Ein Wort mit drei Buchstaben ziert den Einband: „POP“. Etwas kleiner steht daneben: „Kultur & Kritik“. Der Titel der Publikation ist in Schwarz auf rosanem Grund geschrieben, darunter ist das Foto eines älteren Herrn zu sehen, der im Superman-Kostüm an einem Verkaufsstand für DVDs steht. Sofort ist klar, dass es sich hier nicht um eine wissenschaftliche Publikation handelt, die ausschließlich im universitären Kontext verwurzelt ist. Weniger klar ist, wie ernst sich der Mann in seinem blauen Kostüm nimmt und wie ernst sich die Zeitschrift nimmt. Die Chiffre des zeitgenössischen Hipsters ist die Ironie, deren Uneigentlichkeit mit einer solchen Ernsthaftigkeit vorgetragen ist, dass man sie schon zur reinen Pose erstarrt glaubt. Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis reicht, um den Verdacht auf Ironie auszuräumen. Es geht tatsächlich um eine Auseinandersetzung mit Popkultur aus der Beobachterposition, aber im Gewand des Populären. Die Zeitschrift passt mit der schlichten, aber verspielten Ästhetik des Titels zwischen „Spex“ und „Kursbuch“, zwischen Gesellschaftsanalyse und Popkultur.
Das Heft ist 170 Seiten stark und die Artikel variieren je nach Rubrik zwischen vier und zwanzig Seiten in der Länge. Schlägt man die erste Ausgabe der Zeitschrift auf, grinst den Leser als Frontispiz „Le visage de vanitas“ von James Hopkins an. Das Foto zeigt einen Totenschädel, dessen Form über mehrere Regalbretter mit Schallplatten, Zeitschriften, einer Gitarre und Pappkartons, die wohl eine Stereoanlage enthalten, gelegt ist. Das linke Auge der grinsenden Vanitas-Fratze bildet eine Uhr. Es ist kaum ein deutlicheres Bild denkbar für den Anspruch und zugleich die größte Angst einer Zeitschrift, welche die Popkultur im Titel trägt: den Anspruch, gegenwärtig zu sein, die Angst vor der Vergänglichkeit popkultureller Phänomene, stets verbunden mit der Besessenheit von der eigenen Vergangenheit, dem Sammeln, Zitieren und Auflisten. Und doch erscheint „POP“ nur halbjährlich und auf Papier. Ist es ein Versuch, dem ständigen Absterben und Nachwachsen von Pop zu entgehen? Jedenfalls schreiben die Autoren aus dem akademischen Milieu heraus und sind nicht am neusten Hype interessiert. Stattdessen kann man hier Annäherungsversuchen an ein Feld zusehen, das die Wissenschaft zwar längst für sich erschlossen hat, was aber außerhalb der Akademie – mit wenigen Ausnahmen – eher in der Hand hermetischen Nerdtums oder kurzlebiger Berichterstattung liegt.
Von 1968 bis Lady Gaga
Das Heft ist in drei Teile geteilt. Der erste ist mit „Zur Zeit“ überschrieben, in dem es um aktuelle Erscheinungen in Popkultur und -theorie, in den Medien, der Werbung, Kunst, Mode und Literatur geht. In dieser Rubrik ist der Kunst- und Medientheoretiker Wolfgang Ullrich vertreten, der sich in seinem Text „Energie und Depression“ damit auseinandersetzt, wie der Begriff Energie eine neue Semantisierung in der Werbung erfährt. Vom Duschgel bis zum Joghurt verspricht uns alles Energie, oder zumindest einen Weg, der aus der vermeintlich selbstverschuldeten Depression führt. Daneben finden sich ein Text zur Unmöglichkeit von Weltflucht selbst im Computerspiel, von Jochen Venus. Ramón Reichert schreibt darüber, was mit den Profilen verstorbener Facebook-Nutzer geschieht. Dank einer App lassen sich Abschiedsvideos auf der Timeline der Dahingeschiedenen posten.
Der zweite Teil enthält Essays, die sich in zugespitzter Form mit Alltagskultur befassen und sich somit in die Tradition von Susan Sontag und Roland Barthes einschreiben. Hier schreibt der britische Soziologe Dick Hebdige, der im Diskurs um Subkulturen schon lange kein Unbekannter mehr ist, über Morrissey-Fanclubs in Los Angeles und über Strategien kultureller Aneignung. Detlef Siegfried beleuchtet die Position des Soziologen und Bob-Dylan Exegeten Günter Amendt in der Popkultur nach 1968.
Der dritte Teil umfasst zwei umfangreiche Forschungsbeiträge. Ruth Mayer untersucht in „Die Logik der Serie“ die Genese und die Vorläufer der Serien im amerikanischen „quality TV“ und versucht nicht nur eine historische, sondern auch ein sozialgeschichtliche Einordnung. Christian Metz schreibt über – beinahe schon das Epitom zeitgenössischer Popkultur – Lady Gaga. In „Lady Gagas digitale Intimität“ verknüpft in seiner Analyse den Diskurs der Neuen Medien mit kulturwissenschaftlichen Perspektiven: Diskurse der Liebe, des Begehrens und des Voyeurismus haben ihren Anteil an der Schöpfung der Kunstfigur Lady Gaga. Indem der Text sich auf ein von den Gender-Studies erschlossenes Terrain begibt, bleibt er der konventionell-akademischen Textproduktion verhaftet. Trotzdem gelingt ihm mit der Einbeziehung digitaler Vernetzung eine Aktualisierung.
Viele der Beiträge wären im Feuilleton nicht fehl am Platz, andere scheinen in ihrer Ernsthaftigkeit direkt dem Seminarraum entwachsen. In dieser Verschiedenheit bilden die Texte ein breites Feld von Möglichkeiten des Sprechens über Popkultur ab.
Abfall für alle?
In der zeitgenössischen Pop-Theorie sind auch heute noch die Paradigmen von Recycling, Zitaten und synthetischen Retro-Trends vorherrschend – einer Kultur, die nicht von ihren eigenen Abfällen lassen kann (zuletzt hat der britische Musikkritiker Simon Reynolds die kulturpessimistische Bestandsaufnahme „Retromania – Pop Culture’s Addiction To Its Own Past“ veröffentlicht, die in „POP““ von Moritz Baßler rezensiert wird). In diese mitunter unreflektierte Theorietradition stellt sich „POP“ nicht. Schon im ersten Heft versucht Mitherausgeber Thomas Hecken – der früher bei der „Spex“ tätig war – in seinem Essay „Pop-Konzepte der Gegenwart“ eine Bestandsaufnahme der kritischen Konzepte, von der adornitischen Ablehnung der Massenkultur über die queer-Bewegung bis hin zur neoliberalen bedingungslosen Affirmation. Es folgt ein Essay von Nadja Geer: „Pop: Annäherungen an ein gegenwärtiges Phänomen“. Diese beiden Texte stehen in der Mitte des Heftes, nicht wie eine apodiktische Gegenstandbestimmung, sondern als offene, dialogische Versuche über Pop, aber zugleich als Herzstück und als Angelpunkt der Annäherung.
Die Texte lösen sich vom ironisch-distanzierten, anspielungsreichen Gestus, der in Zeitschriften wie „Spex“ vorherrscht und der allein an der Perpetuierung eines nur für Eingeweihte verständlichen Geheimwissens interessiert scheint. Pop wird nicht als ein dem Bildungsbürgertum entgegengesetztes Gebilde aus Oberflächenphänomenen, Literatur und hipper Theoriebildung behandelt, sondern von den Autoren scharfsinnig als konstituierender Bestandteil unserer Lebenswelt durchleuchtet. Hinter all dem lacht uns der Totenschädel der Flüchtigkeit entgegen, der sich zusammensetzt aus dem stets wiederverwerteten und neu synthetisierten Abfall der Massenkultur. Das Memento mori des Pop steht dem Heft voran und wird stets mitgedacht, aber nicht ohne die Produktivität des Weggeworfenen und Verworfenen zu vergessen. Die Massenkultur wird hier weder als Abfallprodukt behandelt, noch richtet sich „POP“ an die hermetischen Zirkel der Subkultur. Stattdessen bietet sich hier eine pluralistisch verstandene, kritische Analyse der Gegenwartskultur, die Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen vereint.
Die Zeitschrift „POP.Kultur und Kritik“ ist seit dem 1. September erhältlich. Die Printausgabe wird um ein Online-Angebot erweitert.