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Ein offenes Geheimnis

„Der Marketinggaul ist mit dem Städel durchgegangen“, so Swantje Karich vor einiger Zeit in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Anlass war die Flut gelber Gummistiefel und gefühlsduseliger Plakate in Frankfurt, mit denen das Städel Museum zum kollektiven Bauen oder eher Spenden für die unterirdischen Gartenhallen des Erweiterungsbaus aufrief. Die Spieler der Eintracht Frankfurt beispielsweise marschierten in den gelben Stiefeln auf, die Frankfurter Bürger ließen sich darin bei einem Fotowettbewerb in einem großen Kaufhaus ablichten und dem Schauspieler Benno Fürmann wurde offenbar ein Stiefel in die Hand gedrückt, als er sich vor dem Museum nach dem Eingang erkundigte. Wenn es nicht gerade um modische Accessoires in Verbindung mit Baumaßnahmen geht, sondern um das Hauptgeschäft, nämlich Werbekampagnen zu Ausstellungen, halten die Frankfurter Hollein Häuser den Marketinggaul auch nur gelegentlich im Zaum. 2008 gab es dafür einen Preis. Die Schirn Kunsthalle wurde für die Werbekampagne zur Ausstellung „ImpressionistInnen“ als „Kulturmarke des Jahres 2008“ ausgezeichnet. Dass Marketing nicht immer nur mit pinken T-Shirts, gelben Gummistiefeln und großflächigen Plakataktionen mit so einfallsreichen Slogans wie „Renoir Renoir Renoir Au revoir! Impressionismus ist weiblich“ zu Blockbuster-Ausstellungen verbunden sein muss, zeigt der Aufwand, der für die Ausstellung „Geheimgesellschaften“ betrieben wurde.

Ein offenes Geheimnis: Die Mitgliederliste der italienischen Geheimloge P 2. „Souvenir d’Italie (Fondamenti della Seconda Repubblica)“ von Luca Vitone. Fotograf: Norbert Miguletz.

Die Gruppenausstellung mit über 100 Werken von 50 zeitgenössischen Künstlern hat das Thema der „Geheimgesellschaften - Wissen Wagen Wollen Schweigen“ in grelles Licht getaucht, was nicht zuletzt die leuchtend gelbe Wandfarbe bewirkte. Auf eine Gegenüberstellung mit historischen Werken, wie anfänglich von den Kuratoren Alexis Vaillant und Cristina Ricupero geplant, wurde verzichtet. Historisches fand sich sodann in den Werken selbst. Die Bandbreite reichte vom Alchemisten, Mathematiker und Berater der Königin Elizabeth I., John Dee (Joachim Koester, Suzanne Treister), der jüngst auch Protagonist der Oper „Doctor Dee“ von Damon Albarn war, über die Mitgliederliste der italienischen Geheimloge P 2 (Luca Vitone), deren bekanntestes Mitglied Silvio Berlusconi war, hin zu 9/11 und Porträts von Terroristen, die einem unerwartet gelegentlich in die Augen blicken (Jonathan Horowitz). Ein wenig zu plakativ wird das Thema „Geheimgesellschaften“ im Kontext von Schweigen und Geheimnis angerissen, wenn Jonathan Horowitz etwa das offizielle Porträt des Ex-Präsidenten George W. Bush vor amerikanischer Flagge kurzerhand auf den Kopf gestellt an die Wand hängt, oder Edward Key in seinem Gemälde „Family Secret“ einer vermeintlich glücklichen vierköpfigen Familie dunkle Geheimnisse unterstellt und dies mittels der Farbe Schwarz visualisiert, die er wie einen Schleier über das Gemälde legt.

Wenige Werke vermögen es - einem Geheimnis vergleichbar -, in ihren Bann zu ziehen. Das in einer Vitrine aufgebahrte, weiß bemalte und mit falschen Diamanten überzogene Springmesser des Asian Punk Boy Terence Koh „Untitled 8 (Grease Switchblade)“ zeigt sich unschuldig und ist deshalb schnell passiert. Und das Werk „Hexen2039/Diagram“ von Suzanne Treister ist als Großformat mit seinen Tuschezeichnungen und -beschriftungen zu kleinteilig, als dass man sich die Zeit nehmen möchte, sich einzusehen. Dies gelingt am ehesten den Filmen, wie etwa Brice Dellspergers „Body Double 22“ oder Kenneth Angers „Invocation of my Demon Brother“, die den Vorteil haben, dass sie das Geheimnis im Laufe der Betrachtung selbst enthüllen oder auch weiter verhüllen.

Unschuldig: „Untitled 8 (Grease Switchblade)“ von Terence Koh.

Die Ausstellung war wie ein Parcours angelegt, den es zu erkunden galt, und das machte auch den Reiz aus. Man habe mit der Ausstellungsarchitektur von Fabian Marti versucht, „eine Art Initiationsritus zu kreieren“, so die Kuratorin. Einige Werke wurden durch Raumelemente verhüllt, wodurch sie freilich erst die Aufmerksamkeit auf sich zogen, andere legten sich dem Besucher wie ein Stolperstein in den Weg, etwa der „Somnambulist“ von Goshka Macuga. Was der Mehrheit der Werke einzeln für sich genommen nicht gelang, nämlich die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, erreichte der Parcours. Ziel der Kuratoren war es nicht, die Geschichte der Geheimgesellschaften abzuhandeln, vielmehr sollte die „Vorstellungskraft und Neugier“ des Besuchers „angeheizt“ werden. Hier griffen die Kuratoren auf eine Erkenntnis des Soziologen Georg Simmel zurück, der in einer Studie zu Beginn des 20. Jahrhunderts schrieb:

„Das Geheimnis gibt der Persönlichkeit eine Ausnahmestellung […]. Aus diesem Geheimnis, das alles Tiefere und Bedeutende beschattet, wächst die typische Irrung: alles Geheimnisvolle ist etwas Wesentliches und Bedeutsames. Der natürliche Idealisierungstrieb und die natürliche Furchtsamkeit des Menschen wirken dem Unbekannten gegenüber zu dem gleichen Ziele, es durch die Phantasie zu steigern und ihm eine Aufmerksamkeitsbetonung zuzuwenden, die die offenbarte Wirklichkeit meistens nicht gewonnen hätte.“

Ausgeleuchtet: „Geheimgesellschaften“, „The Somnambulist“ von Goshka Macuga. Fotograf: Norbert Miguletz.

Was in der Ausstellung an Erklärungen und Hintergrundinformationen nicht an die Hand gegeben werden konnte, wurde in das „Schirn Mag“, kurz das Blog der Schirn ausgelagert. Dort finden sich, sucht man nach dem Titel der Ausstellung, 28 Beiträge. Interviews mit den Künstlern - teils mit Video - erläutern kurz die ausgestellten Werke. Unter der Rubrik „Kontext“ finden sich Werkkommentare, die ebenfalls ausgelagert wurden, dies allerdings aus dem Katalog. Denn der dreisprachige (!) Katalog beinhaltet einen Bildteil ohne erläuternde Beiträge, ein Gespräch mit den Kuratoren und fünf Essays, gleich zwei stammen vom Okkultismus und Mystizismus Experten und Blondie-Gründungsmitglied Gary Lachman. Die Essays umkreisen das Thema der Geheimgesellschaften angefangen bei deren Geschichte, werfen einen Blick auf Dandys wie Oscar Wilde und Spione à la James Bond und natürlich fehlen die Freimaurer und der Okkultismus nicht. Auch beim Katalog zeigt sich, dass es erholsam für die Hollein Häuser ist, einmal nicht den Ansprüchen einer Blockbuster Ausstellung gerecht werden zu müssen. Zuletzt litt der Katalog zur Kirchner Ausstellung darunter, Redundanz - nach dem einleitenden Aufsatz des Kurators Felix Krämer war bereits alles gesagt - und fahrige Werkkommentare waren die Folge.

Neu gegründet: Der Schirn Circle. Bis Ende des Jahres ist die Mitgliedschaft kostenlos.

Abgerundet wurde das Marketingkonzept zur Ausstellung mit der Eröffnung des Schirn Circle zur Finissage, womit wir wieder beim durchgegangenen Marketinggaul wären. Die Schirn hat bereits die Schirn Freunde, das Städel seinen Museums-Verein und seinen Städelclub 20up, offenbar braucht nun auch die Schirn dem Städelclub 20up Vergleichbares für das junge Publikum. Der Schirn Circle allerdings ist gewagter und richtet sich nicht nur an die 20-30 Jährigen, sondern gleich an die 20-40jährigen Museumsbesucher. Mit dem Anglizismus ‚Circle‘ orientiert man sich an Google+ mit seinen Circles, wobei der Verzicht auf das Deutsche ‚Kreis‘ verhindert, dass man etwa mit dem in den letzten Jahren wieder in die Öffentlichkeit gerückten George-Kreis und damit einem zweifelhaften Elitismus in Verbindung gebracht wird. Nebenbei sei erwähnt, dass etwas im Unklaren bleibt, inwiefern sich nun der Schirn Circle von den Schirn Freunden unterscheidet. Freien Eintritt in alle Ausstellungen und ein Begleitprogramm in Form von Sonderführungen etc. bieten beide - die Schirn Freunde haben den Vorteil, dass sie Studenten eine ermäßigte Mitgliedschaft in Höhe von 25 Euro bieten, während ein Platz im Schirn Circle jährlich 75 Euro kostet. Ausprobieren kann man den Schirn Circle bis Ende des Jahres allemal, denn bis dahin ist die Mitgliedschaft kostenlos.

Nachtrag /17.10.2011/
Das Städelmuseum ist für die Kampagne „Frankfurt baut das neue Städel. Bauen Sie mit“ mit dem Effie Award (Silber) des Gesamtverbands Kommunikationsagenturen in der Kategorie Soziale und Institutionelle Werbung ausgezeichnet worden. Einen zweiten Effie (Bronze) gab es für die Botticelli-Kampagne.

Die Ausstellung ist von 10. November 2011 bis 26. Februar 2012 im CAPC musée d’art contemporain de Bordeaux zu sehen. Der dreisprachige Katalog zur Ausstellung kostet € 29,80.

 

 

 

 

 

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