Rassenkonflikte und der Zersetzung überflüssig gewordener Architekturen wahr. Diese Erfahrungen gesellschaftlichen und sozialgeschichtlichen Wandels verdichten sich zu einem Motiv, das eines der zentralen Momente in Lynchs Werk wird: der Verfall. Dieser wird Lynch nicht wieder loslassen. Im Medium der Kunst konserviert Lynch Vergänglichkeit und Verfall.

Dann die „Epiphanie“ (Werner Spies): In einem schwarzen Bild nahm Lynch plötzlich Bewegungen wahr ‒ damit war sein Weg zum Film geebnet. The Alphabet entstand 1968, eine Arbeit, mit der er später am American Film Institut aufgenommen wurde. Die bis heute in seinem Werk enthaltenen Spuren des Surrealismus treten also bereits, wie auch das Verfahren der Montage,  in der frühsten Werkphase auf. Überdies findet die Ausstellung im Max Ernst Museum in Brühl statt; Ernst wurde jetzt von Werner Spies bei der Podiumsdiskussion zum Thema „Die Welt von David Lynch“ als „Meister der Collage“ apostrophiert wurde ‒ diese Technik weiß auch der Filmemacher für sich zu nutzen. Lynch selbst zeigte sich erfreut, dass seine Werke in der unmittelbaren Nachbarschaft von Ernst zu sehen sind, berichtete Spies. An dessen Technik, mittels derer er sich unterschiedlicher Medien bedienen kann und teils digital per PC, teils einfach mit Klebstoff disparate Gegenstände zusammenstellt, knüpft Lynch an. Er montiert etwa in der Fotoserie Distorted Nudes aus dem Jahre 2004 digital nackte Frauenkörper, entnommen aus historischen Aktfotos, derart, dass die vermeintlich angestrebte sexuelle Erregung umschlägt in Schrecken vor den deformierten und zerstückelten Körpern. Lynch bearbeitet im Anschluss an Picasso, die Natur so, dass aus dieser eine „zweite Natur“, eine „Möglichkeitswelt“ (Spies), wird.

Ohne Titel, aus der Serie „Distorted Nudes“, 2004, Digitaldruck, © David Lynch.

Damit deformiert Lynch nicht allein den weiblichen Körper. Mit der Destruktion zergeht der Mythos um den Körper; hier muss eine Parallele zu Lynchs Film Lost Highway aus dem Jahre 1997 gezogen werden. Während in den fotografischen Montagen oft phallische Formen die Körper durchstechen, wird in Lost Highway der Blick und die Phantasie selbst gewendet. In den dunklen Farbkompositionen und hoch kontrastieren Bildern, sind es die verzerrte Perspektive auf Räume und Darsteller, besonders auf die überzeichnete Femme fatale, welche die Realität kippen lassen.

Zwischen dem Begehren nach sexuellem Besitz und dem Verlangen zu zerstören: Pete fokusiert Alice in „Lost Highway“.

Lynch erteilt dem Besitzstreben nicht nur inhaltlich mittels des Einsatzes der zerstörenden Kraft eine Absage. Auch die Bilder entfalten durch merkwürdige Proportionen und Anordnung von Personen und Gegenständen eine Polysemie, die rational nicht mehr eingeholt werden kann. Statt einer klaren Deutung trifft man auf ein Gefühl des Unbehagens. Der Klangteppich in Form eines fortwährenden, unterschwelligen Brummens ist Teil dieses Szenarios der Verstörung. Lynch hat der Ausstellung einen eigenen Soundtrack beigegeben sowie kleine Boxen, denen man mit einem Knopfdruck eine weitere Klangwand entlocken kann. Die kleinformatigen Boxen mit dem weißen Anstrich mögen so gar nicht in die Räume passen ‒ der Versuch, das filmische Arrangement aus Ton und Bild in die Ausstellung zu transportieren, schlägt fehl. Ein Schmunzeln statt eines Schauers überkommt einen beim Anblick der Soundlieferanten.

Bacon Nachfolge

Neben dem Surrealismus finden sich weitere kunstgeschichtliche Bezüge in seiner Malerei. Ein Gemeinplatz ist es, Francis Bacon habe Lynchs Werk von jeher beeinflusst. Bei genauem Hinsehen ist es kein Einfluss, der in der Ausstellung sichtbar wird, sondern eine Nachbildung. Fast imitiert Lynch Formelemente von Bacon, wie in der bereits angesprochenen Serie Distorted Nudes zu beobachten ist. Was in Lynchs Filmen eine spannende Aneignung der Intention Bacons ist, wirkt bei seinen Bildern zu plakativ. Auf großen Leinwänden werden kleine Utensilien mit Klebstoff in ein Bild gefügt; es werden beispielsweise Unterwäsche und Waffen einem verzerrten, mit offenem Mund auf einem Bett liegenden Frauenkörper zur Seite gestellt (Well… I Can Dream, Can‘t I?, 2004). Hier zeigt sich der Verfall als Prozess der Verwesung eines menschlichen Körpers. Der Fokus liegt auf der Darstellung des organischen Prozesses, auf der Darstellung des immer untergründig Anwesenden. Eine Spannkraft entsteht in dieser Konstellation jedoch nicht. Einzig die Reminiszenz an Bacons Triptychen steht dominant im Raum.

In Blue Velvet (1986) zeigt sich die Aneignung der organischen Darstellung Bacons gleich zu Beginn. In der Welt US-amerikanischer Vorgärten und winkend vorbeiziehender Feuerwehrmänner erleidet Jeffrey Beaumonts Vater einen Schlaganfalls und stürzt ins Gras. Die Kamera durchdringt das Gras noch und fährt weiter in den weichen Boden, der von Käfern durchsetzt ist. Das Durchstoßen des schönen Scheins sozialer Realität wird optisch ergänzt durch ein kaum noch detailliert zu erfassendes, organisches Wimmeln. An dieser Stelle kristallisiert sich durch das Setting und die Kostüme der Darsteller ein weiterer Referenzpunkt Lynchs. Edward Hoppers Bilder zur US-amerikanischen Kultur standen hier Pate. Besonders die USA der 50er Jahre faszinieren Lynch.

Der Versuch, die heile Welt zu erhalten: Tom Beaumont kurz vor seinem Schlaganfall in „Blue Velvet“.

Interessanter ist es, Blue Velvet als Unterfangen, die Kehrseite der heilen Welt der 50er Jahre filmästhetisch zu reflektieren. In einer psychologischen, vielleicht all zu psychologisierenden Deutung, sind dies Lynchs Erinnerungen an seine eigene Kindheit in dieser Zeit und der Zerfall des damals empfunden Glücks. Vielmehr drückt sich hier noch der historische Gehalt sozialer Konflikte aus. Die dominierende Geisteshaltung der US-amerikanischen Bevölkerung war gekennzeichnet durch den Antikommunismus des kalten Krieges. Über den als äußeren Feind wahrgenommenen Ostblock wird die eigene kollektive Identität konstituiert und aufgrund des Gefahrenszenarios ein extremer Anpassungsdruck und Konformismus erzeugt. In diesem Kontext entstehen kulturelle Gegenbewegungen der Jugendlichen, die die elterliche Autorität in Frage stellen und sexuell freizügiger miteinander umgehen. Zudem lassen sich erste Ansätze entstehender Subkulturen verzeichnen. Blue Velvet verhandelt dieses Spannungsfeld. Die Figur Jeffrey Beaumont ist fasziniert von der geheimnisvollen und sexuell anziehenden wie erfahrenen Dorothy Vallens und dem Überschreiten des autoritären Verbotes, dem Fund eines abgeschnittenen Ohres nachzugehen ‒ hier wiederum eine Referenz an den surrealistischen Film Chien andalou von Buñuel und Dalí. Gleichzeitig bleibt er Sandy Williams, dem Idealbild des kindlichen, angepassten Mädchens in pinker Zimmereinrichtung, zugeneigt. Immer wieder wird in düsteren Szenen das konservative Milieu destruiert und die damalige Erodierung sozialer Strukturen filmisch skizziert. In der Ausstellung hingegen setzt Lynch diesbezüglich keine Akzente – es bleibt dort bei einer unbehaglichen Atmosphäre und Figuren in Kostümen aus den 50er Jahren, wie am Bild This man was shot 0.9502 seconds ago nachzuvollziehen ist.

Schmelzende Schneemänner

Ohne Titel (aus der Serie „Industrial Motives“), ohne Jahr, Fotografie, © David Lynch.

Die fotografischen Serien Industrial Motives und Snowmen sind es, die den bereits angesprochenen biografischen Bezug zu Philadelphia herstellen. Während der Verfall den Schneemännern durch den Wechsel der Jahreszeiten widerfährt, sind die Industrieruinen im geschichtlichen Kontext des Wandels der wirtschaftlichen Sektoren zu verorten. Die schwarz-weiß Fotografien der Serie zeigen diese industrielle Gegenden und fangen die ehemals benutzten Architekturen in verzerrter Perspektive ein. Lynch selbst nennt als zentralen Topos seiner Arbeit die Fabrik, ‒ dann die Malerei und als drittes erst den Film ‒ die als Ort der Industrialisierung heute vielfach brach liegt.

Kennt man zudem Arbeiten von Bill Brandt, an dessen Aufnahmen man nicht ganz unwillkürlich erinnert wird, tritt jedoch der qualitative Unterschied zu Tage. Während weitere Fotoarbeiten Lynchs aus dem Jahre 2008 zu gefallen, aber nicht zu verstören wissen – zu routiniert und eingeschliffen wirkt das Gezeigte mittlerweile, meist bearbeitet mir starken Überblendungen des Gesichtsbereichs und hohen Farbkontrasten –, ist die am Eingang positionierte Rauminstallation eine kleine Enttäuschung. Die Kraft, Assoziationen und Stimmungen hervorzurufen, wie es die Räume in Mulholland Drive aus dem Jahre 2001 schaffen, geht der Installation ab. Vielleicht noch fühlt man sich durch die verwinkelten, gelb und blau angemalten Räume in die Kurven einer Geisterbahn geworfen, durch die man sich hindurch schlängelt, immer achtsam gegenüber Ecken, hinter denen etwas lauern könnte, um an ihrem dunklen Ende wieder die gewohnte Welt zu betreten.

Rauminstallation, nach einer Zeichnung von David Lynch, Foto: Patrick Gries, © David Lynch.

Im Angesicht des Abgrunds

Was hat die Ausstellung Dark Splendor zu bieten? Lynchs Stärken sind in seiner Fähigkeit zu sehen, kunstgeschichtliche Referenzpunkte in das Medium des Films zu übersetzen, dort zu kombinieren und den Lücken der sozialen Realität ‒ deren Hang zu Kippen ‒ Ausdruck zu verleihen. Mögliche Assoziationen zu Kafkas Geschichten, die sich hier einstellen mögen, sind nicht unbegründet. Auf die Frage, wer sein Lieblingsgeist des 20. Jahrhunderts sei, antwortete Lynch laut Spies: Kafka. Dieser nämlich erzeuge mit den Mitteln der Realität Irreales.

Es sind die Filme Lynchs, die weiterhin interessante Fragen aufwerfen – nachdem man sich dem Abgrund zugewandt hat. Die aus der heutigen Sicht durchaus als genderspezifisch zu bezeichnenden Aspekte der Werke Lynchs haben nicht an Relevanz verloren. Allein die eigene Deutung der Werke und das daran beteiligte projektive Verhalten aus einem kollektiv geteilten Sinn- und Zeithorizont heraus, sprechen dafür. Ebenfalls die der Zivilisation innewohnenden destruktiven Potentiale sind immer noch und immer wieder wahrzunehmen. Kunst hat hier ihr gesellschaftspolitisches Potential. Lynch zeigt uns in seinen Filmen diese Welt – seine und unsere –, die in Bilder zerfällt. Dazwischen finden wir Erfahrungen, die sprachlich nicht mehr vermittelbar sind. Durch Lynch finden wir Zugang dazu.

Die Ausstellung David Lynch – Dark Splendor. Raum Bilder Klang ist noch bis 21. März im Max-Ernst-Museum in Brühl zu sehen.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *