Eine Frau tritt auf, steckt sich den Finger in den Hals und noch im Laufen erbricht sie sich auf den weißen Boden. Sie wiederholt den Vorgang und immer mehr Erbrochenes - in Farbe Rot à la Jackson Pollock - kommt zum Vorschein, die Sequenz dauert 1:06 Minuten. Dann verlässt sie die Bildbühne.
Schon beim ersten Spritzer zuckt der Betrachter vom Monitor zurück, als könne er selbst etwas abbekommen. Instinktiv erfüllt ihn das Gesehene mit Ekel und Widerwillen weiter hinzusehen. Doch wendet er den Blick nicht ab, denn sein Ekel ist immer auch mit Faszination behaftet. Meist äußert sich dies dann in Nervosität. Aber nicht nur der Zauber des Perversen ist es, der die voyeuristische Ader des Betrachters trifft, auch das Mitgefühl lenkt unseren Blick. Das Stöhnen und Husten, das Ächzen und Rülpsen, schmerzt uns, obwohl es von der Kamera eingefangen und wie durch eine Glasscheibe von uns getrennt ist. Überhaupt schafft die Perfektion der Präsentation, das hochaufgelöste Bild und der klare Klang, eine Distanz, die der Betrachter braucht, um das Gesehene zu verarbeiten. Martin Creed regt mit seinen ,sick films‘ einen Reflexionsprozess an, in dem der Betrachter sich seinem Menschsein bewusst wird. Das Verhältnis zum eigenen Körper ist Thema der Filme, die Creed 2006 produzierte. Stets stellt sich bei solch strittigen Arbeiten die Frage danach, was Kunst ist. Die einen tun den Gebrauch von Körperflüssigkeiten und Fäkalien in der Kunst als post-pubertären Unfug ab, die anderen loben die Provokation. Creed hingegen macht deutlich: „Artists do not make art. They make things (like paintings, sculptures), that get used as art by human beings.“ Kein Grund also wegen des Erbrochenen brüskiert zu sein, denn, um es mit anderen Worten zu sagen: Kunst ist, was Du draus machst.
http://www.youtube.com/watch?v=Pnh6dQJeYUE
Die Ausstellung „Martin Creed“ ist im Heidelberger Kunstverein vom 06. März bis 24. April zu sehen. Die Vernissage findet am 05. März um 19 Uhr statt.