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Der Tod der Kunstkritik

„Alle Kunst ist gänzlich nutzlos“, schreibt Oscar Wilde in seiner Vorrede zum Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“. Folglich ist auch alle Kritik an Kunst nutzlos – und Wilde würde nicht widersprechen, sah er doch Kunstkritik selbst als Kunst im Sinne von Wortschöpfung an. So lässt er durch die Figur Gilbert in seinem Essay „Der Kritiker als Künstler“ verlautbaren, die Kritik behandle das Kunstwerk als Ausgangspunkt zu einer neuen Schöpfung. „Warum den Künstler mit dem lauten Geschrei der Kritik stören?“, fragt sein Dialogpartner Ernest. Was der Kunstkritiker dem Leser zu geben vermag, sei doch „nichts als ein Echo der volltönenden Musik, das blasse Schattenbild einer klar umrissenen Form“. Gilbert dagegen sieht in der Kritik ein Instrument der Destillation, das aus der ungeheuren Menge an Kunstwerken einen schärferen Extrakt gewinnt:

„Der Faden, der uns durch das ermüdende Labyrinth führen soll, ist in den Händen der Kritik.“

An dieser Erwartung, die Wildes Dialog an die Kunstkritik stellt, hat sich nichts geändert. Ihre Texte sollen lesenswert – mit Gilberts Worten „schöpferisch“ – sein. Zuallererst muss sie sich aber, wenn sie eine Existenzberechtigung haben will, ihrem Publikum verpflichtet fühlen. Der Rezipient giert nach Orientierung in einem immer größer werdenden Dickicht der zeitgenössischen Kunst. Kann die heutige Kunstkritik das leisten? Schon 1890 warnt die Figur Gilberts: „Die Verpflichtung, dem Chaos Form zu geben, wird durch den Fortschritt der Welt nicht geringer.“ Aber ist die Kunstkritik nicht selbst orientierungslos? Und: Kann man es ihr angesichts eines sich täglich potenzierenden Angebots auf dem Kunstmarkt verdenken?

Networking mit Distanz

Mit der Zahl der Künstler am Markt ist auch die der Rednerbühnen gestiegen, auf denen über sie gesprochen wird. Die Menge an Kunstmagazinen und -zeitschriften ist kaum zu überblicken, daneben gibt es eine jährlich wachsende Zahl an qualifizierten Onlinemagazinen und Blogs. Auch das klassische Feuilleton zieht mit, indem es der zeitgenössischen Kunst seit einigen Jahren üppig Platz einräumt. Die Akteure indessen haben vielerlei Gesichter und wechseln nicht selten ihre Profession. „Künstler treten auf als Kritiker, Kritiker treten auf als Kuratoren, Kuratoren treten auf als Künstler, Künstler treten auf als Kuratoren“, bringt es Hanno Rauterberg auf den Punkt. Der Zeit-Feuilletonredakteur verficht die Forderung nach einem Ehrenkodex für Kunstkritiker. In der Tat muss man sich die Frage stellen, ob sich die Kunstkritik nicht selbst stranguliert, wenn jeder in ihrem Gebiet wildern darf. Die Umtriebigkeit von Kunstkritikern, seien sie es nun hauptberuflich oder leihweise, schafft Interessenskonflikte und führt zwangsläufig zu Befangenheit und verwässerten Urteilen. Networking mit einem gesunden Gefühl für Distanz sollte das Losungswort lauten. Allerdings muss bedacht werden, dass die Seitenaktivitäten vieler Akteure des Kunstbetriebs nicht nur aus einer Laune heraus ausgeübt werden. Es ist dies häufig ein Bedürfnis nach finanzieller Absicherung in einem nicht gerade überbezahlten Arbeitsfeld. Wurden Kunstkritiker in den früheren Salons noch hofiert, haben sie heute oft selbst die Rolle des Steigbügelhalters inne.

Es war einmal…

Im Freiburger Kunstverein haben sich jüngst einige jener Ehrenkodexbrecher versammelt, die in Rauterbergs Welt einer unabhängigen Kunstkritik nichts verloren hätten. Die Veranstaltung, zu der das Kunstbüro der Kunststiftung Baden-Württemberg eingeladen hatte, widmete sich einen Tag lang dem Thema der „Kunst- und Künstlerkritik“. Inhaltlich vorbereitet wurde sie von Axel Wieder – freier Kurator, Autor, Mitbesitzer einer Fachbuchhandlung in Berlin-Mitte und ehemaliger Leiter des Stuttgarter Künstlerhauses. Im Fokus der Veranstaltung standen Medien und Arbeitsfelder der Kunstkritik, ihre Verflechtungen mit dem Kunstmarkt und die Rolle von Künstlern als Kritiker. Stellvertretend für eine neue Generation von Zeitschriften, die mit neuen Formen des Schreibens experimentiert und international arbeitet, wurden exemplarisch zwei Kunstmagazine vorgestellt. Spannend dabei war, dass beide Organe aus Ländern kommen, die uns als Schauplätze von Gegenwartskunst weniger präsent sind.

Weg von der Popkultur

Über „Other Forms of Criticism“ sprach Catherine Chevalier, Herausgeberin des 2009 in Paris gegründeten Magazins „May“. Die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift wurde in Anlehnung an das deutsche Magazin „Texte zur Kunst“ aufgezogen, das in Frankreich bislang kein vergleichbares Pendant hatte. Dieses Vorbild manifestiert sich zunächst augenfällig im relativ kleinen Format. Es erscheint zweisprachig in Französisch und Englisch und wendet sich damit explizit an ein internationales Publikum. Die Gründer, eine Gruppe von Theoretikern und Künstlern, vermissten in Frankreich, wo der Pop-Ansatz mit Hang zu Lifestyle und Mode seit den 1990er Jahren bestimmend ist, ein Forum für kritische Theorie und konzeptuelle Kunst. Im Vordergrund steht bei „May“ deshalb der Text – weg von der Popkultur, hin zur Special-Interest-Nische. Das Konzeptmagazin reflektiert nicht nur über Gegenwartskunst, sondern arbeitet mit vielen internationalen Künstlern direkt zusammen; auch Kunsteditionen der Mitwirkenden werden angeboten. Neben Essays, Interviews und Reviews zur zeitgenössischen Kunst erscheinen Beiträge von Künstlern, die sich in Textformen wie Gedichten und Textmontagen äußern und in ihrer Art wiederum selbst Kunst sind.

Das Vorbild von „May“ sind die „Texte zur Kunst“.

Seine Leserschaft findet „May“ derzeit insbesondere in den USA, das in Kunstdingen seit jeher Frankreich-affin ist. In Deutschland trifft man noch kaum darauf und selbst Frankreich scheint ohne das Blatt auskommen zu wollen: „Wir versuchen, das Pariser Kunstgeschehen wachsam im Blick zu behalten. Aber das große Problem ist, dass wir eher Schwierigkeiten haben, in Frankreich Autoren zu finden“, so Chevalier. Auch die Zahl der Leser steigt dort nur schleppend. Die internationale Ausrichtung scheint jenseits des Rheins nicht so gut anzukommen. Frankreich hatte große Zeiten in der Kunst und kann sich insbesondere seiner Werke des 19. Jahrhunderts ungeniert rühmen. Mit der Welt musste man sich nicht vergleichen, hatte man doch die ganze Welt bei sich. Nicht umsonst trat die Profession des Kunstkritikers zuerst in Frankreich in Erscheinung. Heute gewinnt man aber den Eindruck, dass es sich dort mit dem Ende von Fauvismus, Kubismus und Surrealismus ausdiskutiert hat.

„May“ hingegen ist nach den drei Jahren seines Bestehens noch jung und kann sich profilieren. Es muss aber gefragt werden, welchen Mehrwert eine solche Zeitschriftengründung beispielsweise für den Leser in Deutschland hat. Kann sie mehr Ordnung in die Kunst bringen? Provoziert sie nicht gar das „Bedürfnis nach Begleitliteratur-Begleitliteratur“, wie es der Kunstkritik-Kritiker Christian Demand formuliert. Wenn kunstkritische Texte von Künstlern wiederum selbst Kunst sind, braucht es da nicht eine weitere Meta-Ebene, auf der diskutiert werden muss? Der Mehrwert des Magazins liegt eindeutig nicht in den Kunstnachrichten aus Frankreich, auch nicht unbedingt der Welt. Diesen Anspruch auf Überblick verfolgt es auch nicht. Vielmehr ist das Heft eine weitere alternative Plattform, die einen Einblick in das soziale Gefüge von schreibenden Künstlern gibt, die in „May“ sehr gut vernetzt sind.

„Periphery Syndrome“

Über den „New Yorker” sagte sein Gründer Harold Ross „that it is not edited for the old lady in Dubuque“. Damit umschrieb er das Profil einer Zeitschrift, die sich nicht an den spießbürgerlichen Leser mit provinziellen Vorstellungen richtet. Das Zitat kann auch als Leitspruch für ein in Mailand ansässiges Kunstmagazin gelten, das Stefano Cernuschi in Freiburg vorstellte. „Mousse“, im Jahr 2006 gegründet, ist ein offenes und vielseitig interessiertes Magazin, das einen nahezu klassischen, journalistischen Ansatz verfolgt. Berichtet wird über Neuigkeiten aus aller Welt, immer mit dem Anspruch der ersten Veröffentlichung. Entsprechend ähnelt das Format dem einer seitenstarken Tageszeitung.

Die App zum Heft als Dessert.

Cernuschi präsentierte seine Zeitschrift unter dem Titel des „Periphery Syndrome“. Wahrlich hat es Italien auf dem Gebiet der Gegenwartskunst bisher nur zur Tangente geschafft, die am Scheitel des zeitgenössischen Kunstgeschehens anliegt. In Rom eröffnete 2010 nach langem Ringen Italiens erstes staatliches Museum für Kunst und Architektur des 21. Jahrhunderts. Auch mit den Galerien, die Gegenwartskunst vertreten, ist es in der ewigen Stadt nicht so weit her. Die Ewigkeit ist nichts für die nervöse und launenhafte Kunst unseres Jahrhunderts. Aus diesem Grund haben sich beispielsweise die Gründer von „Nero“ in einer kaputten Gegend an der römischen Peripherie angesiedelt, einer „alternative space“ also. Dort hat sich das Heft nun vom Fanzine zum Hochglanzmagazin gemausert. Mit Ausstellungen, Performances und Musikfestivals macht es auf sich aufmerksam und treibt Rom zum Partizipieren am Kunstgeschehen an.

Während Italiens Künstler international gesehen Nachholbedarf haben, scheint der Magazinmarkt des Landes zu boomen. Auch „Cura“ kommt aus der Hauptstadt und gehört zu den vielgelesenen jungen Blättern. Ein Cluster von international auftretenden Magazinen hat sich auch in Mailand gebildet; darunter „Kaleidoscope“ und „Mousse“. Die in italienischer und englischer Sprache aufgelegte Zeitschrift mit einem Namen, der nach Dessert klingt, verfügt über ein weites Redakteursnetz in den bedeutendsten Kunstzentren der Welt und bringt Interviews, Gespräche und Essays wichtiger internationaler Kunstkritiker und Kuratoren. Selbstverständlich fehlen auch Beiträge von Künstlern nicht, die sich über aktuelle Themen auslassen, wie etwa den Klimawandel. Das „Periphery Syndrome“ hat die Zeitschrift überwunden, so scheint es. Essentiell für ihr Überleben sind die Inserate großer Anzeigenkunden. Die Redaktion setzt auf Social Media wie Facebook und Twitter, auch eine App gibt es, worauf man besonders stolz ist, wie herauszuhören ist. Gleichzeitig ist „Mousse“ Herausgeber von diversen Kunstpublikationen und organisiert kulturelle Events in Zusammenarbeit mit Museen, Galerien und Kunstmessen. Diese Seitenaktivitäten sind kennzeichnend für die heutige kunstkritische Praxis. Sie drängt nach außen, beschränkt ihre Tätigkeit nicht mehr auf ihren Urkern des Schreibens, sondern interagiert in anderen Arbeitsfeldern. Kunstkritik gewissermaßen als Haltung, nicht nur als Form, so will es Axel Wieder verstanden wissen.

Maler Malte malte

Als Seitenaktivist kann auch Adam Kleinman gelten, der in Freiburg einen theoretischen Beitrag leistete. Der gebürtige New Yorker ist Autor, Kurator und derzeit Agent für das öffentliche Programm der dOCUMENTA (13). Er schreibt Beiträge in Ausstellungskatalogen und Zeitschriften, darunter „Frieze“, „Artforum“, „e-flux journal“, „Mousse“ und „Texte zur Kunst“. In seinem Beitrag im Kunstverein reflektierte der Kunstkritiker kritisch über die Kunstkritik eines Künstlers, der über das Werk eines anderen Künstlers kritisch reflektierte. Zugegeben, der Satz klingt ein wenig wie „Maler Malte malte einen Maler der Malte malte“. Er spiegelt aber die Realität des verästelten Kunstbetriebs und diente in der Veranstaltung als Anschub der anschließenden Podiumsdiskussion. Anstoß zum Meinungsaustausch gab auch der zweite Beitrag von Hans-Christian Dany – Hamburger Künstler, Autor und Kurator –, der sich seit den 1990er Jahren mit kunstkritischem Schreiben beschäftigt und darin Zweifel am Sinn der Kunstkritik äußert.

Auf dem Podium schließlich diskutierten Kunstkritiker-Kollegen unter dem Stichwort „Writing and Critical Practice“ über die Zukunft und Ethik ihres Fachs. Dabei kamen unterschiedliche Ansichten darüber zum Ausdruck, was Kunstkritik heute ausmacht: „Texte zur Kunst“, so ihr Chefredakteur Sven Beckstette, will zeigen, wie Kunst und Gesellschaft miteinander in Beziehung stehen. Die Themen des Magazins weichen deshalb bisweilen ziemlich vom genuin künstlerischen bzw. kunsthistorischen Bereich ab. So sind auch soziale Fragestellungen wie Feminismus Gegenstand des Hefts. Für die Basler Kritikerin Quinn Latimer ist das Schreiben nicht nur ein Tool für Kunstkritik, vielmehr interessiert sie sich für die Sprache selbst, für ihre literarische Qualität. Catrin Lorch, die u.a. für das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung schreibt, rückte schließlich auch das Publikum und dessen Erwartungen an die Kunstkritik in den Fokus. Wichtig sei, den Lesern verlässliche Wege in das Kunstdickicht zu weisen und Künstlern ein Gesicht zu geben ohne ins Interessenskartell von Kritik und Kunstmarkt zu geraten. Deshalb sei es notwendig, sich an den wenigen gut bezahlten Stellen, wie etwa bei Tageszeitungen, für eine breite Berichterstattung stark zu machen. Dabei kann Kunstkritik aber stets nur eine Außensicht auf das sein, was sich im Kunsthandel abspielt, wie Beckstette bemerkte. Keine Illusionen macht man sich deshalb darüber, die dortigen Geschehnisse gravierend beeinflussen zu können. Es liegt längst nicht mehr in der Macht des Kunstkritikers, einen am Markt etablierten Künstler wie Damien Hirst oder Jonathan Meese zu demontieren oder, umgekehrt, einen neuen Star aus der Taufe zu heben. Hier greifen andere Mechanismen, die mit der extremen Popularisierung der Kunst der letzten Jahre einhergehen.

Immun gegen Kritik

„Wo stehst Du mit Deiner Kritik, Kollege?“

Nicht zuletzt diese Mechanismen haben in der Vergangenheit zum vielbeschworenen Tod der Kunstkritik geführt. Christian Demand geht noch weiter, wenn er in seinem Buch „Die Beschämung der Philister“ (2003) unterstellt, dass sich die Kunst gegen jedwede Kritik immunisiert hat. Positionen, die sich gegen bestimmte Entwicklungen in der Kunst stellen, werden sogleich als „Symptom spießbürgerlicher Niedrigkeit entlarvt“. Und wer sich gar noch darin versteigt, Werturteile abzugeben, wird vollends des Philistertums bezichtigt. „Philister“ wurden im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert jene genannt, die sich gegen neue Strömungen in der Kunst stemmten. Diesen Mantel will sich heute niemand mehr überziehen lassen und so folgen alle einer wahrhaften Kunstreligion, als die sie Demand zeichnet, deren Allgemeingültigkeit nicht in Frage gestellt werden darf. Statt über Kunst zu urteilen, wird kritische Reflektion gepredigt. Sich lieber im Unverbindlichen zu wiegen und damit unangreifbar zu bleiben, kann als aktuell gültige Ethik der Kunstkritik beschrieben werden. Kritik muss jedoch kritisiert werden können, damit sie in Bewegung bleibt und nicht selten lesen sich gerade Meta-Kritiken am spannendsten. Vieles erweckt jedoch den Anschein, als fühle sich die schreibende Zunft eher dem Künstler als dem Leser verpflichtet. So viel Öffentlichkeitsferne hinterlässt jedoch ein kopfschüttelndes und weiterhin ratloses Publikum. Zwar wird immer wieder betont, dass der Leser mündig sei und sich selbst ein Urteil bilden könne – wenn sich die Kunstkritik aber ständig darauf beruft, dann macht sie sich selbst überflüssig. Gerade wenn ein Text Positionen bietet, regt er an, hinzuschauen und sie mit den eigenen zu vergleichen. So entsteht Diskurs.

Die Werkstattreihe „Sprache als Tarnung? Das Dilemma der Kunstkritik“ fand zwischen 2008 und 2010 drei Mal unter der Leitung von Noemi Smolik statt.

Umgekehrt, aber dennoch nicht in direkter Antithese zu Demands Überlegungen, führte Jörg Heiser 2008 bei der Werkstattreihe „Sprache als Tarnung? Das Dilemma der Kunstkritik“ der Montag Stiftung den Gedanken ins Feld, dass es nicht die Kunst sei, die sich der Kritik entledige, „sondern ein nicht unerheblicher Teil der Kritik, der sich der Kunst entledigt hat“. Der Co-Chefredakteur des Londoner Magazins „Frieze“ hielt damit ein Plädoyer zum wirklichen Anschauen von Kunst. Der Aufruf mag vermessen klingen, meint man doch, dass Kunstkritiker kaum etwas anderes täten, als Kunst zu betrachten. Tatsächlich aber, so Heisers Beobachtung, werde die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand, der des Kritikers täglich Brot ist, zu wenig vorm Original geübt. Wenn man nun erneut auf Demand rekurriert, so verwundert dies wiederum nicht, schließlich kann einer kaum etwas falsch machen, wenn er in den Kanon der Kollegen mit einstimmt.

1846 schrieb Baudelaire:

„Um eine Existenzberechtigung zu besitzen, muss die Kritik parteiisch, leidenschaftlich und politisch sein“.

Parteiische Kunstkritiker gibt es, darunter aber wenig leidenschaftliche – und politische? Auch diese gibt es natürlich. Aber auch hier hat sich ein großer Konsens breitgemacht. Wenn „Texte zur Kunst“-Herausgeberin Isabelle Graw im taz-Interview mitteilt: „Wir sind links!“, so überrascht das kaum. Alles andere wäre wahrscheinlich spießig, konservativ, reaktionär oder einfach antimodernistisch. Zum Profilgewinn der Feuilletons, Kunstzeitschriften und -magazine führen diese Strukturen jedenfalls nicht. Ebenso wenig wie das muntere Hin- und Herswitchen der Autoren zwischen Kunstzeitschrift x, y und z einer Vielfalt kaum zuträglich ist. Die Autoren sind austauschbar geworden. Das hat man auch auf der Freiburger Veranstaltung erkannt. Auswege aus diesem Dilemma zu finden, ist allerdings schwierig, bringt es die ökonomisch schlecht versorgte Kunstkritik mit sich, dass die wenigsten ihrer Akteure mit einer einzelnen Stelle überleben können.

Folgte man den Gedanken von Oscar Wildes Gilbert in „Der Kritiker als Künstler“, so müsste der Kunstkritiker ein besseres Salär erhalten, als der Künstler. Denn ein guter Kritiker verfüge in der Regel über ein größeres Wissen, als der, dessen Werk er rezensiert: „Das Kritisieren erfordert unendlich mehr Bildung als das Schaffen.“ Gilberts Gedanken fortzuführen wäre utopisch, da Bildung nie Garant für besseren Lohn ist. Vielleicht aber sollte sich die Kunstkritik darauf besinnen, dass sie an der geistigen Atmosphäre unserer Zeit mitschreibt. Und es gab noch keine Zeit in der Kunstgeschichtsschreibung, die – überspitzt gesagt – nur eine einzelne Position hervorgebracht hätte. Individualität wird spätestens seit der Aufklärung hochgehalten. Wo ist sie geblieben?

 

 

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